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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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Große Macht bedeutet große Verantwortung 

Von Ansgar Hegerfeld

Auch beim Gerichtsprozess wegen des in Griesheim getöteten Radfahrers wurde eins wieder sehr deutlich: Das Führen von Kraftfahrzeugen ist gefährlich. Besonders dann, wenn man unaufmerksam ist. Leider sind sich viele Menschen nicht mehr der Verantwortung bewusst, die mit einem so schweren, schnellen und dadurch gefährlichen Fahrzeug zwangsläufig einhergeht. Nicht ohne Grund ist das Führen von Kraftfahrzeugen grundsätzlich in Deutschland verboten, außer man absolviert eine spezielle Schulung inklusive Prüfungen. Außerdem ist, anders als beim Fahrrad, wegen der hohen Gefahr eine Haft­pflicht-Versicherung für die Begleichung der mitunter riesigen Schadenssummen gesetzlich vorgeschrieben („Gefährdungshaftung“).

Regeln brechen im Straßen­verkehr – oft ­verhängnisvoll für die  Vulnerableren im ­ Straßenverkehr

Trotzdem werden die Regeln im Straßenverkehr gerne gebrochen: hier mal die Höchstgeschwindigkeit als Mindestgeschwindigkeit ausgelegt, dort mal nicht am Stoppschild oder „nur mal kurz“ auf dem Radweg gehalten. Meistens gehen solche Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung glimpflich aus. Aber eben nicht immer. Die Folgen sind nicht selten schwerwiegend, auch wenn die Verursacherinnen und Verursacher hinterm Lenkrad oftmals dank zahlreicher Schutzeinrichtungen nicht oder nur leicht verletzt werden. Für die vielen direkt Beteiligten, Hinterbliebenen, Rettungskräfte und das Gesund­heitssystem sind die Folgen aber enorm.

Ein besonderer Fall war z. B. der Raser, der im November 2020 mit über 80 km/h, extra abgeschalteten Assistenzsystemen driftend und mit durchgetretenem Gaspedal durch die Sonnemannstraße raste. In einer Kurve verlor er dann die Kontrolle über sein Auto, schleuderte von der Fahrbahn auf den Gehweg und tötete dort sofort zwei Männer. Eine Frau verlor so nicht nur ihren Vater, sie selbst wurde ebenfalls lebensbedrohlich verletzt. Der Autofahrer war nicht angeschnallt, er hatte das lästige Piepen durch das Einstecken einer losen Steckschnalle ohne Gurt ruhig geschaltet und blieb trotzdem nahezu unverletzt.

Ihm wurde vorher bereits viermal der Führerschein wegen diverser Verstöße im Straßenverkehr abgenommen. Alleine damit die Behörden diesen Schritt einmal gehen, muss man sich schon Mühe geben. Ein paarmal Falschparken reicht dafür (leider) nicht. Dieser Raser hat den Führerschein immer wieder dank einer „medizinisch-psychologischen-Untersuchung“ (MPU, auch bekannt als „Idiotentest“) zurück erhalten, was das eigentliche Problem gut aufzeigt: Unsere Politik, aber auch die Verwaltung und Gerichte haben selbst für solche notorischen Gesetzesbrecher größtes Verständnis. Damit sie möglichst leicht den Führerschein wiederbekommen können, dürfen sie sich die Gutachterin oder den Gutachter sogar frei aussuchen.

Der Raser wurde im Jahr 2022 zu acht Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, weniger als von der Staatsanwaltschaft gefordert. Bemerkenswert ist dabei aber, dass er seinen Führerschein selbst nach vier MPUs, weiterer Raserei und den dabei zwei getöteten und einem schwerstverletzten Menschen nur für fünf Jahre abgeben muss. Was er noch tun muss, um den Führerschein lebenslänglich zu verlieren, bleibt leider offen.

Letzte Konsequenz: Versteigerung des Autos

Die Frankfurter Rundschau berichtete im Juni 2024 über einen Autofahrer aus Oberursel, dem nun das Auto entzogen und zur Versteigerung freigegeben wurde. Was hatte der Autofahrer dafür tun müssen? Er wurde im Laufe der Jahre bereits sechsmal wegen Fahrens ohne Führerschein verurteilt, anschließend machte er dann doch noch seinen Führerschein. Bei der extrem geringen Kontrolldichte sind sechs Verurteilungen schon beeindruckend und lassen nur erahnen, wie oft er ohne Führerschein unterwegs war. Dass man ­danach trotzdem die Chance auf das Privileg „Führer­schein“ bekommt, ist beeindruckend.

Anschließend wurde er unter anderem auf der Senckenberganlage in Frank­furt mit 97 km/h erwischt und musste nach diversen weiteren Verstößen den Führerschein wieder abgeben – selbstverständlich nur für ein halbes Jahr, die Behörden hielten ihn weiterhin grundsätzlich für geeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs. Anstatt sich um die notwendige MPU zu kümmern, fuhr er aber einfach wie früher ohne Führerschein weiter, wurde wieder erwischt und erneut verurteilt. Nur wenige Wochen nach diesem Urteil wurde er abermals ohne Führerschein am Steuer erwischt, deswegen wurde sein Auto nun eingezogen. Verurteilt wurde er zusätzlich zu 120 Tagessätzen zu je 30 Euro. Außerdem darf er nicht versuchen, den Führerschein erneut zu machen – wohlbemerkt nur nicht ­innerhalb der nächsten 12 Monate. Der Richter griff auf der einen Seite zu einem sehr selten genutzten Einzug des Autos, hatte aber gleichzeitig laut FR wohl auch Verständnis: „Der Angeklagte habe noch Glück, es sei angesichts seiner vielen Vorstrafen, auch eine Gefängnisstrafe ohne Bewährung möglich gewesen.“

„Der Preis, den wir für den Autoverkehr zahlen müssen“

Die Witwe im aktuellen Griesheimer Prozess (siehe Beitrag auf Seite 13) brachte es in ihrem Schlussplädoyer mit Blick auf die Autofahrerin, bei der deutlich weniger kriminelle Energie im Spiel war, auf den Punkt: „Vielleicht finden auch Sie nie mehr in ihr altes Leben zurück, aber Sie haben die Wahl. Wir haben durch Ihre Unachtsamkeit lebenslänglich bekommen.“

Die Richterin in diesem Prozess war sehr um eine, im Rahmen der Möglichkeiten, angemessene und einfühlsame Prozessführung bemüht. Richtigerweise verwies sie auch darauf, dass es in diesem Prozess nur Verlierer geben könne. Im Schlussplädoyer ging sie noch darauf ein, dass die im Straßenverkehr getöteten Menschen eben „der Preis dafür sei, den wir für den Autoverkehr bezahlen müssten.“ Gemeint ist hiermit, dass wir uns als Gesellschaft für diese vielen Opfer entschieden haben und auf politischer Ebene dafür die Weichen gestellt wurden. Das klingt resignierend und nach Opfergaben, ist aber durchaus passend. An dem gesellschaftlichen Wunsch und den rechtlichen Rahmenbedingungen kann aber auch eine Richterin in ihrem Amt nur sehr wenig ändern. Vergessen wird dabei oft, dass zunehmend die zu Fuß ­gehenden oder Rad fahrenden Menschen zu ­Opfern im Straßenverkehr werden, während Autos für die Insassen immer sicherer werden.

In dem Zusammenhang drängt sich unweigerlich der Vergleich zu den Schusswaffen in den USA auf: Auch damit töten sich jedes Jahr unzählige Zivilisten gegenseitig, aber die Waffenlobby verkauft den freizügigen Waffenbesitz als „Freiheit“ und verteidigt dieses Recht ganz unabhängig von der Opferzahl.

Zum Vergleich: Alleine der Straßenverkehr in Deutschland hat seit 1950 laut einer Zählung aus dem Jahr 2017 ca. 780.000 Verkehrstote und 31 Millionen Verletzte gefordert. Würde es beim (nicht ohne Grund!) sehr sicheren Bahn-, Flug- oder Schiffverkehr oder auch in Werks- und Montagehallen nur ansatzweise so viele Verletzte oder Tote geben, würden dras­tische Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Überall wird das Ziel der Null Toten/schwer Verletzten („Vision Zero“) konsequent verfolgt, nur nicht beim Straßenverkehr. Dort gilt wie gehabt das Recht des Stärkeren.

Übrigens: Wer zum Beispiel aus beruflichen Gründen auf den Führerschein angewiesen ist, sollte genau deswegen besonders vorsichtig fahren. Wenn einem etwas wichtig ist, passt man schließlich gut darauf auf. Im Nachhinein im Gerichtssaal um eine milde Strafe zu bitten, weil man ja „auf den Führerschein angewiesen“ sei, ist das denkbar schlechteste Argument.

Lösungsansätze und die Rolle der Polizei

Kraftfahrzeuge sind für gewisse Aufgaben durchaus sinnvoll, sie sollten aber immer mit der entsprechenden Vorsicht und nur bei tatsächlicher Notwendigkeit bewegt werden. Verantwortungslosen und rücksichtslosen Autofahrenden muss dementsprechend deutlich konsequenter und auch dauerhaft der Führerschein entzogen werden, um Schlimmeres zu verhindern. Gleichzeitig braucht es deutlich mehr Polizeikontrollen, die aktuell aber gerne noch als „Abzocke“ oder „Wegelagerei“ angesehen werden. Dabei könnte man diesen ganz leicht aus dem Weg gehen, wenn man sich an unsere Gesetze, die den gesellschaftlichen Konsens widerspiegeln, hält. Aus Angst vor den Protesten von Rasern kündigen stattdessen bundesweit Polizeibehörden ihre eigenen Kontrollstellen vorab öffentlich an, obwohl das Hessische Ministerium des ­Innern und für Sport 2021 keinerlei wissenschaftliche Daten zu der Wirksamkeit solcher Ankündigungen benennen konnte. Diesen Warnservice gibt es ausschließlich für Raser im Straßenverkehr, Hausdurchsuchungen oder anderweitige Kontrollen werden nicht vorab bekannt gegeben. Auch die Verkehrsverbünde kündigen ihre Fahrschein-Kontrollen in Bussen und Bahnen nicht an, genauso wenig wie Kaufhäuser die Anwesenheit von Ladendetektiven.

Immerhin tut sich langsam etwas: Das Thema „Vision Zero“ wird zunehmend in der Öffentlichkeit diskutiert, die Polizei Dortmund hat als eine der ersten seit Februar 2024 die Ankündigung von Tempo-Kontrollen eingestellt und es wurde sogar eine kleine Reform des Straßenverkehrsgesetzes und der Straßenverkehrsordnung zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beschlossen. Der Druck aus der Bevölkerung auf die politisch Verantwortlichen, egal ob im direkten Kontakt oder über Interessensvertretungen wie den ADFC, wirkt am Ende doch. Auch wenn es lange dauert und in dieser Zeit weiterhin Menschen getötet und verletzt werden.

Ansgar Hegerfeld