Radfahren in Suburbia, wie es ordentlich geht: hier ein straßenbegleitender Radweg im Kreis Offenbach bei Dreieich-Sprendlingen. Kein Radschnellweg, aber allwettertauglich und sicher.
Bertram Giebeler
Die Lücken zwischen den Orten schließen
Die Mobilitätsstrategie des Regionalverbands packt an der richtigen Stelle an
Die 56 Seiten starke Broschüre "FrankfurtRheinMain in Bewegung – Die Mobilitätsstrategie für die Region" ist wirklich lesenswert. Man merkt, hier haben kompetente Leute zwei Jahre lang recherchiert und mit viel Sinn und Verstand Empfehlungen für Land und Kommunen formuliert. Der Regionalverband selbst hat nur sehr begrenzte reale Möglichkeiten, aber neben seiner Vernetzungsfunktion nimmt er zunehmend auch die Rolle des "Kümmerers" an und koordiniert Aktivitäten des Landes und der Kommunen – also der eigentlichen Entscheidungsträger.
Die räumliche Dimension der Mobilitätsstrategie (also nicht nur Radverkehr) geht noch über das Gebiet des Regionalverbands mit seinen 75 Kommunen hinaus: Sie umfasst die Städte Frankfurt und Offenbach, den Main-Taunus-Kreis, den Hochtaunuskreis, den Wetteraukreis, den Main-Kinzig-Kreis sowie die Kreise Offenbach und Groß-Gerau. Damit erstreckt sich die Mobilitätsstrategie auf 108 Kommunen, 2,75 Millionen Einwohner und 1,3 Millionen Beschäftigte.
Titelseite der Broschüre zur Mobilitätsstrategie.
Für das Gebiet des Regionalverbands liegen spezifische Daten zur Mobilität vor. Hier zeigen der Fahrrad-Anteil von 12 Prozent am Modal-Split und die Berufspendlerdistanz mit einem Median von neun Kilometern (d.h. 50 Prozent der Pendler pendeln 9 Kilometer oder kürzer, 50 Prozent weiter), dass das kompakte, wirtschaftlich dynamische Gebiet ein gutes Potential für nachhaltige Mobilität bietet – zumal es topografisch nicht allzu schwierig ist. Entsprechend ambitioniert sind die Ziele: Reduktion des Kfz-Anteils (Verkehrsmittelwahl) von 45 Prozent (2017) auf 35 Prozent (2030), Schaffung eines Mobilitätsangebots innerhalb von fünf Gehminuten (!) von jedem besiedelten Ort im Zielgebiet.
Hier können Sie sich die Broschüre direkt ansehen.
Großes Potential fürs Rad im suburbanen Raum
In ganz Deutschland haben suburbane Ballungsräume die Eigenschaft, dass der öffentliche Verkehr in die Metropole hinein und aus ihr heraus gut bis hervorragend ausgebaut ist – zwischen den umliegenden Klein- und Mittelstädten des Ballungsraums aber weniger gut bis schlecht. Folge: ein enormer Autoverkehr kreuz und quer in der Fläche, denn die Nebenzentren haben große Gewerbe- und Einkaufszentren und Bildungseinrichtungen, es pendeln keineswegs alle nur in die Metropole.
Eigentlich hätte der Radverkehr hier große Potentiale, aber es fehlt an befahrbaren überörtlichen Verbindungen – übrigens besonders in Hessen! Die suburbane Realität sieht oft so aus: zwei Kilometer halbwegs ordentlicher Radweg neben der Straße, und dann: die nächsten drei Kilometer nichts! Kein Radweg, kein Radstreifen, noch nicht einmal ein zur Not befahrbarer Seitenstreifen, und die Straße hat Tempo 70 oder gar 100 und mörderischen Verkehr mit vielen Schweren Lkw.Das tut sich niemand an, selbst hartgesottene Radler:innen sind damit überfordert. Die können sich allenfalls über Schotterpisten durch den Wald quälen.
Das Netz erfassen und die Lücken angehen
Ein wichtiger Fortschritt der Mobilitätsstrategie des Regionalverbands ist, dass man sich dieses Problem endlich gezielt und systematisch vorknöpft. In Abstimmung mit den Kommunen soll das gesamte Netz erfasst und bewertet sowie ein "Lückenschlussprogramm überörtliche Radwege FrankfurtRheinMain" erstellt werden, zu dessen Realisierung der Regionalverband dann die Koordination übernehmen wird.
Suburbanes No-Go für den Radverkehr, nur ein paar Kilometer entfernt: außerörtliche Straße bei Heusenstamm. Radverkehrs-Infrastruktur Null, dabei jede Menge Schwerlastverkehr. Wer auch nur einen Kilometer davon in seiner Pendlerstrecke hat, lässt das Radfahren gleich ganz!
Bertram Giebeler
Dieses wichtige Programm ist nicht zu verwechseln mit den insgesamt neun projektierten Radschnellwegen in der Region, die sich in sehr unterschiedlichen Stadien der Planung und Realisierung befinden. Die kommen zusätzlich hinzu, fragt sich nur wann. Näher an der Umsetzung ist das Programm für bedarfsgerechte Bike+Ride-Anlagen an Bahnstationen.
Auch außerhalb des Radverkehrsthemas packt die Mobilitätsstrategie viele praxisrelevante Themen an, zum Beispiel: die fußläufige Erreichbarkeit von Bahnstationen (soziale Unsicherheit, unnötige Umwege zum Gleis, Barrieren); das Potential von Schnellbusverkehren auf tangentialen Verbindungen außerhalb der Metropole; das Potential urbaner Seilbahnen – das liest sich erst einmal exotisch, ist aber bei näherem Hinsehen gar nicht so abwegig in ganz speziellen Lagen; Die Bündelung von Güterverkehren auf der Schiene und die Wiederinbetriebnahme von Bahnstrecken; die Umorganisation innerstädtischer Lieferverkehre.
Alles unter der strategischen Maxime: "unnötigen Verkehr vermeiden – notwendigen Verkehr gestalten – und zwar umweltfreundlich, umfeldgerecht, sicher und wirtschaftlich".
Weitere Informationen zu der Mobilitätsstrategie des Regionalverbands und einen Download-Link zur Broschüre gibt es auf der Homepage des ADFC Hessen – sehr zu empfehlen!
Bertram Giebeler