Ein Beispiel aus dem Jahr 2021: Radstreifen mit Trennelementen an Baseler Straße / Hauptbahnhof
Bertram Giebeler
Die City wandelt sich – über die Jahre, Stück für Stück
Rad- und Fußverkehr sind die Gewinner
Es ist die spontane Äußerung vieler Radfahrer:innen, wenn sie darüber sprechen, wie es ihnen in Frankfurt im Stadtverkehr so ergeht: "Hier ist noch lange nicht Kopenhagen, aber es hat sich doch viel getan für uns in den letzten Jahren!" Meist bleibt es bei dieser eher gefühlt-pauschalen Beurteilung, und auch zu recht, denn es wurde ja in den letzten zehn Jahren kein in sich konsistenter Masterplan umgesetzt. Einen solchen gab es bisher nicht, und ob der derzeitige Masterplan-Diskussionsprozess einen solchen Plan hervorbringen wird, ist noch offen.
Aber auch ohne Masterplan hat sich viel geändert. Betrachten wir einmal nur die flächenmäßig kleine, aber verkehrlich wichtige City zwischen Hauptbahnhof und Zoo, zwischen Eschenheimer Tor und Mainufer. Über die letzten zehn Jahre wurden viele Gelegenheiten genutzt, den Radverkehr voranzubringen. Heute, 2022, haben wir dadurch einen erheblich höheren Radverkehrsanteil in den inneren Stadtteilen.
Gewissermaßen der "Urknall" war noch unter dem 2011 plötzlich verstorbenen grünen Verkehrsdezernenten Lutz Sikorski die autofreie Hauptwache – heftig umstritten, aber dringend notwendig, um den Autoverkehrsdruck in der City spürbar zu reduzieren.
Sikorskis Nachfolger Stefan Majer, nach dem SPD-Interregnum auch jetzt seit Ende 2021 wieder Dezernent für Mobilität, setzte seinen ersten Akzent 2012 an der Alten Brücke. Die Autostreifen wurden von 5 auf 4 reduziert (Staus bis kurz vor Darmstadt wurden deshalb vorhergesagt) und stattdessen beidseitig Fahrrad-Schutzstreifen aufgebracht (aus heutiger Sicht Minimalst-Lösung). Die Stadt sparte dadurch den Ausbau der Brücke, der Abermillionen gekostet hätte.
Schon zwischen 2012 und 2016 tat sich eine Menge
In der Folgezeit wurden, über Majers erste Amtszeit verteilt, kleinere und größere Maßnahmen umgesetzt. Es war noch nicht die Zeit der auffälligen grellroten Farbmarkierungen, die kamen erst später. Aber es tat sich doch eine Menge zwischen 2012 und 2016. Die Maßnahmen sind natürlich nicht die jeweils persönliche Heldentat des Dezernenten, sondern Co-Working verschiedener Akteure, oft auch des ADFC. Hier nur die city-bezogenen Maßnahmen, die Aufzählung ist nicht streng chronologisch:
links:
Ein gutes Beispiel von vor zehn Jahren: das Stück Zweirichtungs-Radweg am Opernplatz bis zum Kettenhofweg
rechts:
Ganz neu: rot eingefärbter Radstreifen beidseitig auf der Berliner Straße, bisher zwischen Kornmarkt und Fahrgasse
Peter Sauer (2)
- Radverkehrsführung im Bereich Willy Brandt-Platz / Weißfrauenstraße / Untermainbrücke
- Kreisel statt Ampel an der Alten Gasse / Vilbeler Straße
- fuß- und radverkehrsgerechte Neugestaltung am "Fischerplätzchen"
- Lückenschluss des südlichen Mainufer-Radwegs zur Flößerbrücke
- verkehrsberuhigter Geschäftsbezirk Roßmarkt zur Konfliktvermeidung Fuß-Rad
- Umbau der Großen Friedberger Straße
- erster Einsatz von Klemmfixen zur Gefahrenabwehr am Flemings-Hotel
- die für geübte Radfahrer:innen durchaus taugliche Radverkehrsführung am Taunustor
- die kurzen aber wichtigen Zweirichtungsverkehrs-Abschnitte an Opernplatz / Kettenhofweg und am Friedberger Tor
- der Radstreifen mit Sperrfläche im früheren Angstraum Hafentunnel
- der Schutzstreifen am Untermainkai
- last not least, nicht direkt in der City aber nahe dran, die Öffnung der Berger Straße für den Radverkehr gegen die Einbahnstraßenrichtung
- Installation von größeren doppelstöckigen Fahrradparkanlagen, wie es in anderen Großstädten längst normal war. Die erste davon entstand an der Konstablerwache und ersetzte sinnvoll eine jahrelang zum Himmel stinkende Müllkippe mitten in der City. Mittlerweile stehen viele solcher Anlagen in der Nähe größerer S- und U-Bahn-Stationen.
- Massiver Einsatz von roter Farbe zur Markierung von Radstreifen, bis dato äußerst zurückhaltend bis gar nicht eingesetzt; dies geschah erstmals am neuen Radstreifen im Bereich Gutleutstraße / Baseler Platz, auch zum Belastungstest des Farbmaterials. Dann kam ein erst etwas zu zaghafter Farbeinsatz an der Deutschen Bibliothek; aber dann ging es Schlag auf Schlag! So ziemlich alle neu angelegten oder renovierten Radstreifen werden jetzt großflächig in rot abmarkiert. Sehr auffällig wird das in der City in den Bereichen Alte Brücke / Mainkai und Opernplatz / Taunusanlage. Die Rotmarkierung erhöht die Sichtbarkeit, gibt Radfahrer:innen auch subjektiv das Signal: hier bin ich richtig, und signalisiert Autofahrer:innen, insbesondere Pendler:innen: Achtung, in dieser Stadt wird Rad gefahren!
- Offensiver Einsatz von Flexi-Pollern zur Falschparkervergrämung, zunächst an der Obermainanlage, danach an der Düsseldorfer Straße. Mittlerweile ist die Protektion von Radstreifen gegen Falschparker durch flexible Poller oder schwellenartige Protektoren normaler Bestandteil der Radverkehrsführung. Beispiele:
- an der Taubenstraße, bisher abends zugeparkt von Poser-Boliden
- am neuen Radstreifen Baseler Straße / Am Hauptbahnhof
- am neuen Radstreifen Hochstraße
- an Teilen des Radstreifenzuges Friedberger Tor – Börneplatz
Politischer Rückenwind durch den Radentscheid
Überhaupt war die letztgenannte Maßnahme nach dem tödlichen Unfall an der Kurt-Schumacher-Straße 2018 der Startschuss für vieles, denn zum ersten Mal wurde dem Autoverkehr zugunsten eines Radstreifens eine Spur weggenommen. Für den dafür nötigen politischen Rückenwind sorgten die 40.000 Unterschriften unter den Radentscheid. Das Beispiel machte Schule:
- citynah im weiteren Verlauf der Friedberger Landstraße
- an den schon erwähnten Streifen an Hochstraße und Baseler Straße /Am Hauptbahnhof, wobei dort die Autospur wegen einer privaten Baustelle aufgehoben werden musste.
- auf der Alten Brücke, wo die Schutzstreifen von regelbreiten Radstreifen abgelöst wurden
- an der Schönen Aussicht
- am Mainkai
- citynah an der Hanauer Landstraße
- citynah dribbdebach auf der Walter-Kolb-Straße
- erst kürzlich an der Berliner Straße
Viele weitere sinnvolle Maßnahmen der letzten Jahre erleichtern das Rad fahren in der Frankfurter City:
- die neue Verkehrsführung im -Bereich Kornmarkt / Buchgasse
- der geschickt platzierte Fuß-Rad-Überweg Niddastraße / Taunusanlage
- endlich ein neuer Belag für die Fahrradstraße Goethestraße
- die Verkehrsberuhigung der "Kulturmeile" Braubachstraße
- citynah die Aufhebung der Radweg-Benutzungspflicht in der Bockenheimer Landstraße
- citynah die Fuß- und radverkehrsfreundliche Umgestaltung des Oeder Wegs
- hunderte, wenn nicht tausend neue Fahrrad-Abstellbügel allein in der engeren City
Das Ganze liest sich jetzt fast wie ein einziger Lobgesang auf die Stadt in den letzten zwei Magistratsperioden, und es stimmt ja auch, dass Frankfurt zum Beispiel beim ADFC-Fahrradklimatest die letzten beiden Male gut abgeschnitten hat. Aber wir haben hier nur die relativ kleine engere City betrachtet, schon im angrenzenden Gründerzeitring gibt es noch massive Lücken im Radnetz (z.B. Straßen mit Tempo 50 ohne Radverkehrsführung), weiter draußen Richtung Suburbia erst recht.
Und auch in der City selbst kann von den im Sinne einer Verkehrswende anzustrebenden "autoarmen" Zuständen noch lange nicht die Rede sein. An bestimmten Nachmittagen oder samstags kann man an einer belebten Kreuzung beobachten, wer da wie sein Auto bewegt. Es gibt einen ständig brezelförmig durch die City kreiselnden Poser- und Parkraumsuchverkehr. Zumindest letzterer würde spürbar abnehmen, wenn jede:r weiß: es gibt keine Parkplätze in der City außer in den Parkhäusern, und da gibt es genug. Unter freiem Himmel gibt es Lieferzonen, Behindertenparkplätze und Taxistellplätze, sonst nichts, schon gar nicht kostenfrei. Wüsste das jede:r, auch die Autofahrer:innen von auswärts, wäre schon viel gewonnen. Bei den Posern (gendern überflüssig, es sind nur Kerle) stellt sich eh die Frage, wieso 600-PS-Boliden mit Knall-Brüll-Sound überhaupt auf die Straße gelassen werden.
Was den Autoverkehr angeht, so arbeitet das Verkehrsdezernat derzeit planerisch an einer "Blockbildung". Die City würde, außer einiger Hauptdurchgangsstraßen, in vier oder fünf Blöcke von Straßen aufgeteilt, in die man von einer der Hauptstraßen an einer Stelle hinein und an der gleichen Stelle wieder hinauskäme, aber nicht hinüber in den "Nachbarblock". Der ist dann nur an einer bestimmten anderen Stelle zugänglich. So macht man es in Holland schon länger, seit einiger Zeit auch in Barcelona. Für Fuß- und Radverkehr ist natürlich alles überall durchlässig. Außerdem soll speziell der Straßenzug Bleidenstraße – Töngesgasse, der ja offiziell eigentlich Fahrradstraße ist, zu mehr Fuß- und Radfreundlichkeit ertüchtigt werden.
Cityring und Anlagenring mit Radverkehrs-Infrastruktur
Das nächste größere Projekt fürs Fahrrad ist, auch im Sinne der Radentscheid-Koalitionsvereinbarung von Juni 2019, die Ausstattung von Cityring und Anlagenring mit Radverkehrs-Infrastruktur. Ein Anfang ist schon gemacht mit dem teilweise geschützten Radstreifen an der Hochstraße, Teil des Cityrings. Es wird derzeit eine Machbarkeitsstudie dafür erarbeitet. Planerisch anspruchsvoll sind dabei insbesondere die großen Querungen, etwa am Friedberger und Eschenheimer Tor. Eine weitere Frage ist, ob und wo es dort Zweirichtungs-Radverkehr geben kann oder soll. Nicht ganz so groß, aber dafür schon fertig geplant und in diesem Herbst zusammen mit der VGF-Straßenbahnbaustelle zur Umsetzung vorgesehen, ist die Verlängerung des Radstreifens der Berliner Straße in die Battonnstraße über den Börneplatz in Richtung Allerheiligentor.
Die Frankfurter City ist also im Wandel zu mehr Aufenthaltsqualität und weniger Abgas, und wir Radfahrer:innen haben unseren Anteil an dieser Verschiebung der Kräfteverhältnisse auf der Straße, die dem Klima und der Stadt insgesamt nur gut tun kann!
Bertram Giebeler