Hier geht’s lang! – Oder auch nicht.
„Radfahren gehört immer mehr zum Alltag, ob im Berufsverkehr oder in der Freizeit. Das schont die Umwelt, fördert die Gesundheit und hat auch eine zunehmende wirtschaftliche Bedeutung. Freizeitradler stärken den Tourismus gerade im ländlichen Raum. Die Förderung der Fahrradmobilität ist daher ein integraler Bestandteil der hessischen Verkehrspolitik.
Für sicheres und komfortables Radfahren sorgt ein eigenes durchgängiges Verkehrsnetz mit Hauptrouten, die wichtige regionale Ziele miteinander verbinden, und Nebenrouten zur lokalen Verknüpfung. Diese Wegenetze benötigen eine konsistente und verständliche Wegweisung.“
Diese Sätze werden dem hessischen Verkehrsminister im Vorwort des HANDBUCH ZUR RADWEGWEISUNG IN HESSEN zugeschrieben.
Seitdem sind viele Radwegweisungen in Hessen geplant und umgesetzt worden – Radfahrende müssen sich immer seltener mit Karte oder Handy orientieren, egal ob in der Kommune, im Wald oder auf dem Feld. Das vom Minister in Aussicht gestellte „sichere und komfortable Radfahren“ ist damit allerdings nicht verbunden, weder rechtlich noch logisch noch faktisch.
Rechtliche Perspektive:
Haftungsfragen zu Lasten
der Nutzenden
Stellen wir uns einmal vor, Gerda und Hans Bergner, wohnhaft in Ruppertshain wollen aktiv bei der Verkehrswende mitmachen und schwingen sich deshalb auf ihre Tourenräder, um zum Kaffeetrinken über den Viktoriaweg zur Billtalhöhe zu radeln. Dieser Weg ist Bestandteil des lokalen Radhauptnetzes und als solcher auch ausgeschildert. Dort, wo Hessen Forst aufgrund von Rodungsarbeiten die Wegoberfläche mit groben Kieseln „repariert“ hat, rutscht Hans Bergner aus und bricht sich dabei das Handgelenk. Der ausgeschilderte Wegabschnitt ist mit der neuen Oberfläche nur von geübten Radfahrenden auf Fahrrädern mit breiter Bereifung befahrbar. Hans Bergner hat über ein Jahr mit den Folgen des Bruchs zu tun, sein Fahrrad benutzt er nie wieder. Auf der Internetseite von Hessen Forst findet sich dazu der Satz: „Das Betreten des Waldes erfolgt auf eigene Gefahr. Das gilt auch für das Betreten und Befahren gekennzeichneter Rad-, Reit- und Wanderwege.“
Logische Perspektive:
Enttäuschte Erwartungen
Im zweiten Beispiel geht es um Familie Bader aus Bad Soden. Neu aus Frankfurt zugezogen, sind den Baders die Radschilder in der Stadt positiv aufgefallen. Wie in Frankfurt sollen die beiden Jugendlichen auch in Bad Soden mit dem Rad zur Schule fahren. Der direkte und auch ausgeschilderte Radweg zur Albert-Einstein-Schule führt im Gully-Slalom durch den Eichwald bis zur Drückerampel hinter dem Krankenhaus und auf der anderen Seite der Schwalbacher Straße bis zur Schule. Der unbefestigte Zustand des Wegs zur Ampel ist bei Nässe nicht befahrbar, denn die Jugendlichen sind nicht mehr im Alter, in dem man „Matschhosen“ trägt. Wenn Radwegweisung, dann Radfahren? Zu eindimensional gedacht. Zum Glück haben die Baders noch eine zweite Option über die Staufenstraße und die Unterführung der S-Bahn (Radfahrer müssen absteigen). Leider sind die Querungsinseln beim Bürogebäude der Continental GmbH der morgendlich großen Zahl an Schüler:innen nicht gewachsen. Dreck oder Drängeln – die Baders haben sich unter ausgeschilderten „sicheren und komfortablen“ Radrouten etwas anderes vorgestellt.
Faktische Perspektive:
Radschilder brauchen Radwege
Im dritten Beispiel fährt Peter Atzel mit dem Rad aus Ehlhalten zu seiner Arbeit als Lehrer an der Eichendorffschule in Kelkheim Fischbach. Er liebt es, diese 30 Minuten morgens auf dem Kramerweg mit seinem straßentauglichen Mountainbike durch den Wald zu fahren. Nachmittags, wenn er zuhause ankommt, hat er nach den knapp 8 Kilometern den Kopf wieder frei. Seitdem Hessen Forst den Weg „saniert“ hat, rutscht Peter Atzel beim bergauf fahren immer wieder das Hinterrad durch und beim bergab fahren ist allerhöchste Vorsicht geboten. Auf dem lockeren Kieseluntergrund ist starkes Bremsen nicht möglich, was er leider erfahren musste, nachdem ihm bei einer Heimfahrt ein Reh vor das Rad gelaufen war. Seitdem fährt er auf dem Radweg entlang von L 3011 und B455 über Eppstein nach Fischbach. Diese Strecke ist zwar weniger idyllisch, aber dafür alltagstauglich. Als Peter Atzel seine neue Stelle an der Hofheimer Gesamtschule Am Rosenberg antritt, kauft er sich ein Pedelec, denn 15 km und 200 Höhenmeter sind damit leicht zu bewältigen. Nach einem Monat und diversen unschönen Erfahrungen ohne Radweg Im Lorsbachtal und auf der Rheingaustraße fährt er wieder mit dem Auto zur Arbeit …
Der ADFC steht voll und ganz hinter einer einheitlichen Radwegebeschilderung. Verbunden mit untauglichen Wege(Oberfläche)n wird aus einem guten Konzept allerdings keine Grundlage für sicheres und komfortables Radfahren – egal ob im Alltag oder in der Freizeit.