Wurde leider erneut verschoben: Freigabe des Schulbergs für Radfahrende in Gegenrichtung
Ralf Gandenberger
Kann Bad Homburg die Rote Laterne abgeben?
ADFC-Fahrradklima-Test gestartet
In diesem Jahr findet der ADFC-Fahrradklima-Test vom 1. September bis zum 30. November statt. Dabei haben alle "Alltagsexpert*innen" die Chance, Politik und Verwaltung Feedback zur Situation von Radfahrerinnen und Radfahrern vor Ort zu geben. Der letzte Test im Jahr 2018 hat in Bad Homburg für Aufsehen gesorgt, belegte die Kurstadt doch den letzten Platz aller Städte in ganz Hessen. Bei den Städten zwischen 50.000 und 100.000 Einwohner belegte Bad Homburg Platz 102 von 106 Städten in Deutschland.
Der Oberbürgermeister der Stadt Bad Homburg, Alexander W. Hetjes, sagte im April 2019 der Hessenschau, die sich selbst ein Bild machen und Bad Homburg mit dem Rad "erfahren" wollte, man habe jetzt ein Radverkehrskonzept beschlossen, könne aber die Versäumnisse von 20 Jahren nicht in drei Monaten aufholen. Das Radverkehrskonzept sei ein riesiger Meilenstein für Bad Homburg und werde jetzt Schritt für Schritt umgesetzt. Vor dem Fahrradklima-Test 2020 lohnt sich also ein Blick darauf, was seitdem passiert ist. Da trifft es sich gut, dass die Stadt Bad Homburg im Juni eine Magistratsvorlage erarbeitet hat, in der ihre Erfolge umfangreich dargelegt und die geplanten Maßnahmen für 2020 erläutert werden. Toll ist, dass Bad Homburg jetzt eine sehr engagierte Radverkehrsbeauftragte hat. Allerdings ist die sonstige Personalausstattung der Stadt der prekären Situation für Radfahrende längst noch nicht angemessen – anders als in anderen Städten des Rhein-Main-Gebiets.
Vorbild Wiesbaden? Viele Jahre trug die Landeshauptstadt die Rote Laterne im Fahrradklimatest des ADFC. Inzwischen wurde nachgebessert und in die Radverkehrsinfrastruktur investiert. Prompt konnte die Stadt die Rote Laterne abgeben. Kann sich Bad Homburg daran orientieren? Drei Beispiele aus Wiesbaden, von links: Umweltspur auf dem 1. Ring, Radweg auf der Rheinstraße, separate Abbiegespur auf der Burgstraße.
Ralf Gandenberger
Die genannte Magistratsvorlage führt die Öffnung zahlreicher Einbahnstraßen für Radfahrende in Gegenrichtung auf. Das ist zu begrüßen und entspricht einer langjährigen Forderung des ADFC. In der Zwischenzeit wurden auch einige Markierungen vorgenommen, um den motorisierten Verkehr auf entgegenkommende Radfahrende aufmerksam zu machen und damit die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Außerdem sind zahlreiche Fahrradabstellmöglichkeiten im gesamten Stadtgebiet entstanden.
Als Infrastrukturmaßnahmen werden neben der Einrichtung einer Fahrradstraße im Weinbergsweg/Paul-Ehrlich-Weg die Einrichtung einer Tempo-30-Zone in der Kaiser-Friedrich-Promenade und die Freigabe der Einbahnstraße dort für Radfahrende in Gegenrichtung aufgeführt. Unerwähnt bleibt dabei wohlweislich, dass hier das Radverkehrskonzept (RVK) nur halbherzig umgesetzt wurde, das den Entfall der Parkplätze vorsieht. Dies führt leider immer wieder zu gefährlichen Situationen im Begegnungsverkehr.
Das war es dann auch schon mit Verbesserungen der Infrastruktur für den Radverkehr. Die Fahrradstraße, die von Schülern des Kaiserin-Friedrich-Gymnasiums genutzt wird, ist viel zu kurz und führt noch nicht einmal bis vor die Schule. Auch hat sie keinen Vorrang vor den Seitenstraßen, ist für Kfz und Busse wie zuvor freigegeben und endet am Paul-Ehrlich-Weg sehr gefährlich. Dort sollen die Radfahrenden wie zuvor auf dem für sie freigegebenen holprigen Gehweg fahren. Eine sehr große Zahl an Schüler*innen ignoriert dies allerdings und fährt geradeaus in die Einbahnstraße, die dort nicht freigegeben ist. Der ADFC hatte vor der Einrichtung der Fahrradstraße gefordert, sie bis zum Ende des Viktoriawegs fortzuführen, wodurch sie deutlich länger und sicherer wäre und den Namen einer Fahrradstraße verdient hätte.
Besonders ärgerlich ist, dass der Umbau und die danach geplante Freigabe des Schulbergs für Radfahrende in Gegenrichtung von der Stadtpolitik erneut vorschoben wurde, diesmal auf das Jahr 2022. Auch die von der Stadtverordnetenversammlung schon Mitte 2019 beschlossene Prüfung der Verkehrsberuhigung des Bereichs Schulberg und Haingasse wurde nicht vorgenommen.
Die Maßnahmen zeigen, dass sich die Stadt teilweise bemüht, dass aber vieles noch in der Planungs- und Prüfungsphase steckt, was sicherlich auch auf die unzureichende Personalausstattung zurückzuführen ist. Hinzu kommt, dass das RVK insgesamt den Anforderungen an eine moderne Radinfrastruktur nicht gerecht wird und daher Maßnahmen erforderlich sind, die deutlich darüber hinaus gehen. Der ADFC Bad Homburg/Friedrichsdorf hat der Politik und Verwaltung im September 2020 umfangreiche Vorschläge gemacht, die leider ignoriert wurden (vgl. Frankfurt aktuell 6/2019).
Genug getan für die Verbesserung des Fahrradklimas?
Bevor die Rote Laterne beim Fahrradklimatest an Bad Homburg ging, brannte sie mehrere Jahre in Wiesbaden. Die Landeshauptstadt jedoch konnte beim letzten Test als eine der Aufholerstädte ihre Note deutlich verbessern, belegt aber noch immer den vorletzten Platz (70 von 71) vor Bad Homburg. Was hat sich also in Wiesbaden getan und reicht das, um Bad Homburg auf Distanz zu halten? Dazu bin ich nach Wiesbaden gefahren und habe mir von Günni Langer, aktives ADFC-Mitglied in Wiesbaden, die Entwicklungen zeigen lassen.
Bad Homburg ist stolz auf die Freigabe der Einbahnstraßen für Radfahrende in Gegenrichtung. Doch das hat Wiesbaden schon vor vielen Jahren begonnen und ist damit viel weiter. Wenn man vom Hauptbahnhof auf den ersten Ring fährt, fällt sofort die Umweltspur in beiden Fahrtrichtungen auf, ein breiter benutzungspflichtiger Radstreifen, der für Busse freigeben ist (vgl. Bild). Das ist sicher nicht optimal, insbesondere wenn es der Bus hinter den Radfahrenden eilig hat, aber er kann (wenn kein Stau ist) jederzeit überholen. Auch die Linksabbiegungen sind jetzt gesondert gekennzeichnet, so dass sofort klar wird, wie sich Radfahrende einzuordnen haben. Weiter geht es zur Kreuzung Klarenthaler Straße – Dotzheimer Straße, die gerade fahrradfreundlicher umgebaut wird. Die überbreite Fahrspur wird verschmälert, es wird eine Ladezone zur Anlieferung eingerichtet und der bestehende Radweg verbreitert. In Bad Homburg sieht das RVK zum Beispiel auf dem Hessenring noch überbreite Fahrspuren vor und bestätigt damit, dass das RVK nichts mit moderner Radinfrastruktur zu tun hat.
In der Rheinstraße wurde rechts am Gehweg ein breiter Radstreifen markiert, zwischen dem und den links parkenden Autos ein Sicherheitstrennstreifen zur Verhinderung von Zusammenstößen mit sich öffnenden Autotüren eingefügt wurde (siehe Bild). So etwas hat sich auch der ADFC Bad Homburg/Friedrichsdorf vorgestellt. Damit ließen sich in Bad Homburg sichere Verbindungen auch für Schüler*innen auf Urseler Straße, Hessen- und Hindenburgring schaffen. Damit würde der allseits beklagte Verkehr durch Elterntaxis deutlich verringert, weil die Eltern nun keine Angst mehr um ihre Kinder auf dem Rad haben müssten.
Schüler müssen verkehrsreiche Fahrbahnen überqueren
Ein Bild zeigt die Fahrradweiche in der Burgstraße, wo Radfahrende zwischen Linksabbiegern und rechts haltenden Bussen eingequetscht sind. Selbst diese Stelle ist noch besser als die Planungen im Bad Homburger RVK, wo z. B. Schüler*innen beim Linksabbiegen von der Urseler Straße in die Jakobistraße zwei vielbefahrene Fahrstreifen überqueren sollen, um dann an der Linksabbiegerspur bei rechts vorbeirauschendem Verkehr an der Ampel auf Grün zu warten.
Schon dieser kurze Vergleich zeigt, dass sich Wiesbaden deutlich weiter entwickelt hat, als dies in Bad Homburg in den letzten beiden Jahren der Fall war. Es wird schwer werden für Bad Homburg, an Wiesbaden wieder vorbeizuziehen.
Den drittletzten Platz in Hessen belegte beim letzten Test Kelsterbach mit einer Note von 4,33, Bad Homburg hatte 4,54. Daher habe ich beim ADFC nachgefragt, was sich dort in den letzten beiden Jahren getan hat. In Kelsterbach wurden fast alle Einbahnstraßen für Radfahrende in Gegenrichtung freigegeben und es wurden moderne Radabstellanlagen installiert. Weiterhin wurde ein Nahmobilitätscheck mit der AGNH durchgeführt, auf dem die weitere Infrastrukturplanung aufbauen soll. Das hatte der ADFC Bad Homburg/Friedrichsdorf auch schon angeregt, weil dann die Missstände deutlich dokumentiert wären. Wie in Bad Homburg wird auch in Kelsterbach unter Einbeziehung des ADFC bei Baumaßnahmen vermehrt auf das Thema Radverkehr geachtet. Könnte da die Rote Laterne wirklich an Kelsterbach gehen?
Wir arbeiten weiter intensiv daran, die Stadt und die Kommunalpolitik davon zu überzeugen, dass eine bessere Radinfrastruktur die Lebens- und Aufenthaltsqualität in der Stadt erhöht und gerade in der Innenstadt die Erreichbarkeit durch Radfahrende nach vielen Studien zu einer Umsatzsteigerung der Einzelhändler führt (siehe dazu auch Beitrag auf Seite 11). Wir freuen uns zwar, dass wir zu vielen Planungen Stellung nehmen dürfen, allerdings werden unsere Ideen viel zu selten aufgegriffen. Oberbürgermeister Hetjes sagte nach dem letzten Test, dass sich Versäumnisse der letzten zwanzig Jahre nicht in drei Monaten aufholen lassen. Das ist richtig, sie lassen sich auch nicht in zwei Jahren aufholen. Aber mehrfach haben wir der Stadt und den politischen Entscheidungsträger gesagt, dass es in der Lage von Bad Homburg nicht hilft, der Entwicklung mit Trippelschritten hinterher zu humpeln, sondern dass nun die Siebenmeilenstiefel angezogen werden müssen. Davon ist leider weit und breit nichts zu erkennen.
Ralf Gandenberger