Teamer Klaus hilft bei der Montage des Kettenschutzes
alle Fotos: Peter Sauer
Selbsthilfe am Samstag
Die Technik-AG bietet ihre Dienste jetzt im
Bonameser Ben-Gurion-Ring an
J. wohnt im Ostend, hat vor einigen Jahren einen Ganztageskurs bei der Technik-AG gemacht und will nun die Kette ihres Rades straffen. N. aus Oberursel hat ebenfalls einen Technikkurs absolviert und sich vorgenommen, sein Rad selber in Schuss zu halten. Heute ist die Bremse dran. C. hat den Weg von Bockenheim zum Ben-Gurion-Ring gefunden, nach längerer Suche. Sie hat ihr Rad auf breitere Reifen umgerüstet, doch der am Hinterrad läuft nicht sauber rund und schleift am Rahmen. Eine verschwitzte junge Frau kommt zu Fuß in die Werkstatt. Der Schlauch hat sich zwischen Felge und Mantel selbständig gemacht und blockiert das Hinterrad. Deshalb steht ihr Rad bewegungsunfähig an der U-Bahn-Station. Sie sucht Hilfe.
Dann ist da noch B. von der "Bürgerinitiative Am Bügel". Sie bietet im Nebenraum gegen eine Spende Kaffee und Kuchen an und kümmert sich um spontane Besucher, meist aus der unmittelbaren Nachbarschaft. L., der bärtige Hausmeister, der sein Lasten-Dreirad günstig im Internet erstanden hat, bringt damit Ausrüstungsgegenstände für die Räume der BI. Das Bild komplett machen Andreas Dammer und Klaus Kowoll, die Teamer der ADFC-Technik-AG, die gelassen und geduldig zwischen Montageständer und Werkbank wechseln und helfen, wo Hilfe benötigt wird.
Teamer Andreas erklärt der Besitzerin des Rades, warum hier nichts mehr zu retten ist
Die Werkstatt der Technik-AG ist umgezogen, wir haben darüber berichtet. In einen Raum der "Bürgerinitiative Am Bügel", die dort in einer ehemaligen Hausmeisterwohnung aktiv ist. Die Räume wurden der BI mietfrei von der Wohnungsgesellschaft überlassen und die Aktiven freuen sich darüber, dass der ADFC hier mit seiner Selbsthilfewerkstatt eingezogen ist (und damit ganz nebenbei die Aktivitäten der Bürgerinitiative unterstützt – einige jugendliche Anwohner hätten schon Interesse am Fahrrad-Schrauben geäußert). Zugegeben, ganz leicht zu finden ist die Werkstatt nicht, wenigstens nicht beim Erstbesuch. Aber wer von der Straße aus die riesige Hausnummer 120 sieht, hat es schon fast geschafft: Ben-Gurion-Ring 118 ist gleich das Haus daneben, in dem im Erdgeschoss Bürgerinitiative und ADFC zusammenarbeiten. Der Berichterstatter wurde bereits auf dem Parkplatz vor dem Häuserblock von einem jungen Mann angesprochen, ob er die Fahrradwerkstatt suche – er könne den Weg zeigen. Offensichtlich hat es die Technik-AG bereits in kurzer Zeit zu einer gewissen Bekanntheit in den Wohnblocks am Bonameser Ben-Gurion-Ring gebracht. Dazu hat auch der Tag der offenen Tür am 30.04. mit etwa 30 Besuchern beigetragen. Sicher werden einige Besucher der Kirchenkeller-Werkstatt im Ostend nachtrauern. Aber von den U-Bahn-Stationen Bonames Mitte und Kalbach sind's nur wenige Minuten bis zu den Räumlichkeiten mit fast barrierefreiem Zugang. Eine gemütliche Sofaecke in einem Raum mit Tageslicht und Getränke, Kaffee, manchmal sogar Kuchen, lohnen in jedem Fall eine Fahrt in den Norden der Stadt. (Anmerkung von Andreas: Kuchen und Getränke sind nicht immer vorhanden.)
Wer den (fast) barrierefreien Eingang zur Werkstatt gefunden hat, kann mit Hilfe zur Selbsthilfe rechnen. Uns fehlt ja oft eine dritte Hand ...
N. aus Oberursel hat die Bremse seines Rennrads ordentlich zerlegt und putzt die einzelnen Teile mit Liebe und Sorgfalt. Das zweite Auto im Haushalt haben sie gerade verkauft, er fährt jetzt mit dem Rad zu seiner Arbeitsstelle in Bad Homburg. Das war für ihn der Anlass, sich um die Technik seines Rades selber zu kümmern. Es gäbe zwar ein gutes Fahrradgeschäft am Ort, aber auch dort müsse man bei Pannen mit Wartezeiten rechnen. Und da er das Rad jetzt häufiger benötige, wolle er in der Lage sein, kleinere Reparaturen selbst durchzuführen. Das kriegt er mit der Bremse auch hin, und er freut sich, wie schön und glänzend die Einzelteile der Bremse aussehen und wie leichtgängig sie funktioniert. Auch die Freude darüber, das Zusammenspiel von Bremshebel, Bremszügen und Bremsbacken mit den Bremsgummis verstanden zu haben, ist ihm anzusehen. Schade ist es dann nur, dass nach dem Zusammenbau ein Manko festgestellt wird: Die Rückstellfeder der Bremse ist defekt. Alle Mühe umsonst also? Keinesfalls, N. werde sich eine neue Feder besorgen, das Einbauen sei für ihn ja nun eine Kleinigkeit, und sich dann demnächst an die Bremse des Vorderrads machen.
J. aus dem Ostend hat bereits Technikkurse besucht, leider jedoch einiges wieder vergessen. Mit der Kette kommt sie nicht so recht weiter. Die hat kein Kettenschloss, und die Teamer scheuen sich, zum Kürzen Nieten aufzudrücken, da man sich nicht sicher ist, ob das Entfernen von zwei Kettengliedern nicht zu viel des Guten wäre und beim Einbau des Hinterrads zu Problemen führen könnte. Also muss der vorher mühsam entfernte Kettenschutz wieder montiert werden, Klaus stöhnt und schraubt, J. hält und hilft. Es gelingt, die nun immerhin sauber geputzte Kette treibt das Rad weiterhin ungekürzt an.
C., die mit den breiten Reifen, will auf dem Bodensee-Königssee-Radweg fahren. Dort gäbe es einige üble Schotterstrecken, weshalb sie von ihren schmalen Reifen auf breitere gewechselt sei. Dummerweise läuft der am Hinterrad nicht rund, sie kommt damit nicht zurecht. Andreas fällt auf, dass die Felge einen leichten Seitenschlag hat, ausreichend, um die breiten Reifen am Rahmen schleifen zu lassen. C. baut das Hinterrad aus, entfernt Mantel und Schlauch und schaut anschließend Andreas beim fachmännischen Zentrieren der Felge zu. Danach montiert sie Schlauch und Mantel und baut das Rad wieder ein. Der Mantel ist weiterhin sehr breit, der Durchlauf am Rahmen ist äußerst knapp. Also nochmal zurück auf Null: Rad raus, Reifen runter, Zentrierständer (die Felge ein wenig nach rechts versetzen), Reifen drauf – aber halt, bei der Gelegenheit sollte man den viel zu schmalen Schlauch endlich gegen einen ersetzen, der zu den Breitreifen passt. Im Lager der Technik-AG findet sich ein passendes Modell, es wird montiert, das Rad wieder eingebaut, und nun läuft es leidlich rund. Warum allerdings C. solche überbreiten Reifen für ihren Rahmen verkauft wurden, konnte nicht mehr geklärt werden. Sie musste schnell weg, sie muss trainieren. Die Tochter fährt mit zum Königssee, da will sich die Mutter keine Blöße geben.
Und die verschwitzte Dame mit dem blockierten Rad an der Bahnstation? Sie erhält eine Schere, mit der sie den blockierenden Schlauch abschneiden kann, so dass ihr Velo wieder beweglich wird. Kurz darauf kommt sie mit Rad und Schere zurück. Das Rad habe sie gebraucht gekauft, es sei schwer, sie habe bereits 50 Euro reingesteckt, aber irgendwie läuft es nicht richtig, und eigentlich habe sie die Schnauze voll davon. Dass sie dazu allen Grund hat, bestätigt sich bei der Demontage des Hinterrades. Die Nabenachse ist defekt, Schlauch (zerschnitten) und Mantel sowieso – Andreas und Klaus können hier nicht helfen. Für die Besitzerin ist aber schnell klar, dass das Rad nicht nur schwer ist, sondern sich eine Reparatur nicht mehr lohnt. "Kann ich es bei euch lassen? Dann wäre ich es endlich los." fragt die Dame und bittet nur um den Abbau ihres Korbes und des Sattels. Andreas will eigentlich keinen Schrott mehr annehmen, doch Klaus entdeckt noch gut brauchbare Teile, die es ins Lager zu nehmen lohnt. Also scheidet die Frau von dannen, die Reste ihres Rads bleiben in der Werkstatt zurück. "Und was ist mit der Kette?" will J. aus dem Ostend noch wissen, "würde die nicht auch bei mir passen?". Das tut sie wahrscheinlich, wird abgemacht und soll beim nächsten Termin gegen das vernietete Modell ausgetauscht werden.
Untypisch sei dieser Samstagnachmittag gewesen, grinst Andreas etwas entschuldigend um kurz vor halb sieben. Zumeist könne man die Kunden erfolgreicher verabschieden, als dies heute der Fall gewesen sei. Trotzdem sind die beiden Teamer ruhig geblieben, auch da, wo andere längst die Nerven verloren hätten. Aber auch Brezeln und Kaffee tragen zur Entspannung bei, beides fand guten Absatz. Geduld und Gemütlichkeit – das ist offensichtlich das Erfolgsrezept der Technik-AG – und auch der Bürgerinitiative.
Peter Sauer