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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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alle Fotos: Peter Sauer

Fischbrötchen im Norden

Unterwegs zwischen Nord- und Ostsee und am gleichnamigen Kanal


Aus einem Imbisswagen heraus wird Fisch verkauft, frisch, geräuchert oder eingelegt. Und natürlich Fischbrötchen. „Matjes, Bismarck, Lachs? Dunkles Brötchen, helles Brötchen? Zwiebel-Zitrone-Honig-Dressing? Habe ich gerade heute früh frisch gemacht. Oder ’was anderes? Die Brötchen lege ich euch nochmal auf den Grill, dauert etwas.“ Das Warten lohnt sich. Kein Vergleich zu den Fischbrötchen in Frankfurt, kein Vergleich aber auch zu vielen anderen Imbissbuden zwischen Nord- und Ostsee. Hier zeigt einer, wie aus einem vermeintlich simplen belegten Brötchen ein kleines Gourmetstück werden kann. Kein Wunder, dass die Hot-Dog-Bude wenige Meter weiter keine Kunden anzieht.

Wir befinden uns an der Ostsee, am alten Hafen von Eckernförde. Begonnen hat die Reise jedoch auf der anderen Seite Schleswig-Holsteins, in Husum, der angeblich grauen Stadt am Meer. Dorthin fährt, umsteigefrei und mit Fahrradabteil, der Zug aus Frankfurt und bestimmt dadurch das erste Etappenziel. Fest reserviert ist für einige Tage eine Ferienwohnung in der Nordsee-Stadt. Danach für weitere fünf Tage eine Wohnung in Schleswig und dann eine Woche in Kappeln an der Schlei. Von dort soll es quer durchs Land zurück an die Nordsee gehen und über die Elbe hinweg ins Alte Land, von wo die Rückfahrt per Bahn vorgesehen (aber nicht vorreserviert) ist.

Husum ist ein hübsches Städtchen, mit Cafés, Restaurants, Geschäften und zwei sehenswerten Fischläden. „Dann kochen Sie halt eine Kartoffel weniger!“ begegnet die Verkäuferin meinen Bedenken angesichts der ziemlich großen Fischstücke, die auf der Waage liegen. Wir verlassen das Fischparadies am alten Hafen und hoffen auf eine passende Pfanne in der Ferienwohnung. Die gibt es, man ist offensichtlich auf solche Portionen eingestellt.

Von Husum ist als bequemer Tagesausflug (je nach Windrichtung und -stärke) Friedrichstadt zu erreichen. Das historische Städtchen verbreitet mit seinen Grachten und Brücken holländischen Charme. Gegründet von Niederländern im 17. Jahrhundert, sollte es zu einem wichtigen Handelshafen an der Nordseeküste werden. Der wirtschaftliche Aufschwung blieb jedoch aus, geblieben aber ist der hübsche Ort, dessen attraktiver zentraler Platz heute leider als Pkw-Parkplatz missbraucht wird.
Auf dem Rückweg halten wir noch am zweiten Fischparadies in Husum, das am eigentlichen Hafen liegt, weniger schick, aber nicht weniger gut sortiert. Die Pfannengröße haben wir ja jetzt vor Augen.

Auf dem Nordsee-Radweg fahren wir von Husum in Richtung Nordstrand. Ehemals eine Hallig, ist aus der Insel durch einen Damm eine Halbinsel geworden. Der Radweg dorthin ist gut ausgebaut, man fühlt sich fast wie auf hoher See (wozu auch der heftige Westwind beiträgt, der das Ziel nur mühsam näherkommen lässt). Erholen können wir uns am ehemaligen Anleger im Süderhafen, von dem früher Agrarprodukte verschifft wurden. Heute erinnert nur noch ein altes Silogebäude daran, und natürlich die kleine Imbissbude. Starker Tee und ein handgemachter Fisch-Burger entschädigen für Nieselregen und kalten Westwind, bevor wir weiter zwischen Schafherden und Deichen über das Marschland fahren und uns auf den Rückenwind bei der Rückfahrt nach Husum freuen.

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Husum ist natürlich auch die Stadt Theodor Storms. Seine dramatische Geschichte vom „Schimmelreiter“ mit dem Deichgrafen Hauke Haien liegt, wenig überraschend, als schmale Ausgabe stapelweise im Buchladen aus und hat es so in unsere Fahrradtaschen geschafft. Das passt zu einem Regentag in Husum.Wir verlassen Husum und fahren nach Schleswig über gut ausgeschilderte Nebenstraßen oder Radwege durch die wellige, dünn besiedelte Landschaft. Kleine Dörfer, einzelne Bauernhäuser, verschlossene Gasthöfe, keine Cafés. Uns rettet eine Tankstelle in Osterfeld, wie so oft im Radfahrer:innenleben, in der auch am Sonntag Kaffee und etwas Gebäck verkauft wird. So schaffen wir es, mit ein paar regenbedingten Pausen, bis vor den Schleswiger Dom. „Heute geöffnet“ empfängt uns ein riesiges Schild, nicht an der großen Kirche, sondern am „Dom-Café“ direkt gegenüber. „Wir backen wie zu Omas Zeiten“ lässt uns dann endgültig schwach werden und die Räder vor dem Haus festschließen, bevor wir das Etablissement betreten.

Ein sehr altes Ehepaar, sie offensichtlich bereits etwas verwirrt und Vielrednerin, platziert uns an einem mit bestem Porzellan gedeckten Tisch, serviert selbstgebackenen Kuchen und Kaffee und redet und redet und redet. Der Kuchen ist gut, die Preise sind moderat, das Ambiente ist sehenswert. Doch sind wir erleichtert, als weitere Gäste eintreten und sich die Dame des Hauses diesen zuwendet – um weiterhin zu reden und all das, was sie uns bereits mehrfach erzählt hat, nun am Nachbartisch zu wiederholen.

Im Ort rümpft man ein wenig die Nase, wenn das Gespräch auf das Dom-Café kommt. Die Beiden seien wohl etwas verrückt, heißt es, ob das alles mit rechten Dingen zugehe, wisse man nicht, ob alle Hygieneregeln eingehalten werden, wird bezweifelt. Als touristisches Ereignis für einen Besuch lohnt es aber in jedem Fall (falls das Café den Sommer gut überstanden hat).

In Schleswig gibt es kein Fischgeschäft mehr! In einer Kreisstadt auf halbem Weg zwischen Nordsee und Ostsee existiert kein Fischgeschäft! Das monieren nicht nur wir, das moniert auch die Presse vor Ort. Aber zum Glück gibt es auch hier Wochenmärkte, auf denen ein mobiler Fischhändler das verkauft, was die Radtourist:innen schätzen und was sie in einen abgelegenen Vorort treibt, um die letzten beiden Schollen aus der Auslage des Wagens zu ergattern. Auch in der Schleswiger Ferienwohnungsküche fanden sich ausreichend große Pfannen im Schrank.

Unbedingt besuchen sollte man den Holm, eine ehemalige Fischersiedlung am Rande der Altstadt, deren Häuser kreisrund um einen Friedhof gruppiert sind (und die inzwischen teilweise zu schicken Domizilen umgebaut wurden). Auch die Altstadt selbst bietet hübsche Ecken, liegt aber etwas sehr ruhig abseits des eigentlichen Geschäftszentrums. Und Schloss Gottorf mit Museumsinsel und Gartenanlagen ist sowieso Pflicht und passt bei Regen gut ins Programm.

Von Schleswig geht es weiter parallel zur Schlei nach Osten. Die Orte heißen Brodersby, Ulsnis, Ketelsby oder Grödersby. Manche sind in der Karte in Fettschrift eingetragen, doch davon ist beim Durchfahren kaum etwas zu erkennen. Ein paar Häuser, eventuell ein geschlossener Gasthof, vielleicht eine Kirche – und schon folgt das Ortsende. Die Strecken sind meist gut beschildert und folgen asphaltierten Wegen. Separate Radwege an Hauptstraßen sind vorhanden, aber leider oftmals in einem Zustand, der den Landesverband des ADFC zu einer Sanierungskampagne aufrufen lässt.

In Kappeln dann wohnen wir am östlichen Ufer der Schlei, die Innenstadt liegt am westlichen. Dazwischen sorgt eine Klappbrücke für eine zuverlässige Verbindung – so lange sie geschlossen ist. Doch einmal je Stunde öffnen sich die Flügel der Brücke, der Strom der Autos auf der Bundesstraße kommt zum Erliegen, der der Radfahrenden ebenfalls. Dann hat die Schifffahrt Vorrang, Segelboote und Motorjachten, auch einige Berufsschiffer, verlassen die Schlei in Richtung Ostsee oder kommen von dort zurück zu ihren Liegeplätzen. Ein Spektakel für alle Touristen, die geduldig auf dem Kai ausharren, bis die Schiffspassage beendet ist, die Brückenflügel sich langsam senken und der Autoverkehr wieder Fahrt aufnimmt.

Aber Kappelns Attraktionen beschränken sich nicht auf diese Brücke. Kappeln hat auch Fisch Föh. Und bei Fisch Föh („und Aalräucherei!“) gibt es alles, was das Herz begehrt. Fisch, gebacken, gekocht oder frisch, im Brötchen oder mit Kartoffelsalat, geräuchert – das Angebot ist überwältigend. Das hat sich herumgesprochen unter den Urlaubern, eine lange Warteschlange zeugt davon. Und die Damen hinter dem Verkaufstresen bemühen sich, die Geduld der Hungrigen nicht gar zu sehr zu strapazieren. Die meisten von denen müssen ja gleich wieder runter an den Kai, der nächsten Brückenklappung zusehen.

Klappbrücken gibt es natürlich auch andernorts im Norden. In Lindaunis, nur wenige Kilometer landeinwärts, teilen sich Straßen- und Bahnverkehr eine schmale klappbare Eisenkonstruktion über die Schlei, in Husum quert der Zug nach Sylt die alte Hafeneinfahrt auf einer Klappbrücke und in Eckernförde klappt es für Unmotorisierte im Hafenbecken. Ein planbares Ereignis daraus macht aber nur Kappeln. Wem das zuviel der Klapperei ist: In Missunde kann man die Schlei auf einer ganz normalen Fähre überqueren, um zum Beispiel von Schleswig einen Ausflug nach Eckernförde (siehe dazu Essenstipp weiter oben) zu machen. Und die Arnis-Fähre kommt in Betracht, wenn von Kappeln eine kleine Schlei-Runde mit Kaffeepause im Gasthaus in Sieseby vorgesehen ist.

Nicht verpassen: die Geltinger Birk, ein Naturschutzgebiet an der Küste. Von Kappeln auf Nebensträßchen stur nach Norden. Hinter Gelting (Bäckerei mit Kaffeeausschank!) kommt schon Dänemark in Sicht – das sind die Inseln, die sich am Horizont in der Ostsee erahnen lassen. Über einen schmalen Deichweg erreichen wir die alte Windmühle, die den Zugang zum Naturschutzgebiet markiert. Ungewohnt ruhig ist es hier, wo Strände nicht für Urlauber vorgesehen sind, sondern Wildvögeln als Landeplatz dienen. Das ändert sich aber nach Umrundung des Schutzgebietes, hier folgen wieder Ferienhäuser und Campingplätze und, immerhin, Cafés. Im Juni alles noch recht friedlich, lässt es aber bereits ahnen, was im Sommer auf die Ostseeküste zukommt. Auch auf den rot-weißen Leuchtturm, der längst außer Betrieb ist und nun von Ausflüglern bestiegen werden kann. Von der Plattform ist dann, wenig überraschend, die Ostsee von oben, Dänemark weiterhin im Dunst ganz hinten und der Campingplatz aus der Vogelperspektive zu sehen. Heiraten kann man dort im Turm in einem engen Zimmerchen. Das käme, meint der Betreiber, vielen entgegen, die keinen Wert auf den ganzen Familienanhang legten, auch wegen Corona, und nun mit Verweis auf Platzmangel im kleinen Kreis blieben. Das Angebot werde gut angenommen, er selbst wisse als ehemaliger Standesbeamter, dass es Hochzeiter aus ganz Norddeutschland in den Leuchtturm verschlage. Für einen kleinen Sektempfang könne er auch noch sorgen. Dass wir bereits verheiratet seien, mache gar nichts. Er biete auch Silberhochzeitsfeiern an.

Weiter geht es entlang der See, mal hinter dem Deich, mal auf ihm. In Maasholm, an der Mündung der Schlei in die Ostsee, gebe es die besten Fischbrötchen weit und breit, wurden wir informiert. Maasholm liegt auf dem Weg, die Fischbrötchen sind gut (aber wir waren bereits in Eckernförde!), und der Ort, ein ehemaliges Fischerdorf, ist auch ganz pittoresk und lohnt einen Abstecher.

Von Kappeln fahren wir auf dem Ostseeradweg nach Süden, warten unter den Schirmen einer Bäckerei im wenig pittoresken Ferienresort Damp 2000 einen Gewitterschauer ab und erreichen danach Eckernförde (ja, hier wieder Fischbude am Hafen). Danach geht es steil bergauf auf schmalen Pfaden, bevor wir die Route zum Nord-Ostsee-Kanal, dorthin nun steil bergab, und nach Rendsburg erreichen.

Jetzt kommen endlich die großen Brücken. In Rendsburg quert die Eisenbahn auf einer gigantischen Hochbrücke den Nord-Ostsee-Kanal. Unter der Brücke hängt eine Schwebe-Fähre, die die beiden Seiten der Stadt miteinander verbindet. Wenigstens für die, die den Kanal nicht durch den Straßentunnel queren dürfen oder durch den Rad- und Fußverkehrstunnel (eine ungewöhnlich lange Rolltreppe – und ein groß bemessener Lift – führen zur Röhre unter der Kanalsohle) queren wollen. Oder keine Lust auf Fähren haben, die überall zwischen Brunsbüttel und Kiel kostenfrei die trennende Wirkung der Großschiffahrtsstraße mitten durch Schleswig-Holstein mildern. Die meisten der Hochbrücken über den Kanal tragen Autobahnen oder Bahngleise und bleiben Radtouristen verschlossen.

In Rendsburg also Schwebefähre („Fußgänger und Radfahrer haben Vorrang“) und NordArt, eine breit angelegte Kunstausstellung, die auf dem Gelände einer ehemaligen Eisengießerei in weitläufigen Parkanlagen und alten Fabrikhallen stattfindet. Wer nach dem Besuch über mehrspurige Straßen zum netten alten Ortskern und über weitere mehrspurige Straßen (wo kommt der viele Verkehr in dem Städtchen her?) zum netten Hotel am Rande einer historischen Häuserzeile zurückfindet, hat Rendsburg eigentlich gesehen. Die Hochbrücke, auf der die Eisenbahn den Ort und den Kanal quert, ist sowieso fast immer in Sichtweite.

Der Radweg auf der Südseite des Kanals liegt im Wind, wir kämpfen langsam dagegen an. Pause an der Lotsenstation, an der die Kanallotsen mit kleinen Booten zu den großen Schiffen gebracht werden, um diese sicher durchs Land zu navigieren. Übernachtung in einer „Fahrradherberge“, einer einfachen Unterkunft in einer ehemaligen Gaststätte, die wie ein Museum aus den 50er Jahren daherkommt. Die Betreiber haben ein kleines Bettenhaus mit einfachen Zimmern daneben gestellt, es gibt ein Gemeinschaftsbad, ein warmes Abendessen und ein formidables Frühstück im Salon der ehemaligen Gaststätte, alles zu sehr moderaten Preisen. „Als der Kanal-Radweg geplant wurde“, sagen die Inhaber, „haben wir uns überlegt, dass die Radler ja auch irgendwo übernachten müssen.“ Und so trinken in dem Gasthof nicht mehr die Bewohner von Lütjenbornholt ihr Feierabendbier, sondern die Radtourist:innen auf dem Kanalweg. Die am nächsten Morgen noch der Empfehlung folgen, ein paar Kilometer zurück über die dortige Hochbrücke auf die Nordseite des Kanals zu gelangen. Dort liege der Weg im Windschutz der Bäume. Das stimmt. Wenn wir das nur am Vortag schon gewusst hätten …

In Brunsbüttel endet der Kanal, hinter der großen Schleusenanlage ist die weite Elbmündung zu sehen. Vor den Schleusen liegt das Schleusenmuseum, in dem uns ein ehemaliger Hochsee-Kapitän und Kanallotse noch einmal alles zum Lotsenwesen auf dem Nord-Ostsee-Kanal erläutert – so, dass auch wir Laien etwas verstehen. Reisen bildet – man lernt, gerade als Landratte, im Norden ständig dazu.
Am ehemaligen Kernkraftwerk Brokdorf vorbei geht es hinter oder vor dem Elbdeich zur Elbfähre in Glückstadt. Wir setzen über nach Niedersachsen, ins Alte Land, schauen uns in Stade und in Buxtehude um, und queren einige Tage darauf den Hamburger Hafen von Süden, komplett auf bestens ausgeschilderten Radrouten. Die Elbe wird erneut gequert bzw. im alten Elbtunnel unterfahren, an den Landungsbrücken wird ein letztes Fischbrötchen vertilgt, bevor wir in Altona den Intercity nach Frankfurt besteigen, den wir überraschend kurzfristig mit Fahrradabteil buchen konnten. Manchmal hat man auch Glück mit der Deutschen Bahn.

Peter Sauer