Wunderradler
Mathelehrer Hans Dietmar Jäger, von allen „Jagger“ genannt, ist ein echter Sportfreak und ein wahres Ausnahmetalent. Seit Jahrzehnten ist das Rennradfahren seine Leidenschaft.
Inzwischen geht Jagger auf die 59 zu, aber das Alter hindert ihn nicht daran, extreme sportliche Leistungen zu bringen. Als Lehrer hat er mehrere Wochen Schulferien im Jahr und nutzt diese, um in die Welt zu radeln. In den diesjährigen Sommerferien ging es nach Griechenland mit dem Ziel Olympia, die antike Stadt und das Heiligtum des Zeus. Die ganze Strecke inklusive Fährfahrten und zurück in sechs Wochen. Genau 4219,5 Kilometer waren anvisiert, das Hundertfache der Marathonstrecke, eine wirklich schöne Idee.
Schon immer ist das Rad sein Begleiter, für nah und für fern, und Ausdauersport seine Leidenschaft. Als Schüler ist er mit dem Sportunterricht nicht warm geworden, er war eher schlecht im Mannschaftssport, kurze schnelle Strecken nicht sein Ding. Früh stellte Jagger fest, dass die Langstrecke in allen Disziplinen, Schwimmen, Laufen, Radfahren, seinem Ideal von sportlichem Engagement entsprach. Und das ist auch heutzutage noch so.
„Ein Auto habe ich noch nie besessen, fahre nie Auto“
So richtig zum Sport ist er mit Mitte/Ende 30 gekommen. Damals beruflich in München wohnhaft überzeugte ihn eine Freundin im RC CONCORDIA mitzufahren. „Das war nett, bisschen leistungsorientiert, mit sportlichem Leiter und dann bin ich mein erstes Rennen gefahren“, erinnert sich Jagger. Beim Einzelzeitfahren wurde er Zweitletzter, damit war die Ehre gerettet und Blut geleckt. Danach wurde ordentlich unter Anleitung trainiert, somit wurde er immer fitter und ein Jahr später schon Vereinsmeister der Amateure. Selbsthilfekurse im Bereich Technik machten ihn zum Fachmann. „Das Fahrrad ist keine Blackbox, man kann es auseinandernehmen und wieder zusammenbauen“. Nichts ist wichtiger, als auf langen Touren autark zu sein, Fahrradwerkstätten sind in der Pampa eher selten.
Zum sportlichen Radfahren kam dann relativ spät, erst mit Mitte 40, das Laufen als Aktivität dazu. „Ein Freund sagte mir, ich sei ein Talentverschwender. Hätte ich früher angefangen und nicht so bräsig in der Ecke gesessen, hätte ich ganz andere Leistungen erreichen können“, so Jagger. Marathon, Ironman, Langstrecken sind seitdem im Sportgepäck, Läufe über 10 Kilometer absolviert er heutzutage gelassen in knapp 40 Minuten.
„Jetzt gehe ich auf die 60 zu und sage mir, mach es nicht so doll, nicht zu risikoreich“. Bis auf einen schweren Fahrradsturz in seiner Jugend in der Heimatstadt Paderborn ist er relativ unfallfrei durchs Leben gekommen, fährt aber seitdem vorsichtshalber meist mit Helm.
Bis heute aber ist er immer noch sehr belastbar und extrem leistungsstark, da sein Körper anscheinend keine Einschränkungen kennt. Warum also nicht einfach mal so mit dem Rennrad nach Olympia fahren? Die erste Etappe war er noch zusammen mit einem Freund unterwegs. Auf dem Weg nach Neapel überquerten sie mehrere Alpenpässe, als höchsten das Stilfser Joch mit 2757 m, und dann den Apennin. Alleine ging es weiter Richtung Bari, mit einem Zwischenspurt durch den Gargano in Apulien, mit der Fähre nach Griechenland, weiter über die Peloponnes bis nach Olympia! Dort ein kurzer Stopp, um die antiken Stätten zu bestaunen und ein T-Shirt mit den olympischen Ringen zu ergattern, um dann noch ein paar Tage im Ferienhaus einer Kollegin am Strand „Urlaub“ zu machen. Zwischendurch wurden touristische Ziele angeradelt, denn Kunst, Kultur und historische Aspekte sollten nicht zu kurz kommen. Zurück nach Patras, Fähre nach Ancona, durch die Poebene und erneut über die Alpen zurück nach Frankfurt, jeden Tag 100 bis 140 km gefahren, was für eine Leistung. Am Ende hat Jagger tatsächlich die 4219,5 Kilometer nur um 370 Meter verfehlt. Er ist halt Mathematiker, er kann rechnen. Und leidvoll anstrengend scheint es auch nicht zu sein, eher ist es die Freude und der Spaß, an die eigene Leistungsgrenze zu kommen.
„Eine Lenkertasche muss für das Gepäck reichen“
Das alles mit kleinstem Gepäck, einer Lenkertasche mit 8,5 Liter Füllmenge. „Da muss alles reinpassen“, so Jagger. Ganz unten das Werkzeug, ein komplettes Reparaturset für alle Fälle, ein wenig Wechselkleidung, Vlies- und Regenjacke, Pflaster und Nähzeug, Platz für Souvenirs. Zum Wandern zwischendurch auf den schneebedeckten Pässen müssen die Radschuhe genügen, Wechselschuhe hat er nicht dabei.
Die Reisen werden nur grob geplant, häufig ist Frankfurt Startpunkt. Flexibel auch beim Wetter, wird kurzentschlossen das Schlechtwettergebiet umfahren. Jagger fährt einfach spontan los.
„Man entfernt sich so langsam aus der Heimat, den Main entlang, Offenbach, schon ist man in Seligenstadt, Wertheim, die Tauber, auf einmal auf der Schwäbischen Alb, im Allgäu und dann über die Alpen, langsam verändern sich Landschaft und Kultur“, schwärmt Jagger. Solche Radtouren seien das letzte große Abenteuer. Ein Freiheitsgefühl macht sich breit, alles ist im Fluss, aber mit ungewissem Ausgang. Denn vorgebucht wird nichts. Da kann es schon mal passieren, dass spätabends kein Hotelzimmer frei ist. Aber ein Plätzchen zum Schlafen findet sich immer, auch im Vorraum einer Sparkasse neben dem Geld-Automaten kann man es sich für eine Übernachtung bequem machen. Und besser als so manche Unterkunft in China. „Die würden hier aus hygienischen Gründen vom Ordnungsamt sofort geschlossen“, erinnert sich Jagger. Früher ist er auch geflogen, heute sucht er sich Ziele, die mit der Bahn erreichbar sind. „Marseille, Paris, Mailand, Wien, das sind alles Städte mit Direktverbindungen“. Vorder- und Hinterrad werden ausgebaut, Lenker eingeklappt, alles verpackt und schon kann es ohne Fahrradplatz-Reservierung losgehen.
Auch im Alltag wird das Rad ausgiebig genutzt. „Man kann schnell fahren, langsam, sportlich, man kann träumen, zur Arbeit fahren, einkaufen, es nimmt wenig Platz weg, man bleibt fit“, begeistert er sich.
„Man kann schnell fahren, langsam, sportlich, man kann träumen“
Im ADFC ist er schon ewig. „Ich unterstütze ihn gerne, tolle Ziele, immer das Rad in den Fokus stellend, ich helfe gerne mal am Stand, schmiere auch schon mal Schnittchen für Veranstaltungen“. Aber an Touren nimmt er eher nicht teil, die Leistungsdifferenz sei zu groß. Tja, 60 km fährt er halt schnell mal in zwei Stunden. Und Frankfurt-Olympia-Frankfurt in sechs Wochen.
Regelmäßige Touren und Radreisen machen „einen stark und stärker“. Man muss sich nur trauen und ausprobieren. „Wenn der Sattel gut eingestellt, das Wetter prima ist, der Tag lang wie im Sommer, der Reifen strammst aufgepumpt, wie Bertram Giebeler immer sagt, dann ist man auch bereit, 100 km zu fahren“, meint Jagger. Sein Tipp: Man radelt zwei Stunden, macht Pause, kehrt nett ein, dann wieder zwei Stunden fahren, Schläfchen in der Mittagspause, schon hat man mindestens 50 km hinter sich, fährt nachmittags nochmals ein bisschen, stärkt sich und dann radelt man in den Abend hinein. So einfach ist das.