Der Chefkümmerer
Damit meinen wir nicht den Oberbürgermeister oder den Mobilitätsdezernenten, sondern den Mann zwischen ihnen: Stefan Lüdecke ist der Radverkehrsbeauftragte der Stadt Frankfurt am Main
Was macht eigentlich die Koordinierungsstelle Radverkehr der Stadt Frankfurt? Antworten auf diese Frage habe ich mir von Stefan Lüdecke, dem Radverkehrsbeauftragten der Stadt Frankfurt, erhofft und ihn deshalb zu einem Gespräch getroffen.
Schon 2016 war Stefan Lüdecke dabei. Als Referent für den damaligen Verkehrsdezenten Klaus Oesterling war er nicht nur „Mädchen für alles“, sondern auch zuständig für den Radverkehr in der Stadt Frankfurt. Das Radfahrbüro bestand schon ein paar Jahre und war mit einem vierköpfigen Team besetzt. Dann kam 2018/2019 der Radentscheid, 40.000 Bürger:innen haben mit ihren Unterschriften für ein Bürgerbegehren zur Mobilitätswende in Frankfurt gestimmt. Das wurde zwar aus formaljuristischen Gründen abgelehnt, aber die weitere Radverkehrspolitik erhielt dadurch einen enormen Anschub. Die politisch Verantwortlichen nahmen die Initiative sehr ernst und stiegen in Verhandlungen mit den Organisatoren vom Radentscheid ein.
Stefan Lüdecke hat die Gespräche und Auseinandersetzungen mit begleitet, bis letztendlich verhandlungsfähige Kompromisse auf dem Tisch lagen. Dabei ging es nicht nur um das Finanzielle, sondern auch um Personal und um konkrete Beschlüsse zur Fahrradinfrastruktur. „Damals dachte ich, ich schiebe an und mache mich dann überflüssig. Aber es hat sich gezeigt, dass es einen Kümmerer kontinuierlich braucht“, erinnert sich Lüdecke. 2019 übernahm er auf Verwaltungsseite die Gesamtkoordination. Es gab viel zu tun und zu entwickeln. Und es ging schnell voran.
„Werden Straßenprojekte geplant, sind alle Teams gefragt“
Auf der einen Seite wurde das Radfahrbüro personell aufgestockt. Inzwischen arbeiten acht Mitarbeiter:innen mit unterschiedlichen Aufgaben daran, das Radfahren für die Bürger:innen der Stadt Frankfurt zu verbessern. Auf der anderen Seite brauchten wir „Leute, um die komplexeren Themen, wo es um den Bau geht, fachkundig anzugehen“. Seitdem ergänzt ein siebenköpfiges Team des Sachgebietes Radverkehr im Amt für Straßenbau und Erschließung (ASE), das für den Ausbau der fahrradfreundlichen Infrastruktur zuständig ist, die Koordinierungsstelle Radverkehr. „Mit diesen beiden Teams arbeite ich eng zusammen. Werden Straßenprojekte geplant, sind alle gefragt“, so Stefan Lüdecke. Darüber hinaus gibt es bei der Planung von Straßenbauprojekten die Schnittstellen mit Verkehrsbetrieben wie der Verkehrsgesellschaft Frankfurt (VGF) oder traffiQ. Der Radverkehrsbeauftragte kommt ins Spiel, um alle Fragestellungen rund ums Fahrrad im Blick zu behalten und dabei „möglichst innovativ, offen und neugierig zu agieren, damit wir einfach weiter vorankommen“.
Vielschichtige Aufgaben erfordern ein hohes Maß an fachlicher Kompetenz, aber auch ein gutes Zusammenspiel und enge Verzahnung aller zuständigen Ämter und Fachbereiche. Auch das Straßenverkehrsamt, verantwortlich für die gesamte Verkehrsregelung in der Stadt, ist mit im Boot. So ziehen sehr viele am selben Strang, um die Verkehrsqualität für alle Mobilitätsarten zu verbessern.
Von der Autostadt zur Fahrradstadt Frankfurt ist es ein langer und teils holpriger Weg, auch wenn die Marschrichtung, alle Hauptstraßen mit Radwegen auszustatten, vorgegeben ist. Das Straßenverkehrsamt macht vor einer Entscheidung genaue Untersuchungen anhand von Modellierungen am Bildschirm, „wie fahren die Autos, die Radfahrenden, wie baut sich Stau auf, wie sieht es mit den Ampelschaltungen aus etc.“, so der „Kümmerer“. So fallen auch schon mal Entscheidungen gegen den Bau von Radwegen, wie z. B. auf der insgesamt dreispurigen Mörfelder Landstraße zwischen Wendelsplatz und Schweizer Straße. Genaue Betrachtungen haben ergeben, dass bei Entnahme einer Fahrspur alles zu eng wird, dass durch das hohe Verkehrsaufkommen aufgrund des Berufsverkehrs Verkehrschaos vorprogrammiert ist, der ÖPNV behindert wird. „Wir haben gleichzeitig die Verantwortung für den motorisierten Verkehr, müssen dessen Flüssigkeit sicherstellen, Einsatzfahrzeuge müssen durchkommen, Handwerker ans Ziel“, so Stefan Lüdecke. Aber in vielen Projekten, wie aktuell die bedeutende Umbaumaßnahme auf der Eschersheimer Landstraße, kommt es am Ende dann doch zu einer fahrradfreundlichen Gestaltung der Verkehrssituation. Der notwendige Lückenschluss zwischen Humserstraße und Hügelstraße wurde endlich in den Herbstferien umgesetzt.
„Ein respektvoller Umgang miteinander ist sehr förderlich“
Gerade hat die Anzahl der PKW in Deutschland ein Rekordhoch erreicht: 49 Millionen Autos sind auf unseren Straßen unterwegs. Frankfurt liegt mit 441 Autos pro 1000 Einwohnern (im Gegensatz zu Wiesbaden mit 852 Autos) im unteren Durchschnitt, aber besonders die Straßen in der Innenstadt sind u. a. durch den Pendlerverkehr sehr voll. Die Autos werden immer größer und breiter. Vor allem in engen Nebenstraßen ist es häufig schwierig, als Radfahrende sicher zum Ziel zu kommen. Auch der Anteil der Lastenräder nimmt zu. Da helfen nur Tempo-30-Zonen, übersichtliche Kreuzungen, ausgewiesene Fahrradstraßen. Darüber hinaus, meint Lüdecke, sei der respektvolle Umgang miteinander sehr förderlich. „Ich glaube, mit einer gewissen Freundlichkeit, gegenseitiger Rücksichtnahme und einem Lächeln im Gesicht kommt man eigentlich ganz gut durch die Stadt.“
Die Koordinierungsstelle Radverkehr und ihr „Chefkümmerer“ sind immer dann gefragt, wenn es um Konflikte zwischen den unterschiedlichen Akteuren geht. Dann werden alle an einen Tisch geholt und Stefan Lüdecke versucht zu vermitteln. „Manchmal gibt es keine Lösungen, kann auch passieren.“
Weitere seiner Aufgaben sind Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, den Stadtrat über alle wichtigen Projekte und Entscheidungen zu informieren, wöchentliche Teamsitzungen, Abstimmungen mit den Ortsbeiräten. Weiterhin besteht die Notwendigkeit, die Bedeutung einer fahrradfreundlichen Stadt anderen Abteilungen in den städtischen Ämtern und Betrieben zu vermitteln.
Die politische Polarisierung rund um die Verkehrswende ist im Mobilitätsdezernat zu spüren. Anfeindungen haben auch hier zugenommen, Debatten laufen teils sehr emotional ab. „Dabei geht es ja nicht in erster Linie darum, Fahrspuren und Parkplätze wegzunehmen“, erläutert Lüdecke. Es müsse immer wieder erklärt werden, dass es um Verbesserungen für alle Verkehrsteilnehmenden geht, d.h. trotz weiterhin zunehmendem Verkehr die Stadt für alle sicherer und menschenfreundlicher zu machen.
„Ich hoffe auf politische Kontinuität, größere Bauprojekte brauchen Planungssicherheit“
Auch in der Zukunft sind große Projekte geplant, besonders Stadtteile in der Peripherie werden im Fokus von Radverkehrskonzepten stehen. „Deshalb haben wir uns externe Planungshilfe geholt, Ausschreibungen für Radverkehrskonzepte gemacht und ein Haupt- und ein Nebennetz für den Radverkehr definiert“. Diese Konzepte liegen für die westlichen und südlichen Stadtteile vor, für Nord und Ost werden sie derzeit erstellt. Daraus soll sich ein Maßnahmenprogramm ableiten, das in den nächsten 10 Jahren bearbeitet und umgesetzt werden soll. Das sei jetzt eine große Aufgabe, die die Koordinierungsstelle gemeinsam mit ASE und Straßenverkehrsamt bearbeiten werde. Auch die Radschnellwegprojekte wird das Mobilitätsdezernat im kommenden Jahrzehnt weiterhin beschäftigen, die Umsetzung wird vorangetrieben.
„Ich hoffe auf eine politische Kontinuität über die Wahlen 2026 hinaus, größere Bauprojekte brauchen Planungssicherheit. Wenn ein neuer Magistrat dann entscheiden sollte „Das wollen wir nicht mehr.“, dann kann es dazu führen, dass Arbeit, die viele Jahre erbracht wurde, in die Schublade rutscht“, meint Stefan Lüdecke. Er wünscht sich deshalb, dass über die nächste Kommunalwahl hinaus weiter an der fahrradfreundlichen Stadt gearbeitet wird und der Bau der Radschnellwege in die Region umgesetzt wird.
Das sind für Stefan Lüdecke die wichtigsten Ziele in der Zukunft.
Erfüllen wir ihm gerne den Wunsch, bei der nächsten Wahl radfahrfreundlich abzustimmen.