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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

Artikel dieser Ausgabe
Radeln auf der Kasseler Straße in Bad Vilbel – regelkonform in die Sackgasse?
Theo Sorg

Die Radfahrenden:
Rowdys oder
Schutzbedürftige?“

Sind Radfahrer die besseren Menschen?“ Unter diesem Titel griff die Hessenschau im Juni 2022 ein Thema auf, das die Gemüter zunehmend kontrovers bewegt. Radfahrende sehen sich dabei häufig öffentlicher Kritik ausgesetzt. „Sie fahren bei Rot über jede Ampel, sie rasen als Fußgängerschreck durch verkehrsberuhigte Zonen, sie missachten Vorfahrtsregeln und sind als Geisterfahrer auf der falschen Straßenseite unterwegs, bei Dunkelheit fahren sie ohne Licht. Die Straßenverkehrsordnung scheint für sie keine Rolle zu spielen.“ Oder: „Alles rücksichtslose Rüpel, Egoisten auf zwei Rädern.“

Diese Wahrnehmung ist genauso aufgeregt wie falsch – oder zumindest undifferenziert. Rein emotionale Vorurteile und pauschale Schuldzuweisungen sollten einer lösungsorientierten, differenzierten Betrachtung weichen. Formulieren wir also die eingangs gestellte Frage neu: Halten sich Radfahrende für die besseren Menschen?

Immerhin nutzen sie ein umwelt- und klimafreundliches Verkehrsmittel, das zudem auf Kurzstrecken eine sehr effiziente Alternative zum Auto ist. Gründe für einen gewissen Stolz auf die eigene Person hätten sie also durchaus. Aber der Autor, selbst Radfahrer, ist sich ziemlich sicher: Wir, die Radfahrenden, sind mehrheitlich realistisch und vernünftig genug, um uns als ganz normale Menschen zu betrachten, mit Schwächen und Fehlern. Wir neigen gelegentlich, ebenso wie andere Verkehrsteilnehmende auch, zu Aggressivität, und gelegentlich missachten wir auch die Verkehrsregeln, keine Frage. Damit sind wir in eine bedauerliche allgemeine Entwicklung im Straßenverkehr eingebunden, die in zunehmendem Maß durch mangelnde Impulskontrolle bis hin zu Gewaltbereitschaft gekennzeichnet ist. Absolut verkürztes Denken jedoch wäre es, diesen Trend zur Verrohung der sozialen Umgangsformen auf die Radelnden zu verengen oder gar vor allem ihnen anzulasten.

Rücksichtslos, fahrlässig, egoistisch?
Wie eingangs beschrieben, werden Radfahrende in der Öffentlichkeit oft als rücksichtslos, fahrlässig und egoistisch wahrgenommen. Haltlose Vorurteile, gewiss, doch vielleicht im Kern manchmal nicht ganz unbegründet? Hier ist nicht die Rede von Rowdys, die als Halbhirne auf zwei Rädern andere in Gefahr bringen; im Gegensatz zu diesen verhalten sich die meisten Radfahrenden durchaus umsichtig und vernünftig. Worin aber sind die beobachteten Regelverstöße und Egoismen begründet? Beruhen sie auf purer Ignoranz oder sind es vielmehr Symptome?

Hiesigen Städte- und Verkehrsplaner:innen ist es leider bis heute nicht gelungen, integrierte Konzepte zu verwirklichen, durch die die verschiedenen Gruppen von Verkehrsteilnehmenden vor Konflikten ausreichend geschützt würden. In unserem Land mit seiner ausgeprägten Autolobby sind die Radfahrenden als die schwächere Gruppe im öffentlichen Verkehrsraum bisher unterprivilegiert – die zu Fuß Gehenden übrigens ebenfalls. Die Angst fährt daher häufig mit.

Ein Blick ins benachbarte Ausland zeigt, dass es auch anders geht: Dort erleben Radfahrende – und nicht nur sie – jenes unaufgeregte und entspannte Miteinander, um das wir hierzulande durch untaugliche Planungen noch immer betrogen werden. Demgegenüber wird hier die Fortbewegung auf zwei Rädern (oder auf zwei Füßen) im Straßenverkehr oftmals zum russischen Roulette. Wen wundert es, dass dann selbst umsichtige Radelnde nach eigenen Wegen suchen und sich das gefahrlose Vorwärtskommen durch Regelverstöße förmlich ertrotzen müssen? Wir, die Radelnden, verstehen ein solches Verhalten durchaus auch als Selbstschutz. In der allgemeinen Wahrnehmung hingegen gelten Radelnde dabei als engstirnige Rüpel. Konflikte sind somit vorprogrammiert, Kämpfe ums Territorium auf Gehwegen, in Einbahnstraßen und andernorts … Das ist die alltägliche Hackordnung.

Radelnde sind die Schwächeren!
Für uns ergibt sich daraus zweierlei: der Verlust von Wertschätzung und Akzeptanz im sozialen Raum des Straßenverkehrs und – viel schlimmer – nicht selten lebensbedrohliche Situationen. Zahllose tödliche Fahrradunfälle sprechen eine bedrückend deutliche Sprache. Radelnde sind die Schwächeren – und werden es auf absehbare Zeit leider auch bleiben.

Solange eine Verkehrswende politisch augenscheinlich nicht wirklich gewollt ist und eine radverkehrsfreundliche Anpassung der StVO für überflüssig gehalten wird, müssen wir uns als Radelnde selbst schützen. Aber nicht im Wege von Rangeleien ums Territorium, auch nicht mit trotzigen Regelverstößen, sondern mit Vorsicht und Umsicht: Mediation statt Konfrontation, Rücksichtnahme statt Schuldzuweisung und – jetzt wird es anspruchsvoll – auch zuweilen Verzicht statt Konflikt. Solange wir Radfahrenden nicht besser geschützt werden, ist ein solches Verhalten einfach nur Ausdruck von Klugheit.

Zugegeben, das ist ein hoher Anspruch. Wenn jedoch regelkonformes Verhalten (und darum geht es hier) populär werden soll, braucht es eine Institution jenseits der ungeliebten Ordnungsämter und ihrer Überwachungsmethoden. Diese Institution haben wir: den ADFC. Schüttelt man beim Club jetzt erstaunt oder irritiert den Kopf? Nun, der ADFC ist als Interessenvertretung der Radfahrenden stets um das Wohl und die Sicherheit seiner Klientel bemüht, wobei natürlich davon auch alle übrigen Radfahrenden profitieren dürfen. Davon ausgehend drängt sich die folgende Frage auf: Welches Interesse von uns Radfahrenden könnte größer sein als dasjenige, im Straßenverkehr unbeschadet zu bleiben? Weil Radfahrende die schwächere Gruppe sind, wäre es eine intelligente Strategie, sie zu einem regelkonformen Verhalten zu motivieren. Wer die Regeln einhält, ist in seinem Verhalten für andere im öffentlichen Verkehrsraum schlichtweg besser einschätzbar, und das kann eine nicht unerhebliche „Lebensversicherung“ sein – nicht nur für uns als Radfahrende allein.

Hier soll ein Denkanstoß gesetzt werden: Könnte der ADFC sich für mehr regelkonformes Verhalten der Radfahrenden einsetzen? Letztendlich wären wir Radfahrende dann zwar immer noch nicht die besseren Menschen, aber wir wären auf dem besseren Weg …

Roland Tatzel