rechts: Radrennbahn an der Festhalle; im Hintergrund die Galluswarte
Sammlung D. Church (3)
Das Fahrrad kommt ins Gallus
„Adler-Fahrradwerke, vormals Heinrich Kleyer“: mit Niederrad und Luftreifen zum Erfolg
Der Frankfurter Heinrich Kleyer unternahm 1879, mit 26 Jahren, eine Reise in die USA. Der Besuch eines Hochradrennens regte ihn an, die Einführung des Fahrrades in Deutschland zu fördern. 1880 gründete er eine „Maschinen und Velozipedhandlung“, in der er in England produzierte Hochräder verkaufte.
Kleyers Laden befand sich zunächst in der Bethmannstraße, dann im Westflügel des Frankfurter Hofs. 1886 bezog er ein neu erbautes Geschäftshaus in der Gutleutstraße. Hier befanden sich nicht nur Verkaufs- und Lagerräume, sondern auch Räume zur Fabrikation und Montage von Fahrrädern. Außerdem gab es einen Übungssaal, um das Radfahren zu erlernen, ohne sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Sein Erfolg war so groß, dass er nach Vergrößerungsmöglichkeiten für seinen Betrieb Ausschau hielt. 1887 konnte Heinrich Kleyer ein Grundstück in der Höchster Straße (heute: Kleyerstraße) erwerben und eröffnete schon zwei Jahre später seine erste große Fabrik mit 600 Beschäftigten.
Ab 1894 stellte Kleyer nur noch „Niederräder“ her und machte sich als erster in Deutschland die Erfindung des Luftreifens nach Dunlop für seine Fahrräder zu Nutze. 1895 wandelte er die Firma in eine Aktiengesellschaft um: „Adler-Fahrradwerke, vormals Heinrich Kleyer“; die Namensgebung erfolgte in Anlehnung an den Adler im Frankfurter Stadtwappen.
Das Velodrom an der Höchster Straße
Bis Ende des 19. Jahrhunderts war Fahrradfahren – oder Radreiten, wie es anfangs noch hieß – angesichts der hohen Anschaffungskosten eine Sache der Bürgerschaft, der Geschäftsleute und des Adels. Man traf sich, wie man sich vorher zum Schlittschuh- und Rollschuhfahren getroffen hatte, jetzt in den Velodromen. Das Erlernen des Radfahrens fand in den Werken im Gutleut wie in der Höchster Straße in großen Übungssälen statt. So konnte man hier nicht nur Fahrräder erwerben sondern auch (wie die unten stehende Zeichnung aus der 90-Jahre-Festschrift der Adlerwerke zeigt) in repräsentativem Ambiente das Radfahren erlernen.
Dass Velodrome zum Erlernen des Radfahrens nötig waren, um die übenden Radfahrer vor dem Spott der Öffentlichkeit zu schützen, kann man daran ermessen, dass diese frühen Räder vergleichsweise kompliziert in der Technik waren. Außerdem gab es Anfeindungen aus der Bevölkerung. Die leise heranfahrenden Räder erschreckten die Pferde und machten sie scheu. Mit der Erfindung der Luftreifen wurden die Räder leichter und damit auch wesentlich schneller. Fast täglich gab es in den Zeitungen Berichte über Unfälle und die Rücksichtslosigkeit der Radfahrer.
Die Administration begegnete dieser Stimmung mit Verordnungen. Die Fahrräder mussten Nummernschilder haben, und 1895 erließ der Frankfurter Polizeipräsident, Freiherr von Müffling, für die gesamte Frankfurter Innenstadt ein Fahrverbot nach 10 Uhr vormittags, auch das Befahren der Frankfurter Brücken war verboten.
So bezeichnete man gleich die erlaubten Straßen außerhalb der Wallanlagen nach dem Polizeipräsidenten als „Müfflingsstraßen“. Da außerhalb der Stadt jeder Landrat für seinen Bezirk andere Vorschriften für die Radler aufstellte, war eine straffreie Ausübung des Radfahrens fast ein Kunststück. Dann wurde eine automatische Sicherheitsbremse erfunden, die „LefèbreBremse“. „Diese Bremse (…) war ein ziemlich umfangreiches Ding von einem ganz ansehnlichen Gewicht. Eine zweischalige Glocke war an der Bremsstange befestigt, die fing an zu klingeln, wenn der ‚glückliche’ Besitzer die höchste zulässige Geschwindigkeit von 12 km in der Stunde überschritt. Wurde aber die Geschwindigkeit gesteigert bis zum 15-km-Tempo, dann wurde das Rad ohne weiteres gebremst. Der Fahrer war dann genötigt, durch einen Druck mit dem Bremshebel die Bremse wieder auszulösen, ehe er weiterfahren konnte. Wollte man außerhalb der Stadt ein schnelleres Tempo einschlagen, dann wurde der ganze Apparat außer Tätigkeit gesetzt, in dem man ein hellgelbes längliches Schild, das von der Bremsstange bei der Fahrt innerhalb der Stadt hervorragen mußte, hochklappte.“ Für die Besitzer dieser Bremse war dann das Fahren in der Innenstadt wieder erlaubt.
Die Proteste gegen das Radfahrverbot waren so groß, dass es 1898 – mit Ausnahme der Alten Brücke – aufgehoben wurde. Aber erst als es Heinrich Kleyer während des Ersten Weltkrieges gelang, das Militär für die Anschaffung von Militärfahrrädern zu gewinnen, gewannen die Befürworter des Fahrrades die Oberhand gegen die Kritiker. Der Zynismus des Krieges: Nach 1918 produzierte man dann für die invalide zurückgekehrten Soldaten die Versehrtenfahrräder.
Radbahnen und Radsportvereine
In den USA wurde Heinrich Kleyer auch Fan des Radsports. 1881 gründete er mit anderen fahrradbegeisterten Fabrikantensöhnen und Bürgern den Frankfurter Bicycle-Club. Mit seiner Finanzierung entstand 1884 die erste Radrennbahn am Oberforsthaus.
Kleyers Bahn wurde abgelöst von der Radrennbahn, die mit der Erweiterung des Palmengartens angelegt wurde. Als weitere Bahn ließen die Brüder Verheyen im Hippodrom eine 85 m Bahn bauen, als vierte Bahn entstand 1903 die „Zementbahn“ an der Mainzer Landstraße und später eine Winterbahn in der Landwirtschaftlichen Halle an der Ostendstraße. An der Festhalle wurde 1910 anlässlich der „Internationalen Ausstellung für Sport und Spiel“ in einem schmucken Stadion zwischen Festhalle und Emser Straße „der Welt schnellste Holzbahn“ für Motorräder und Steherrennen eröffnet. Sie wurde aufgrund der Proteste wegen der Lautstärke aber schon zwei Jahre später abgebaut. Die Holzbahn wurde am Ratsweg eingelagert und nach dem Ersten Weltkrieg hier als „kleine Querlattenbahn für Fliegerrennen“ aufgebaut. Die Tribüne, in der zwischenzeitlich erst mal Schweine gemästet worden waren, wurde 1920 mit dem Einzug von Eintracht Frankfurt an den Riederwald restauriert und hier zum Prunkstück des Vereins. Für den Start der Sechs-Tage-Rennen entstand 1911 die Winterpiste in der Festhalle und schließlich 1925 die Radrennbahn im Waldstadion.
Zweirad Ganzert
Die Radrennen erfreuten sich lange hoher Zuschauerzahlen, zudem konnte Frankfurt mit Bundes- und Weltmeistern punkten, angefangen mit August Lehr, dem für seine Titel auf dem Hoch- wie dem Niederrad am Stadion ein Denkmal gesetzt war – das leider irgendwann verschwand.
Gewerkschafter:innen und sozialistisch orientierte Radsportler:innen organisierten sich im Arbeiter-Rad- und Kraftfahrer-Bund Solidarität, der schließlich weit größer wurde als der Bund Deutscher Radfahrer, mit den eigenen Frischauf-Fahrradwerken in Offenbach. Es wurden gemeinsame Ausflüge unternommen, der Saalradsport hatte eine große Bedeutung, die „Roten Radler“ waren darüber hinaus auch wichtige Kuriere für die Kämpfe der Arbeiterbewegung.
Dank an die Geschichtswerkstatt Gallus.
Den Beitrag haben wir der Reihe „Die Geschichtswerkstatt Gallus berichtet“, 67, Juli 2018, entnommen. Wir bedanken uns bei der Autorin Hanne Emrich und bei Helga Roos (redaktionelle Bearbeitung und Ergänzung). Den Text haben wir gekürzt.(red.)