Professor Dr. Dennis Knese (36) ist seit Anfang des Jahres Inhaber der Stiftungsprofessur für Radverkehr an der Frankfurt University of Applied Sciences (frühere Fachhochschule). Dennis Knese ist Experte im Bereich nachhaltige Mobilität und war vor seiner Tätigkeit an der Frankfurt UAS bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) tätig. Dennis Knese wohnt in Frankfurt-Rödelheim und ist in der Regel mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV mobil.
Friederike Mannig | Frankfurt UAS
Ab sofort: Radverkehr studieren
An der Frankfurt University of Applied Sciences nahm die Stiftungsprofessur Radverkehr die Arbeit auf
"Ab sofort: Radverkehr studieren an der Frankfurt UAS" heißt es gleich auf der Startseite des "Research Lab for Urban Transport (ReLUT)" an der "Frankfurt University of Applied Sciences", wie die ehemalige Fachhochschule am Nibelungenplatz mit vollem Namen heißt. Wer hier studieren will, lernt Professor Dr. Dennis Knese kennen, der die vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) geförderte Stiftungsprofessur Radverkehr innehat. Wir haben Dennis Knese zu einem (Video-) Gespräch gebeten, um zu erfahren: Was macht eigentlich ein Radprofessor?
Dennis Knese: Die erste Priorität für mich hat natürlich der Aufbau der Lehre – wir versuchen, das Thema Radverkehr stärker in der Lehre zu platzieren. Es gibt bereits ein Forschungsteam "Research Lab for Urban Transport (ReLUT)", das sich mit verschiedenen Mobilitätsaspekten beschäftigt. Jetzt wollen wir mit der Stiftungsprofessur noch stärker auf das Thema Radverkehr setzen.
Die Professur zeigt eine Besonderheit – sie ist in zwei Fachbereiche aufgeteilt. Im Fachbereich 1 (Architektur, Bauingenieurwesen, Geomatik) werden wir das Thema Radverkehr in ingenieurwissenschaftliche, planerische Studiengänge integrieren. Zum einen in das klassische Bauingenieurwesen, dann auch in den Studiengang Geodatenmanagement. In Masterstudiengängen wie dem Studiengang "Infrastruktur – Wasser und Verkehr" spezialisieren sich die Studierenden, hier wollen wir Angebote zum Radverkehr machen. Im englischsprachigen Masterstudiengang "Urban Agglomerations", einer internationalen und interdisziplinären Ausbildung in nachhaltiger Planung, Entwicklung, Management und der Verwaltung von Stadtregionen, ist Mobilität eine Sparte, in der wir den Radverkehr stärker unterbringen werden.
Im Fachbereich 3 (Wirtschaft und Recht) geht es mehr um ökonomische und logistische Themen, hier wollen wir die Potenziale des Radverkehrs ausloten. Gerade die modernen Lastenräder spielen dabei eine wichtige Rolle.
Zudem wollen wir gemeinsam mit der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden, der Hochschule Darmstadt und der Technischen Hochschule Mittelhessen in Gießen einen eigenen Masterstudiengang "Nachhaltige Mobilität" entwickeln, mit einem Radverkehrsschwerpunkt. Wir hoffen, damit im Wintersemester 2022 starten zu können. Dann können wir einen Abschluss Radverkehrsplanung anbieten, wir hätten damit ein Alleinstellungsmerkmal im Hochschulbereich.
Frankfurt aktuell: Haben Sie schon Studierende gesehen, seitdem Sie Ihre Arbeit aufgenommen haben?
Die Lehre läuft bei uns aktuell – aufgrund von Corona – digital. Da ich schon vor Einrichtung der Professur neben meiner Tätigkeit bei der GIZ an der Hochschule ein Modul "Intermodale Verknüpfung des Radverkehrs" übernommen hatte, war ich da bereits mit Studierenden (über Videokonferenzen und digitale Sprechstunden) in Kontakt. In dem Projekt haben sich Studierende verschiedene Verknüpfungspunkte in Frankfurt und Umgebung angeschaut und Vorschläge für eine Verbesserung der Intermodalität erarbeitet (Fahrradmitnahme im ÖPNV, Bike & Ride, etc.). Das Projekt war ein Wahlmodul, also nicht verpflichtend für den Abschluss, wurde aber trotzdem sehr gut angenommen. Immerhin fast 30 Studierende waren beteiligt – für einen Masterstudiengang ist das viel. Auch in diesem Semester nahmen 25 Studierende an einem Projekt "Radlogistik" teil.
Ich will das Thema zukünftig auch im grundständigen Studium stärker verankern. Was bedeutet Radverkehrsplanung allgemein, gerade auch vor dem Hintergrund integrierter Verkehrsangebote, Flächennutzungen in der Stadt, Entwicklung des Verkehrs in den letzten Jahrzehnten? Was muss passieren, um eine Verkehrswende umsetzen zu können und die Klimaziele zu erreichen? Wie können wir den Radverkehr, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land, besser aufstellen?
Gibt es genug junge Leute, die sich im Rahmen der Ausbildung für diese Themen interessieren?
Ja, die gibt es. Wir haben bereits bei unserem Wahlmodul gemerkt, wie hoch die Nachfrage ist. Unsere Module sind jetzt auch für die Hochschulen in Wiesbaden und Gießen freigegeben und sind auch bei den dort Studierenden auf Interesse gestoßen. Da die Kapazitäten zum Thema Radverkehr an den anderen Hochschulen erst im Aufbau sind, können wir so jetzt schon Studierende ausbilden. Uns ist wichtig, möglichst schnell Kompetenzen aufzubauen, um dem Fachkräftemangel in dieser Hinsicht begegnen zu können.
Gleichzeitig ist da die Nachfrage von Kooperationspartnern aus Wirtschaft, Forschung oder Politik, Forschungsprojekte zu initiieren. Das ist der zweite Arm neben der Lehre – die Forschung aufzubauen, die FRA UAS zu platzieren (wie wir es bereits mit dem ReLUT tun), um die Bereiche Verkehrsplanung und Logistik abzudecken. Wir sind nur eine von sieben Stiftungsprofessuren und jede versucht, Schwerpunkte zu setzen. Für uns ist ein Bereich die Radlogistik. Bei uns gibt es das Projekt LastMileTram, bei dem die Paketverteilung per Straßenbahn zu Depots erfolgen soll und die Feinverteilung von dort per Lastenrad. Das Projekt hat es jetzt sogar in den Koalitionsvertrag der neuen Stadtregierung geschafft. Aber wie und wann eine Umsetzung erfolgt, können wir noch nicht absehen.
Mein Interesse gilt auch der Diversifizierung der Fahrradarten. Konventionelle Fahrräder (hier gibt es schon riesige Unterschiede), E-Bikes, Lastenräder, aber auch das Thema Mikromobilität wie E-Roller, die auch die Rad-Infrastruktur nutzen. Wie wollen wir damit umgehen, wie müssen wir in der Planung darauf reagieren?
Ein Forschungsantrag befasst sich mit Radverkehrsmodellen. Die Verkehrsmodelle, mit denen zukünftige Infrastrukturbedarfe dargestellt werden, sind bisher sehr MIV-lastig, auf den Kfz-Verkehr ausgerichtet. Nun wollen wir die Einflussgrößen, die für den Radverkehr eine Rolle spielen, untersuchen und integrieren. Hier möchten wir mit der Stadt Frankfurt, Hessen Mobil und dem Regionalverband FrankfurtRheinMain zusammen arbeiten. Das könnte ein spannendes Projekt werden.
Wichtig erscheint mir auch, das Thema Radverkehr im ländlichen Raum stärker zu verankern. Hier wird noch zu wenig Forschung betrieben, auch Förderprogramme beschäftigen sich kaum mit dem Land. Dabei hätte es der ländliche Raum nötig, aber dort stockt es. Radverkehr findet fast nur als Freizeitverkehr statt. Da besteht noch Aufholbedarf, und dank Pedelecs sehe ich hier noch erhebliche Potenziale.
Klingt nach einem enormen Arbeitsvolumen. Ist das alles zu bewältigen?
Die Sichtbarkeit für diese Stiftungsprofessur war hoch, entsprechend ist es auch die Nachfrage. Gleich zu Anfang kamen viele Anfragen von Akteuren aus der Region, die Interesse daran haben, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Das kann ich alles gar nicht sofort bedienen.
Woher kommen die Akteure?
Das sind Kommunen und Landkreise, aber auch aus der Privatwirtschaft. Durch unseren Logistik-Schwerpunkt kommen Start-ups mit dem Wunsch nach Zusammenarbeit auf uns zu. Aber auch aus der Politik kommen Anfragen nach einem Austausch, Landtag oder Kommunen zeigen sich offen und wünschen Beratung in Sachen Radverkehr. All das zeigt uns, dass das Thema hoch im Kurs steht.
In einem Workshop mit Vertretern aus Wirtschaft, Kommunen, Forschung und Verbänden wurde deutlich: Es fehlen Daten zum Radverkehr. Wie bewegen sich Radfahrende im Raum? Während der MIV und der ÖPNV relativ gut erforscht sind, Daten durch regelmäßige Befragungen vorliegen, fehlen diese Daten zum Radverkehr. Hier sehen wir einen erheblichen Nachholbedarf. Da ist der ADFC-Fahrradklima-Test ein willkommener Datenpool, wenngleich der natürlich nicht repräsentativ ist, da das Befragungsergebnis nur die Gruppe der aktiv Radfahrenden abbildet. Wir wollen aber auch die aufs Rad bekommen, die aktuell noch nicht dort sind. Diese Verlagerung ist natürlich das wesentliche Ziel.
Ist die Professur gut ausgestattet, verfügt sie über genug Stellen?
Wir können uns nicht beklagen. Die Stiftungsprofessur ist mit drei wissenschafltichen Mitarbeiterstellen ausgestattet. Die Förderung der Professur ist zwar auf fünf Jahre begrenzt, doch die Hochschule hat bereits garantiert, dass es danach weitergehen wird. Zusätzlich finanziert uns der Darmstädter Fahrradhersteller Riese und Müller eine halbe Stelle. Es freut uns, dass wir hier Support aus der Privatwirtschaft erhalten, ohne dass dies mit konkreten Erwartungen oder Ansprüchen an uns verbunden ist.
In wieweit greifen Sie in das "Mind set" der Studierenden ein, um in deren späteren Berufsleben in Planung und Verwaltung das Thema Fahrrad real auf die Straße zu bringen? Das scheint bei vielen der jungen Leute noch gar nicht so recht angekommen zu sein.
Richtig, wir verbinden die Jugend gerne mit Fridays for future und ähnlichen Initiativen. Aber es gibt natürlich weiterhin auch die anderen. Ich komme selbst aus dem ländlichen Raum, und dort ist kaum jemand davon überzeugt, dass wir weniger motorisierten Verkehr brauchen, dass der Verkehr nachhaltiger werden muss. Da hilft nur geduldiges Argumentieren, klar machen, dass wir unsere Klimaziele nur erreichen, wenn wir das Verkehrssystem wirklich transformieren. Und die Vorteile von "weniger Verkehr" zeigen. Dazu brauchen wir einen Paradigmenwechsel in der Verkehrspolitik und in der Verkehrsplanung. Das muss ich den Studierenden mitgeben.
Und die sozialen Folgen? In dicht bebauten Stadtteilen ist selten Platz, um als Fußgänger nebeneinander gehen zu können. Begegnungen im Straßenraum sind kaum möglich. Wo nicht mit Pollern Widerstand geleistet wird, werden Autos geparkt, wird der Raum für Fuß- und Radverkehr beschnitten.
Das muss auch für uns zum Thema werden. Gerade die Parkraumbewirtschaftung ist ein sensibles Thema. Sobald irgendwo ein Stellplatz entfernt werden soll, ist das Geschrei groß. Damit haben Politiker und Planer zu kämpfen. Hier ist mehr Mut erforderlich. Oft zeigt sich ja nach der Umsetzung, dass eine Maßnahme auf Akzeptanz stößt, da sich die Verkehrsituation gar nicht verschlechtert hat, nur weil ein paar Parkflächen entfernt wurden. Hier müssen wir priorisieren, Lieferverkehre und Anwohner berücksichtigen und die Überwachung des ruhenden Verkehrs verstärken. Die Parkgebühren sind in Deutschland immer noch sehr gering, im Vergleich zu anderen europäischen Ländern zahlt man bei uns fast nichts.
... für das Falschparken zahlt man ebenfalls im Vergleich zu den europäischen Nachbarn fast nichts ...
Stimmt. Ich wohne in Rödelheim und sehe es selbst vor der Haustüre: Falschparken wird einfach toleriert, der Gehweg ist tagtäglich versperrt, mit Rollstuhl oder Kinderwagen ist ein Durchkommen häufig nicht möglich.
Wie gehen wir um mit gängigen Denkschemata bei IHK oder Einzelhandelsverband, dass das Auto unverzichtbar sei für die Kunden des Einzelhandels, dass Umsatzrückgänge drohten. Ist das wirklich empirisch valide? Kann die Hochschule hier Einfluss nehmen, vielleicht in einer Art "Runder Tisch Verkehr" Lobbyarbeit leisten, beratend tätig werden?
Lobbyarbeit ist für einen Professor schwierig, wir machen ja objektive wissenschaftliche Arbeit. Aber es gibt weltweit Beispiele dafür, dass sich weniger Autoverkehr nicht negativ auf den Umsatz des Einzelhandels auswirkt. Und wenn bestimmte Gruppen anders argumentieren, müssen wir immer wieder die positiven Beispiele zeigen – aber vor allem Projekte angehen, mit einer Stadt zusammenarbeiten, an einer Stelle mutig sein, um zu zeigen, dass es funktioniert.
Apropos Runder Tisch: Gerade hat sich ein Arbeitskreis "New Mobility Frankfurt 2.0" gegründet, vom HOLM initiiert, in dem solche Themen angegangen werden sollen. Dabei sind verschiedene Städte, Akteure aus der Wissenschaft, aus der Wirtschaft – die IHK ist dabei –, die aus verschiedenen Blickwinkeln den Bereich Mobilität betrachten und miteinander sprechen wollen. Hier können Projekte angestoßen werden, die ich mit unserer wissenschaftlichen Expertise begleiten und auswerten kann.
Die Hochschule ist ja einerseits sehr technikorientiert, bietet technische Lösungen für Probleme an, bewegt sich andererseits aber in einem sozialen, politischen Umfeld. Wie bringen Sie die beiden Felder zusammen?
Stadtplanung muss natürlich interdisziplinär aufgestellt sein, um die komplexen Themen anzugehen. Allein schon um zu verstehen, wie und warum sich Leute im Verkehr bewegen, arbeiten wir eng mit den Sozialwissenschaften zusammen. Dazu kommt die Wirtschaftswissenschaft, wenn wir über Kosten sprechen, über ökonomische Nachhaltigkeit. Eine Verknüpfung der verschiedenen Bereiche ist hier absolut notwendig, um erfolgversprechende Lösungen anbieten zu können. Das versuchen wir schon im Studium durch fachübergreifende Angebote umzusetzen, in kleinen Projektgruppen, in denen Studierende aus verschiedenen Fachbereichen ihre jeweilige Denkweise einbringen. Daraus ergibt sich eine ganz andere Herangehensweise. Es entstehen spannende Prozesse, wenn man sich aus der eigenen Denkblase löst und andere Ansichten zulässt.
Wo würden Sie mit Ihrer Arbeit in fünf oder in zehn Jahren gerne stehen?
Toll wäre es, wenn wir bis dahin die ersten Radverkehrsplaner ausgebildet haben und damit auch Kommunen Angebote machen können. Viele Fördergelder für Radverkehrsmaßnahmen werden nicht abgerufen, da die personellen Resourcen fehlen, um diese Mittel umzusetzen. Das können wir mit unserer Ausbildung ändern.
Dazu müssen wir für Studierende ein qualitativ hochwertiges Angebot entwickeln. Und wir sollten uns einen Namen machen als Beratungs- und Anlaufstelle für Akteure aus der Politik, aus den Gemeinden, vielleicht auch aus der Wirtschaft. Die müssen wissen, dass sich die Frankfurt UAS intensiv mit dem Thema Nahmobilität/Radverkehr beschäftigt und kompetent informieren und beraten kann. Hier ist natürlich auch der Kontakt zum ADFC ganz wichtig, mit dem ich im Gespräch bin. Aber selbst der ADAC zeigt Interesse an einer Zusammenarbeit – ein gutes Zeichen, wie ich finde, denn auch dort öffnet man sich inzwischen alternativen Mobilitätsformen.
Wir versuchen, in alle Richtungen aktiv zu werden, doch läuft das alles erst langsam an. Aber ich bin optimistisch, dass wir in absehbarer Zeit Erfolge unserer Arbeit sehen werden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Mit Professor Dennis Knese
sprachen Hanns-Christoph Koch
und Peter Sauer