Karls Kolumne
Radfahren war schon immer sexy
Der Zugewinn an persönlicher Freiheit, den das Radfahren einbringt, wurde schon im späten 19. Jahrhundert vor allem von Frauen sehr geschätzt.
Schon 1901 konnte der damals viel gelesene Georg Hermann Borchardt feststellen: "Dem Fahrrad verdankt die Frauenwelt die freiere Stellung, die sie heute in der Öffentlichkeit einnimmt. Das Fahrrad holt die Haustöchter vom Strickstrumpf und hinter dem Kochtopf weg und führt sie mit Bruder oder Freund hinaus in die freie Natur, macht unsere Mädels frei von der ständigen Aufsicht der Mütter und Tanten und erzog sie zu selbständigem Handeln. Unsere Frauen sollten daher dem Fahrrad ein Denkmal setzen, denn es hat gerade für sie so viele alte, hemmende und hindernde Vorurteile vom alten wurmstichigen Thron gestoßen, hat unseren jungen Mädchen die Möglichkeit gegeben, sich außerhalb des Hauses frei zu bewegen, und hat damit auch den Boden für die freie Berufstätigkeit der Frau geebnet."
Anlässlich einer Deutschlandradtour (Drei Männer auf Bummelfahrt) stellte der Brite Jerome K. Jerome um 1900 neidvoll fest: "Wenn irgendetwas verändernd auf den deutschen Charakter wirkt, so wird es die deutsche Frau sein. Sie selbst ändert sich überaus rasch, macht Fortschritte, wie wir es nennen. Vor zehn Jahren würde noch kein deutsches Weib, das auf seinen Ruf hielt und sich einen Gatten erhoffte, gewagt haben, ein Fahrrad zu besteigen. Heute surren sie zu Tausenden durch die Lande. Die Alten schütteln darob den Kopf, aber die jungen Männer, bemerke ich, holen sie ein und fahren ihnen zur Seite."
Diese Frauen hatten es damals nicht leicht, denn Gesetz und Gesellschaft hielten schier unverrückbar an der Position der Männer als Haushaltsvorstand und Finanzgewalt fest. Frauen hingegen waren gefangen in der eigenen Kleidung aus steifem Korsett, schwerem Rock und fülligem Unterrock. Dies alles konnte erst durch eine radfahrgerechte Kleidung überwunden werden. Wie befreit müssen die Frauen sich gefühlt haben, als sie erstmals auf eigenen Rädern zu neuen Wegen und neuen Horizonten aufbrachen.
Dass früher auch Ärzte vor den angeblichen gesundheitlichen Gefahren des Radfahrens gewarnt haben, ist heute kaum noch nachvollziehbar, denn gerade der gesundheitliche Aspekt ist es, der Radfahrende laut Attraktivitätsforschern auf ihre Zeitgenossen und -genossinnen besonders interessant wirken lässt. Heute kommen neben der gesunden Lebensweise auch Umweltbewusstsein und Sportlichkeit hinzu.
Aber auch das Fahrrad selbst hat einen unterschiedlichen Sexappeal: Laut der Studie Fahrradfahren in Deutschland 2014 (Rose Versand) verleiht nicht jedes Fahrrad den gleichen Zauber: Mountainbikes und Hollandräder (da staunt der unkritische Beobachter) lassen den Fahrer oder die Fahrerin besonders attraktiv wirken, dagegen sind Falträder eher als Flirtbremse anzusehen.
Doch nicht nur körperlich werden Mann und Frau attraktiver. Auch die Psyche spielt natürlich eine große Rolle. Wer regelmäßig mit dem Fahrrad fährt, kann dadurch Stresshormone abbauen. Der regelmäßige Weg mit dem Fahrrad kann für weniger Depressionen sorgen. Stress und Depression wiederum können die Lust hemmen. Radfahren wirkt dem entgegen.
Karl Pfeil