Workpacking:
Ein Jahr lang auf zwei Rädern unterwegs
Gunnar Fehlau radelte 2023 quer durch Deutschland und kombinierte dabei mobiles Arbeiten und Bikepacking zum neuen Format Workpacking. Im Globetrotter Frankfurt gab er spannende Einblicke in sein Abenteuer.
Aber ich muss doch arbeiten. Aber ich muss doch für die Familie da sein. Mit dem Wort „müssen“ kann Gunnar Fehlau sich nicht gut anfreunden. Die passende Powerpoint-Folie zeigt ein Graffiti: Sollte. Hätte. Könnte. Machen. Davor steht sein voll bepacktes Lastenrad. „Bitte nicht“, denke ich kurz, „nicht so ein Vortrag, der dir sagt, dass alles möglich ist, wenn du es nur wirklich willst.“ Doch es kommt ganz anders. Sehr reflektiert beschreibt Gunnar, dass er sich durchaus bewusst ist, in einer privilegierten Situation zu sein. Er ist männlich, arbeitet selbstständig, seine Kinder sind gerade aus dem Haus und auch seine Frau findet die Idee gut. Faktoren, die ja nicht jedem gegeben sind. Und dennoch appelliert er an sein Publikum, sich zu fragen: „Was müssen wir im Leben wirklich?“
Am 02. Januar 2023 rollert er also los auf seinem Cargo E-Bike, bepackt mit gut 50 Kilo Gepäck, darunter die Wintercamping-Ausrüstung und alles, was er zum Arbeiten braucht. Die Idee ist, an sechs Tagen je sechs Stunden zu arbeiten und dazwischen durch die Republik zu fahren und Freund:innen, Kolleg:innen und Bekannte zu treffen, geschlafen wird natürlich im Zelt. „Ich hatte nach Corona einfach Nachholbedarf und wollte Orte und Menschen wiedersehen.“ Gunnars Vorhaben stößt auf große Begeisterung und er erhält zahlreiche Einladungen, so viele, dass er sie gar nicht alle annehmen kann. Denn er arbeitet ja immer noch und ist durch Geschäftstermine, die er in die Tour einbauen muss, gebunden. Aber auch das Abenteuer-Feeling kommt nicht zu kurz, wie die Bilder des Vortrags beweisen. Ist zum Beispiel die Route durch einen Baum versperrt und kein Umfahren möglich, so packt er kurzerhand die Klappsäge aus und sägt sich den Weg frei. Relativ schnell stellt sich jedoch heraus, dass er zu viel Gepäck mitgenommen hat und so werden sukzessive etwa ein Dutzend Kilos der Ausrüstung wieder nach Hause geschickt. Auch verabschiedet Gunnar sich von der Idee, im eisigen Winter (der Frühling kam 2023 sehr spät) in seinem Zelt mit Titanofen zu arbeiten und stellt auf ein kleineres Modell um. Das spart Gewicht und Zeit beim Aufbau. Dafür wird er großer Fan von Landbäckereien, die neben freundlichem Personal und leckeren Brötchen oft auch einen improvisierten Arbeitsplatz und W-Lan zur Verfügung stellen.
Auf seinem Abenteuer ist also Flexibilität gefordert. „Durch das Reisen werden die Schubladen im Kopf aufgemacht“, sagt Gunnar und illustriert diesen Satz mit einer herrlichen Anekdote. Eine der vielen Einladungen kommt von einer älteren Dame, die ihn bei sich zu Hause mit Kaffee und Kuchen bewirtet. Im Regal sieht er dort ein Souvenir des französischen Alpenpasses Col du Galibier, einen kleinen Grenzmarker, der die Höhe von 2.642 Metern angibt. Ohne Nachzudenken fragt er: „Wer hat Ihnen den denn geschenkt?“ Man kann sich denken, wie die Situation weitergeht. Seine Gastgeberin hatte den Stein bei der Überquerung des Passes natürlich selbst erstanden. „Die Reise war ein Lehrstück in Agilität, vor allem im Kopf,“ resümiert Gunnar.
Ist er froh, das Abenteuer unternommen zu haben? Auf jeden Fall. Würde er die Reise in dieser Form nochmal machen? Eher nicht. „Ich war danach extrem müde. Es war wie nach einer geilen Party, aber der Sonntag ist dann trotzdem im Eimer.“ Diese Offenheit ist es, die den Vortrag so sympathisch macht. Da lässt man sich dann auch gerne auf die Frage ein, was man im Leben denn wirklich muss. „Es braucht ja nicht gleich so etwas Extremes. Für mich fängt Abenteuer schon ganz früh an.“ Und für mich dann vielleicht auf der nächsten ADFC-Tour.