9 Euro, aber ohne Fahrrad
Für mich ist es nicht der Preis, der das 9-Euro-Ticket so attraktiv macht. Ich hätte auch ein wenig mehr ausgegeben, um günstig durch die Republik zu kreuzen. Für mich ist das Besondere an dieser Fahrkarte, dass mit ihr Zugang zu fast allen öffentlichen (Nah-) Verkehrsmitteln besteht und damit endlich die vielen Hürden zur Nutzung des ÖPNV überwunden werden. Wabensysteme, die für Ortsfremde kaum zu verstehen sind, vierstellige Tarifgebietsnummern, die in einer bestimmten Reihenfolge durchfahren werden können, Kurzstrecken, Übergangstarife, Regionaltickets und Regionaltickets+Irgendetwas, Baden-Württemberg-Young oder Bayern-Hopper, Hessenticket oder SchönerTagTicket NRW, Ländertickets mit unterschiedlichsten Konditionen – das Land ist voller Grenzen, die Kartenübersicht der Verkehrsverbünde, 46 sind auf der Webseite der Bahn gelistet, erinnert an längst vergessen geglaubte Kleinstaaterei. Und jetzt einfach einsteigen? In Frankfurt in die DB, in Ingolstadt in den Bus, in Hamburg in die U-Bahn – alles ganz einfach, ohne Gedanken an regionalen Tarif-Wirrwar oder an Ländergrenzen? Das macht für mich den eigentlichen Erfolg des 9-Euro-Versuchs aus, der offensichtlich enorm viele Menschen auf die Bahn bringt, wie man auf vielen Linien sehen kann. Und genau das wird nun wiederum für mich zum Problem. Denn eine Fahrradmitnahme war in vielen Verbindungen kaum noch möglich.
Wer das Glück hat, am Startpunkt einer langlaufenden Zuglinie zu leben, konnte eventuell noch einen Platz für das Velo finden. Am Frankfurter Hauptbahnhof geht noch was, in Hanau wird es bereits sehr eng, und in Aschaffenburg ist eine Fahrradmitnahme schon nicht mehr möglich. Wo ansonsten Fahrräder stehen, stehen nun Fahrgäste, die keinen Sitzplatz mehr gefunden haben. An einem Sonntag ist der Regionalexpress nach Würzburg bereits in Maintal übervoll. Im Bahnhof Ingolstadt kann der Zug nach Regensburg nicht alle Fahrgäste aufnehmen, der nach Bamberg wird gleich ohne Fahrradwagen angekündigt (und kommt dann doch wie gewohnt daher – man will wohl Radfahrende gleich von der Mitfahrt abschrecken). Zwischen Mainz und Koblenz sind die Züge nicht nur am Wochenende brechend voll, Radtouristen müssen auch an einem Montag auf dem Bahnsteig zurückbleiben. Im niedersächsischen „Metronom“ war die Fahrradmitnahme zwischen Uelzen und Hamburg ganz untersagt, hier mussten die annähernd 100 km zwischen den beiden Städten im Zweifel per Pedale überwunden werden. Das schränkt den Aktionsradius eines Wochenendausflugs oder eines Urlaubs erheblich ein. Denn nur Verbindungen mit S-Bahnen oder kurzen Zuglinien waren für Radreisende halbwegs sicher planbar. Wer in den Spessart will, nimmt besser den Zug der HLB mit Endhalt in Laufach, statt sich am Würzburger RE zu probieren – nach Laufach wollen wenige, nach Würzburg (und darüber hinaus) viele. Weiter Richtung München dann besser nicht über Nürnberg, sondern lieber über Treuchtlingen reisen. Das dauert zwar länger, erhöht aber die Chance, auch für das Fahrrad einen Stellplatz zu ergattern. Und so ist die Reiseplanung wieder recht kompliziert geworden für die, die ihr Fahrrad gerne mit auf Tour nehmen.
Und die Alternative? Fernverkehr mit ICE, nun immer häufiger mit Fahrradmitnahme, dafür aber nicht für 9 Euro zu haben. Meistens auch nicht für einen höheren Preis. Nach „Verbindungen mit verfügbaren Fahrradstellplätzen anzeigen“ folgt auf der Webseite der Bahn meist die Meldung „Fahrradstellplätze besetzt“.
Jetzt bin ich gespannt darauf, wie es im Herbst weitergeht. Ein Zurück zu dem bisherigen Tarifwirrwar scheint mir kaum durchsetzbar. Und über die Preise muss geredet werden (hier war zum Redaktionsschluss noch nichts entschieden). Hoffentlich ist unser Bundesfinanzminister in dieser Zeit in Urlaub. Möglichst weiter weg als nur in Sylt. Ich jedenfalls wäre auch bereit, ein paar Euro mehr auszugeben, wenn die Fahrradmitnahme dadurch wieder so einfach wäre wie die Überwindung der Tarifgrenzen im ganzen Land.
Peter Sauer