Verkehrsplanung, gendergerecht
Ist es nicht egal, ob ein Mann oder eine Frau auf dem
Fahrrad
sitzt?
Nein, sagen Wissenschaft und private sowie behördliche Planungsabteilungen heute. Es gibt Unterschiede, die es bei der Verkehrs- und Radverkehrsplanung zu beachten gilt. Eine Einführung über genderrelevante Aspekte.
In gar nicht so ferner Zukunft fährt eine Mutter mit dem Fahrrad vom Arbeitsplatz zur Kita ihres Sohnes. Auf dem Radschnellweg kommt sie schnell voran, um vor 16 Uhr da zu sein. Danach braucht sie viel Platz auf dem Fahrradweg, weil das Fast-Grundschulkind natürlich sein Kinderfahrrad fährt. Der Weg ist sicher: kein Autoverkehr, aber auch weg von der dooring zone der parkenden Autos. Sie fahren noch beim Supermarkt vor und laden die Wocheneinkäufe in den großen Korb des Lastenrades.
Zur selben Zeit macht sich eine Frau vom Stadtrand auf, um ihre hochbetagte Mutter zu besuchen. Die wohnt auch am Stadtrand, aber in einem anderen Stadtteil. Kein Problem, weil der ÖPNV Ringlinien in den Außenbezirken hat. Sie parkt ihr Fahrrad vor der neuen S-Bahn und fahrt weiter mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Beim Umsteigepunkt ist gleich ein kleines Einkaufszentrum mit einem Supermarkt und Einzelhandelsgeschäften angesiedelt. Da kauft sie Lebensmittel für ihre Mutter ein. Danach bringt sie die S-Bahn in wenigen Minuten zu der alten Dame.
Gender in der Verkehrsplanung
Dies sind nur wenige und kleine Beispiele, bewusst zugespitzt. Auch die Wissenschaft hat die unterschiedlichen Bedürfnisse von Frauen und Männern erkannt. Daraus ist die gendergerechte Verkehrsplanung entstanden – mit einer eigenständigen Radverkehrsplanung. Aber die Erhebung der Daten zur Planung der Verkehrswege speziell von Frauen und Männern ist erst in den letzten Jahren dazu gekommen und ist noch ausbaufähig.
Die durchschnittliche Frau leistet nach wie vor einen großen Anteil der Care-Arbeit in den Familien. Sie holt die Kinder von Kita oder Schule ab, bringt sie zu Freunden und zum Sport oder macht Homeschooling. Eine Frau geht viel öfter einkaufen, für sich, die Familie oder andere – damit werden eher viele kürzere Wege zurückgelegt. Sie hat ein größeres Sicherheitsbedürfnis für sich, aber auch für die Kleinsten im Schlepptau.
Eine größere Stadt als Ansammlung von Häusern ist traditionell in Zonen aufgeteilt. Da gibt es die Innenstadt als Einkaufsmeile, eine Bürostadt als Arbeitsplatz oder als industrielles Gewerbe eher im Osten der Stadt. Um die Stadt herum ist eine Siedlung entstanden, mit Schulen und kleinen Supermärkten. Eigentlich ist das zoning, wie es fachlich ausgedrückt wird, gut gemacht für die Bedürfnisse von (berufstätigen) Männern. Sie gehen von ihrer Wohnung zum Arbeitsplatz und fahren wieder zurück. Vielleicht bringen sie kleinere Einkäufe aus dem nahen, kleinen Supermarkt mit, gerade so viel, wie sie tragen können. Natürlich haben auch die Väter ihre Kinder im Blick. Schulen sind in dem Wohngebieten so angesiedelt, dass die Schüler und Schülerinnen nicht weit zu laufen oder mit dem Fahrrad zu fahren haben.
Ein Ruck muss durch die Planungen gehen
Verkehrsplanung ist seit vielen Jahren männerdominiert. Man betrachte nur die einzelnen Bundes- oder Landesminister oder die Verkehrsplanungsabteilungen der Kommunen. Folglich wurden eher die Bedürfnisse von Männern umgesetzt. Nun kommen aber auch Frauen in die entscheidenden Positionen. Und es entstehen Leuchtturmprojekte: Ada Colau, Bürgermeisterin von Barcelona, hat die Superblocks, verkehrsberuhigte Viertel in der Stadt, durchgesetzt. Anne Hidalgo hat in Paris den gleichen Posten 2014 übernommen. Sie hat Leihfahrräder und -autos auf den Weg gebracht, Paris wird nun als Fahrradstadt wahrgenommen.
Auch in der Wissenschaft gibt es Fortschritte. Mehrere Professuren für gendergerechte Verkehrsplanung wurden in den letzten Jahren besetzt. Dann wird wohl auch die geschlechtsbedingte Datenlücke endlich geschlossen. Wenn man auch Frauen im Verkehr fördern will, braucht es neben dem guten Willen auch die Daten zu dem, was frau wirklich will.
Monika Schmidt