Unterwegs auf den
Spuren des Bauhaus
Kunst, Kultur und Radfahren in Weimar und Dessau sowie Berlin
Eine ADFC-Radreise in die namensgleichen Baumärkte? Wohl eher nicht. Unter dem Titel „Das Bauhaus in Weimar und Dessau“ verbergen sich die bahnbrechenden Entwicklungen und Werke einer Kunst-, Architektur- und Design-Richtung. Und denen galt es nachzuspüren!
Ziemlich speziell, oder? Wen spricht das wohl an? Mich auf jeden Fall sowie neun weitere Interessierte. Schon seit einiger Zeit suche ich im neuen ADFC-Programm immer zuerst nach Reisen von Jens und Christine Zukunft und zwar die, die Kunst, Kultur und Radfahren kombinieren – für mich und meine Interessen eine ideale Kombination!
Am Freitag, dem 17. Mai 2024, ging es also in zwei Gruppen und im Abstand von zwei Stunden mit dem ICE nach Erfurt und dann die wenigen Kilometer mit den Rädern nach Weimar. Warum nicht alle zusammen? Ganz einfach: in jedem ICE gibt es nur 6 – 8 Fahrrad-Stellplätze! Die erste Gruppe konnte vor dem gemeinsamen Abendessen noch eine kleine Stadtbesichtigung in Weimar unternehmen und schon mal ein Restaurant für das Abendessen finden.
Die Geburtsstätte des Bauhauses
Am Samstag ging es los mit dem Bauhaus. Das moderne Bauhaus-Museum in Weimar eröffnete genau 100 Jahre nach der Gründung des Bauhauses, also 2019. Es erinnert an die frühe Phase der bedeutendsten Design- und Kunstschule des 20. Jahrhunderts und verknüpft deren Geschichte mit Fragen zur Lebensgestaltung von Heute und Morgen. Wir sehen viele Alltagsgegenstände wie Gläser und Geschirr, Stühle und Kinderspielzeug, Badausstattungen und Möbel, die damals entwickelt wurden. Einiges davon wirkt erstaunlich aktuell, manches hat sich gar zum heute noch nachgebauten Klassiker entwickelt wie der Freischwinger-Stuhl von Marcel Breuer, einem der Bauhaus-Lehrer (heutiger Preis des Originalnachbaus ca. 1.300 €). Alles war damals natürlich brandneu und für die damalige Zeit revolutionär.
Bonbonschachtel oder Nordpolstation?
Zum Modellhaus, das nach den Prinzipien des Bauhauses entstand, ging es dann durch die wunderschöne Ilm-Aue den Berg hoch. Der einstöckige Flachbau besteht aus einem großen von oben belichteten Gemeinschaftsraum, alle anderen Räume gruppieren sich darum. Die Schlagworte Komfort, Wirtschaftlichkeit und Funktionalität spielten dabei eine große Rolle. In der damaligen Öffentlichkeit galten die Bauten aber als eher kalt, karg, maschinell. Sie riefen viel Unverständnis hervor und provozierten Spottnamen wie in der Überschrift.
Die erste radfahrerische Herausforderung
Der Sonntag fängt ganz harmlos an. Ab Jena radeln wir den wunderschönen Saale-Radweg entlang. Nach ca. einer Stunde dann der heftige und lange Anstieg zum Schloss Dornbusch! Wir E-Biker bewundern ungeteilt die Bio-Biker, die teils fahrend teils schiebend ziemlich erschöpft oben ankommen. Dort erwartet uns die Keramikwerkstatt des Bauhauses, die heute Museum ist und einen lebendigen Einblick in die Arbeitsbedingungen und die damaligen Produkte gibt. Noch heute ist die historische Werkstattatmosphäre hautnah spürbar. Und wer noch Zeit und Lust hatte, konnte durch den wunderschön angelegten und gepflegten Schlossgarten spazieren.
Ein Hotel als Ort der Inklusion
Am Ende des Tages erwartet uns in Weißenfels das Hotel Schumanns Garden mit großen modern eingerichteten Zimmern, einige Doppelzimmer sind maisonettartig und das Frühstück am nächsten Morgen ist großartig. Und noch etwas Besonderes: Das Hotel ist ein Ort der Inklusion. Menschen, die wegen ihrer Behinderung nicht, noch nicht oder nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, werden in alle Tätigkeiten integriert und erhalten durch ausgebildete Mitarbeiter individuelle Unterstützung. Jens und Christine haben diese Unterkunft deswegen ausgesucht!
Zweimal Dom
Und wieder geht es auf den wunderschönen Saale-Radweg, der uns heute auf einigen Umwegen nach Halle begleitet. In Merseburg durften wir den weltberühmten Dom mit seiner beeindruckenden Orgel mit fast 6.000 Pfeifen und den Zaubersprüchen im Keller natürlich nicht verpassen. Der Dom ist heute eine evangelische Kirche, in der auch Martin Luther predigte.
Auch in Halle, unserer nächsten Station, gibt es einen Dom. Der ist auch bekannt, weil Lyonel Feininger (Maler, Grafiker, Bauhaus-Lehrer: 1871 – 1956) ihn häufig gemalt hat. Wo Feininger beim Malen stand, ist heute eine Stele mit einer Reproduktion seines Domgemäldes.
Dessau – DIE Bauhaus-Hochburg
Mit der Bahn erreichen wir die Stadt, die wohl am meisten durch das Bauhaus und das Gedenken daran geprägt ist. Zuerst geht es in unsere Unterkunft, das „Schlafgut“. Der erste Eindruck ist eher enttäuschend, doch das Schlafgut ist eine echte Entdeckung und ein Ort des Kontrasts. Wir haben uns dort sehr wohl gefühlt.
Aber zuerst geht es zu einem denkwürdigen Abendessen bei Tobi. Der Restaurantbesitzer begrüßte uns mit einem wort- und emotionsreichen Überrumpelungsversuch zum 6-gängigen Menü und führte uns dann mit einem langen depressiven Gedicht – weil ja Montag war! – in den Abend ein. Übrigens: Das Menü war ausgezeichnet, bestätigen die, die sich hatten überrumpeln lassen. Und trotz der zuerst etwas widerwillig entgegengenommenen Bestellungen à la Carte waren auch die übrigen Mitreisenden sehr zufrieden. Außerdem überraschte manche Art der Präsentation. Fazit: Der Abend mit Tobi war alles in allem ein beeindruckendes Gesamterlebnis.
Bauhaus in Dessau
Am nächsten Morgen geht es dann weiter in Sachen Bauhaus. Zuerst fahren wir etwas raus, um die Reihenhaussiedlung Dessau-Törten zu besichtigen. Eine große Siedlung, denn es ging ja darum, (relativ) preiswerten Wohnraum für viele Menschen zu bauen. Seit dem damaligen Bau hat es einige Anpassungen gegeben, z. B. wurde die Wärme- und Schallisolation verbessert und Holzfenster ersetzten die typischen Stahlfenster. Der Stahl führte zu Kältebrücken, die Wohnungen konnten kaum ausreichend beheizt werden.
Wieder zurück in der Innenstadt ging es zum ehemaligen Arbeitsamt. Der gelbe überwiegend einstöckige Rundbau hat viele Eingänge. Durch sie wurden die Besucher mit ihren verschiedenen Anliegen, quasi „vorsortiert“, um eine schnellere Bedienung der Arbeitssuchenden möglich zu machen.
Sehr beeindruckend ist die Siedlung mit den Meister-Häusern am Rande eines Pinienwäldchens, die Gropius selbst entwarf. Es waren überwiegend Doppelhäuser von je 200 qm Wohnfläche, die 1925/26 nach den Bauhaus-Vorstellungen errichtet wurden. Dort wohnten jeweils zwei der Meister der Bauhaus-Schule in einem Doppelhaus mit ihren Familien, z. B. Kandisky und Klee, Feininger und Moholy-Nagy sowie Muche und Schlemmer.
Gruppen-Radfahren in Berlin – eine echte Herausforderung
Berlin ist nicht gerade als fahrradfreundliche Stadt bekannt, aber mit 12 Radlern ist die Stadt eine echte Kampfansage. Fast nie kamen alle 12 Räder bei einer Grünphase über die Ampel. Wir haben Jens bewundert, der immer den Überblick und seine Langmut bewahrt hat.
Das Bauhaus hat auch in Berlin viele Spuren hinterlassen. Es gibt allein sechs Wohnsiedlungen der Berliner Moderne mit UNESCO-Welterbe-Status, z. B. die Siemensstadt als Wohngroß- und Reformsiedlung für Mitarbeiter der expandierenden Firma Siemens. Hier haben Walter Gropius und weitere-Architekten in den 1920er Jahren Wohnblöcke und Freiflächen entworfen.
Eine weitere ist die Hufeisensiedlung. Eine Siedlung, in der soziales und politisches Engagement gepflegt wird, wie dieses und weitere Plakate auf einer Litfaß-Säule in der Siedlung zeigen.
Spätestens in Berlin wird mir bewusst, wie produktiv und ausgesprochen einflussreich das Bauhaus war. Und das, obwohl die Entwicklungs- und Ausbildungsstätte nur insgesamt 14 Jahre bestand!
Natürlich lassen wir die Sehenswürdigkeiten Berlins nicht ganz links liegen. Am Morgen radeln wir entlang der Berliner Mauer und bewundern die Graffiti-Kunstwerke der East Side Gallery. Auf unserer „Berlin-Runde“ sehen wir außerdem die Philharmonie, den Potsdamer Platz, das Denkmal für die ermordeten Juden, das Brandenburger Tor, den Reichstag, das Bundeskanzleramt – vieles nur aus der Ferne, denn wegen der Vorbereitungen zum 75-jährigen Bestehen des Grundgesetzes sind manche Zugänge gesperrt.
Unsere Rückfahrt hat es in sich
Wieder fahren wir in zwei Gruppen. Ich bin bei der ersten, die sich dort auf dem Bahnsteigs versammelt, wo das Fahrrad-Abteil ankommen soll. „Wir könnten doch schon mal das Gepäck von den Rädern nehmen“ schlägt jemand vor und ich flachse „… und dann kommt der Zug in umgekehrter Wagenreihung!?“ Nichts deutet darauf hin: weder die Anzeigetafeln noch die Information in der DB-App. Und dann … fährt unser Abteil als erstes ein statt als letztes! Hektik bricht aus: Gepäck wieder befestigen, ans andere Ende des dreizügigen (!) ICE rollern oder radeln. Natürlich sind nicht nur wir unterwegs, fast alle Fahrgäste rennen in die verschiedenen Richtungen! Ganz vorne angekommen, macht uns ein Mann mit einem Doppel-Kinderwagen den Zugang streitig. Er hat eine Reservierung – in dem Wagen am anderen Ende des Zuges! Wir schaffen es irgendwie und kommen fast pünktlich in Frankfurt an!
Das Bauhaus
Das „Bauhaus“ (1919 – 1933) ist DIE bedeutendste Bildungsstätte des 20. Jahrhunderts für Kunst, Architektur und Design. Trotz seines kurzen Bestehens, bedingt durch die Ablehnung der Nazis, bestimmt es bis heute die Strömungen der Neuen Sachlichkeit und der Klassischen Moderne, auch bekannt unter dem Begriff „Bauhaus-Stil“. Besonders bekannt wurden die Bauhaus-Möbel sowie die Siedlungen zur Bekämpfung der Wohnungsnot nach dem 1. Weltkrieg unter dem Motto „Volksbedarf“ statt „Luxusbedarf“.
Nach denselben Prinzipien wurden übrigens von Ernst May um 1930 in Frankfurt 12.000 Wohnungen gebaut und in Tel Aviv entstand die „Weiße Stadt“.
Großen Einfluss hatte der Gründer und langjährige Direktor Walter Gropius. Die Namen der Lehrer klingen wie aus einem „who is who“ der zeitgenössischen Kunstszene: Klee, Feininger, Itten, Mies van der Rohe, Moholy-Nagy, Schlemmer, Kandinsky u. a.