BiciBus statt Elterntaxi!
Zukunftsweisendes Pilotprojekt für die Mobilität von Kindern und Jugendlichen soll in Frankfurt starten
Motorisch sind auch Fünfjährige in der Lage, selbst zur Kita zu radeln. Aber jüngere Kinder brauchen dazu eine schützende Begleitung.
Torsten Willner
Was ist eigentlich ein BiciBus?
Bici ist das spanische Wort für Fahrrad oder Fahrräder. Ist der BiciBus also ein großer Bus, der neben den Fahrgästen auch deren Fahrräder transportiert? Nein, ziemlich daneben! "Bus" steht hier für den in der Straßenverkehrsordnung (StVO) definierten geschlossenen Verband, den 16 oder mehr Radfahrende bilden können. Der BiciBus ist ein Verband, der zu vereinbarten Zeiten auf vorgewählten Routen unterwegs ist, weshalb er sich vor allem für Menschen eignet, die regelmäßig zur gleichen Zeit bestimmte Wege zurückzulegen haben. Dies betrifft neben Berufspendler:innen insbesondere Kinder und Jugendliche, die täglich Kita oder Schule besuchen.
Verkehrswende von klein auf
Die Jüngsten frühzeitig in die Verkehrswende einzubeziehen, ist doppelt wichtig: Erstens werden sie am stärksten betroffen sein von der Klimakrise, gegen die möglichst rasch gehandelt werden muss, zweitens ist es die Grundlage dafür, dass sie sich auch später als Erwachsene selbstverständlich nachhaltig mit dem Fahrrad fortbewegen.
An manchen Schulen rangiert das Fahrrad weit oben im "Modal Split". Das gilt es zu auszubauen
Torsten Willner
Umso wichtiger und notwendiger ist es, Kindern und Jugendlichen neben dem bereits praktizierten Walking-Bus den BiciBus als weitere Alternative zu bieten. Keine Lösung sind Elterntaxis, die Kinder mit dem Auto zur Schule befördern. Von Kraftfahrzeugen geht die massivste Umweltbelastung und die größte Unfallgefahr aus – insbesondere vor Kitas und Schulen. Daher muss unsere Gesellschaft umdenken: Weg von den Elterntaxis, die unsere Schulen und Kindergärten belagern, hin zum Fahrrad.
Spanien hat es bereits verstanden. Dort erobert man sich zunehmend den öffentlichen Verkehrsraum mit dem Fahrrad zurück. So rollt in Madrid und Barcelona der BiciBus mittlerweile auf verschiedenen Routen an mehreren Tagen in der Woche mit mehreren hundert Kindern und Jugendlichen, beginnend im Alter von drei Jahren.
Früher mit dem Radfahren anfangen!
In Deutschland gibt es erst zarte Ansätze einer Verkehrswende. Nachhaltige Verkehrsinitiativen fehlen vor allem für Kinder und Jugendliche. Verkehrserziehung im Sinne von Vermittlung der Verkehrsregeln in Kindergärten und Schulen genügt nicht. Die fahrtechnische Ausbildung bleibt hier förmlich auf der Strecke. Hinzu kommt, dass die Ausbildung zum Fahrradführerschein mit der
4. Klasse aus falschem Sicherheitsdenken viel zu spät beginnt.
Doch gerade fahrtechnisch sollten Kinder so früh wie möglich ausgebildet und geschult werden, um eine gute motorische Entwicklung zu gewährleisten. 80 Prozent der Grundlagen der motorischen Entwicklung sind nach den ersten sechs Lebensjahren weitgehend abgeschlossen.
Beobachtungen an Frankfurter Grundschulen zeigen, dass nur noch rund 60 Prozent der Schüler:
innen Rad fahren können. 30 Prozent der Rad fahrenden Schüler:
innen fallen durch die praktische Prüfung zum Fahrradführerschein, weil sie nicht in der Lage sind, eine Hand vom Lenker zu nehmen, um ein Abbiegen anzuzeigen.
Gleichzeitig bestätigen Sportlehrer:innen und Trainer:innen den nachhaltigen Vorteil früh erworbener technischer Fähigkeiten. Versäumnisse in der frühen motorischen Entwicklung eines Kindes lassen sich kaum oder nur sehr mühsam beseitigen. Die zeitliche Verzögerung des Radfahrens im Kindesalter erhöht lebenslang das Verkehrs- und Unfallrisiko. Das zu vermeiden, wäre aber ganz einfach.
Illegale Radfahrverbote von Schulen
Dennoch wollen manche Grundschulen den Kindern untersagen, mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren, solange sie noch keinen Fahrradführerschein haben. Solche Verbote sind erstens illegal, zweitens führt dieses falsche Sicherheitsdenken zu mehr Verkehr durch Elterntaxis – und die bringen zu Fuß gehende und Rad fahrende Kinder unnötig in Gefahr! Grundschulen, die ihren Schülern das Radfahren verbieten wollen, verdrehen somit die Ursachen der Gefahr: Eine Gefährdung geht weder von Laufschuhen noch von Fahrrädern aus, sondern von den tonnenschweren Kraftfahrzeugen! Auch dass Kinder so zu ungesunder Bequemlichkeit erzogen werden, ist dem Kindeswohl abträglich.
Gleichwohl haben Rad fahrende Kinder ein besonderes Schutzbedürfnis. Dem gilt es je nach Kindesalter und den sich erst entwickelnden Fähigkeiten – wie räumliches Vorstellungsvermögen, Entfernungs- und Geschwindigkeitseinschätzung – gerecht zu werden. Diesen Schutz können die gemeinsamen BiciBus-Fahrten bieten.
So kann man sich einen BiciBus vorstellen: In unserem Beispiel werden 11 Kinder (farbig) von 5 Erwachsenen geleitet, begleitet und vom fahrenden Autoverkehr abgeschirmt. Zum einen vom Gegenverkehr (grünes Auto), aber auch vor nachfolgenden Autos (wie dem roten); sie können nur überholen, wenn die linke oder Gegenfahrspur komplett frei ist.
Torsten Willner
Die Lösung: Fahren im Verband
Aufgrund der novellierten StVO und der damit einhergehend neu definierten Abstandsregeln sind mittlerweile bessere und fahrradfreundlichere Voraussetzungen gegeben. Während Radfahrende früher äußerst rechts fahren mussten und mit lediglich "ausreichendem" Abstand überholt werden durften, wurden die Abstandsregeln zur Erhöhung der Sicherheit der Radfahrenden aktualisiert und neu definiert.
Nach den neuen Regeln gilt für Radfahrende ein Meter Sicherheitsabstand zum Straßenrand und parkenden Fahrzeugen, Kraftfahrzeuge müssen beim Überholen innerorts 1,5 Meter zu Radfahrenden einhalten.
Mit 16 Personen oder mehr bildet der BiciBus nach den deutschen Verkehrsregeln einen Verband und ist als zusammenhängendes Fahrzeug (ähnlich einem Lastzug mit Anhänger) zu betrachten.
Das Nebeneinanderfahren ist nicht nur erlaubt, sondern zur besseren Nutzung der Verkehrsfläche sogar erwünscht. Somit kann der BiciBus eine komplette Fahrspur der Straße regelkonform einnehmen. Fahrzeuge, die den Verband überholen möchten, müssen hierzu mindestens die nächste Fahrspur einnehmen.
Sicher eingerahmt von Erwachsenen
Die Kinder und Jugendlichen können und sollen von Erwachsenen – Eltern, Helfer:innen und Pädagog:innen – begleitet werden, die den Verband BiciBus absichern. So können die Kinder und Jugendlichen des BiciBus in der rechten Reihe fahren, während die begleitenden Erwachsenen in der linken Reihe neben den Kindern fahren, um diese so von überholenden oder entgegenkommenden Fahrzeugen abzuschirmen. Dieser Schutz kann ebenso nach vorne wie nach hinten erfolgen. So eingerahmt fahren die Kinder und Jugendlichen auf der Straße geschützter als auf Rad- oder Gehwegen. Denn dort bilden Falschparker oder schlecht abgestellte E-Scooter gefährliche Hindernisse. An Ein- und Ausfahrten oder Hauseingängen besteht ständig Kollisionsgefahr. Und auch auf zu Fuß Gehende ist zu achten.
Unfallversichert wäre man auch im Heißluftballon
Weil in einem geschlossenen Verband auch Kinder mitfahren dürfen, wird die Straße im schützenden BiciBus rechtlich auch für Kinder benutzbar, für die sie sonst frühestens ab acht Jahren erlaubt wäre. Übrigens umfasst der gesetzliche Versicherungsschutz auch den Weg zu Schule oder Kita per BiciBus, hat die Unfallkasse bestätigt. Es komme nicht auf die Art des Verkehrsmittel an, "mit dem Heißluftballon zur Schule ginge auch."
Wegen der Chance, die der BiciBus für die Verkehrswende und den Klimaschutz bietet, möchten einige Mobilitätsverbände dieses Zukunftsprojekt tatkräftig unterstützen – auch der ADFC. Der Kreisverband Frankfurt hat daher beschlossen, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen, indem die Umsetzung dieses bundesweit geplanten Projektes in Frankfurt pilotierend beginnen soll.
Wird Frankfurt Vorreiter?
Viele Eltern und auch erste Kitas und Schulen, die stark von der Last der Elterntaxis beeinträchtigt sind, haben bereits ihr Interesse am Entstehen eines BiciBus signalisiert. Im nächsten Schritt will der ADFC Frankfurt mit den zuständigen Stellen die sich ergebenden offenen Fragen klären. Wenn alles gut geht, könnte ein erster BiciBus bereits im Frühjahr 2022 durch Frankfurt rollen.
Sehr zu wünschen wäre auch, dass dieses gemeinnützige Vorhaben die breite Unterstützung der Stadt Frankfurt erfährt. Erste Vorgespräche lassen hoffen. Europäische Metropolen wie Amsterdam, Brüssel und Kopenhagen haben sich in den letzten Jahren zu Fahrradstädten gewandelt und werden international als Vorbilder betrachtet.
Durch Realisierung des Projektes BiciBus hat die Stadt Frankfurt eine riesige Chance, selbst so eine Vorreiterrolle in Deutschland einzunehmen. Hoffen wir, dass die Stadt Frankfurt diese Chance im Interesse ihrer Bürger:innen und vor allem ihrer Kinder nutzt!
Simone Markl