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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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Der Radweg Deutsche Einheit

Oder: Wie Geld für die Radweginfrastruktur auch sinnlos ausgegeben werden kann

Der Radweg Deutsche Einheit (RDE) verläuft über 1.100 km von Bonn nach Berlin und passiert dabei zahlreiche geschichts- und kulturrelevante Orte.

Beim RDE handelt es sich nicht um einen eigenständigen Radweg, sondern um eine Kopfgeburt aus dem Bundesministerium für Verkehr, das sich für die Streckenführung bereits vorhandener Radwege bedient und diese geschickt miteinander verknüpft hat. Der RDE taucht deshalb vor allem als zusätzliches Logo auf den Wegweisern schon vorhandener Radwege auf. Über das Ministerium kann man einen GPS-Track herunterladen. Der Ester­bauer Verlag hat dazu ein Bikeline-Tourenbuch veröffentlicht und stellt GPS-Tracks zur Verfügung.

Der Radweg Deutsche Einheit
Logo Radweg Deutsche Einheit

Um das Besondere am RDE herauszustreichen, hat sich das Bundesverkehrsministerium so genannte Radstätten einfallen lassen. Das sind Einrichtungen, die neben Schildern über Informationen zum Standort ein Touch-Panel-PC anbieten, dem man weitere Informationen zur Umgebung entlocken können soll. Die Screens, die ich gesehen habe, sind jedoch so angebracht, dass man darauf bei hellem Wetter nichts außer dem eigenen Spiegelbild erkennen kann. Ferner findet man dort eine Lademöglichkeit für Pedelecs, in einigen Fällen auch verschließbare Fahrradboxen, einen Witterungsschutz mit Sitzbank, ein Reparaturset mit Luftpumpe und einiges mehr. Es soll dort auch kostenloses W-LAN geben, was ich aber nicht ausprobiert habe. Das Netz der Radstätten ist noch nicht sehr dicht und es steht zu hoffen, dass die derzeitige und auch künftig absehbare Knappheit an Haushaltsmitteln dem weiteren Ausbau entgegenstehen wird. Denn die Radstätten erweisen sich meiner Meinung nach als komplett sinnfrei. Reparatursets und Luftpumpen bieten heute schon viele Gemeinden auf zentralen Plätzen und zu wesentlich geringeren Kosten. Man kann Haushaltsmittel für den Ausbau der Radwegeinfrastruktur deutlich sinnvoller ausgeben.

Der RDE startet in Bonn und führt zunächst über den Rheinradweg nach Koblenz. Von dort geht es auf der östlichen Rheinseite nach Niederlahnstein und dann den Lahnradweg aufwärts bis Cölbe. Ich bin jedoch nicht in Bonn gestartet, sondern vor der Haustür in Frankfurt. Von dort ging es über Friedberg und Butzbach nach Gießen. Dort habe ich mich auf den Lahnradweg und damit auch auf den RDE eingefädelt. Die erste Etappe endete in Cölbe an der Lahn. Von dort ging es entlang der Mittellandroute (D-Route 4) bis Bad Hersfeld. Zunächst folgt der Weg dem Tal der Ohm und führt dann durch die Schwalm nach ­Treysa und von dort auf dem Bahnradweg Rotkäppchenland 25 km aufwärts und dann 25 km abwärts über Hessens kleinstes Gebirge, den Knüll. Am Ende erreicht man bei Niederaula das Tal der Fulda und folgt dem Fuldaradweg flussabwärts. Die dritte Nacht verbrachte ich in Melsungen. Von dort bis zum Zusammenfluss von Fulda und Werra zur Weser in Hann. Münden verläuft der schönste Abschnitt des Fuldaradwegs. Von Hann. Münden ging es dann den Weserradweg abwärts über das Kloster Bursfelde, Bad Karlshafen, Höxter und das Kloster Corvey nach Holzminden. Dort verlässt der RDE die Weser und folgt bis Berlin der Euroroute R1, die hervorragend ausgeschildert ist, an kritischen Stellen oft mit Markierungen auf dem Radwegbelag. Im Weserbergland sind die Wege noch asphaltiert. Doch mit dem Anstieg in den Harz und vor allem jenseits der Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt werden die Wege schlechter. Unbefestigte Schotterpisten und vermatschte Waldwege appellieren an die Leidensfähigkeit des Radlers.

links: Schicke Radstätten am Radweg Deutsche Einheit (hier in Schwalmstadt), leider mit technischen Mängeln
rechts: Das Brandenburger Tor, hier nicht in Berlin, sondern in Potsdam

Da ich die ersten fünf Tage jeweils zwischen 118 und 85 km gefahren bin und deshalb zunehmende Müdigkeit verspürte, entschied ich mich, den Harz in kürzeren Etappen zu durchqueren. Zunächst ging es von Holzminden über das sehr hübsche Einbeck nach Bad Gandersheim (67 km), dann nach dem sehr sehenswerten Goslar (45 km) und schließlich nach Wernigerode (40 km). Mein Plan, von dort per dampfgetriebener Schmalspurbahn auf den Brocken zu fahren und dort den Nachmittag zu verbringen, scheiterte daran, dass die Bahn werktags nur am Vormittag fährt.

Von Wernigerode führt der RDE über Blankenburg, wo man den Harz hinter sich lässt, und über Thale und Gernrode nach Ballenstedt (52 km) und von dort nach Bernburg (77 km). Dafür hatte ich zwei Tage vorgesehen, entschied mich aber dann aus terminlichen Gründen dazu, auf direktem Weg von Wernigerode über Quedlinburg nach Bernburg zu fahren (84 km).

Von Bernburg ging es am folgenden Tag nach Dessau (64 km). In Köthen habe ich mir Zeit für die Besichtigung der Museen im Schloss genommen, wo u. a. eine äußerst sehenswerte Dauerausstellung zur deutschen Sprache zu sehen ist. In Dessau kann man viel Zeit mit der Besichtigung des Bauhauses, der Gropius-Siedlung (Wohnsiedlung im Bauhausstil) und der so genannten Meisterhäuser verbringen, aber auch Technikfans kommen im Technikmuseum „Hugo Junkers“ auf ihre Kosten, wo sich eine originale JU 52 auch von innen besichtigen lässt. Mir war es noch wichtig, die Ausstellung über den Philosophen Moses Mendelssohn, einen Zeitgenossen Kants, zu besuchen, die in zwei Häusern der Gropius-Siedlung untergebracht ist.

Verlässt man Dessau in Richtung Lutherstadt Wittenberg (72 km), so stößt man noch im Stadtgebiet auf den Schlosspark Georgium und damit auf einen Ausläufer des riesigen Gartenreichs Dessau-Wörlitz. Der Radweg führt von dort bis Wörlitz und Oranienbaum durch eine Gartenlandschaft, die in ihren Ursprüngen auf den Fürsten Franz von Anhalt-Dessau (1740–1817) zurückgeht. Die meisten Touristen dürften das Gartenreich per Eisenbahn oder per Gondel auf den Wörlitzer Seen erkunden. Die beste Möglichkeit zur Erkundung scheint mir jedoch das Fahrrad zu sein. Obwohl ich bei weitem nicht alles gesehen habe, was eines Besuchs wert gewesen wäre, war die Durchquerung des Gartenreichs doch ein eindrucksvolles Erlebnis.

Zwölf Kilometer hinter Oranienbaum kommt man nach Gräfenhainichen, der Heimat von Paul Gerhardt, der mitten im Dreißigjährigen Krieg und trotz eines schweren persönlichen Schicksals so viele hoffnungsfrohe Kirchenlieder komponiert hat, die noch immer in den Gottesdiensten beider großen Konfessionen gesungen werden. In Gräfenhainichen gibt es eine Kapelle, die an Paul Gerhardt erinnern soll. Aber die Kirche war versperrt und es fand sich nicht einmal ein Hinweisschild oder eine Informationstafel vor dem Gebäude.

Nach weiteren 27 km erreicht man Wittenberg, das sich offiziell „Lutherstadt“ nennt und in der tatsächlich wie wohl nirgendwo sonst die Reformation und ihre Geschichte präsent sind. Das Lutherhaus war wegen Renovierung geschlossen, aber eine sehr gut gemachte Ausstellung über ­Luther sowie ein Besuch im Me­lanch­­ton-Haus und in der Stadtkirche entschädigte dafür.

Von Wittenberg führte die zweitletzte Etappe über 102 km schließlich nach Potsdam. Schon kurz hinter Wittenberg beginnt der Aufstieg in den Hohen Fläming, einem bis 200 m hohen Höhenzug. Die wenigen Dörfer, die zu passieren waren, schienen menschenleer zu sein. Schon bald überquert man die Grenze nach Brandenburg. Schlagartig sind die Wege wieder asphaltiert und bleiben es bis zum Ende der Reise. Hinter Bad Belzig wird es wieder flach und schließlich erreicht man den Schwielowsee, eine der vielen Ausbuchtungen der Havel, die jeweils als See bezeichnet werden und einen eigenen Namen tragen. Von Potsdam sind es dann nur noch 37 km bis zum Brandenburger Tor in Berlin. Die Strecke führt durch den Grunewald und entlang des Wannsees, mündet dann auf die Heerstraße, von der es schnurgerade zum Pariser Platz geht – es sei denn, es findet eine EM statt und das Brandenburger Tor ist als Fanmeile ausgewiesen.

Eigentlich sollte die Tour hier nach 968 km zu Ende sein. Aber sowohl das Bikeline-Tourenbuch als auch der GPS-Track zeigen noch kein Ende an. Etwas verblüfft, aber auch neugierig, folge ich den Hinweisen. Es geht vom Pariser Platz in die Wilhelmstraße in nördlicher Richtung und dann geradeaus bis zur Kreuzung Invalidenstraße. Dort steht auf der anderen Straßenseite das beeindruckende Gebäude des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr. Ich fahre links am Gebäude vorbei, wo sich der Parkplatz befindet. Dort erspähe ich die letzte Radstätte des RDE. Der Bildschirm ist total verdreckt und funktionslos – kein lohnendes Ziel für Radler, wohl aber ein schönes Thema für den Bund der Steuerzahler.

Paul Tiedemann