Karls Kolumne:
Radverkehrspolitik by Flaschenpost
Es war ein Erlebnis von der Art, wie man sie sich selbst kaum vorstellen kann: Bei der Präsentation der Machbarkeitsstudie des Radschnellwegs Hanau-Maintal-Frankfurt im September 2019 wurde eine meterlange Planungsskizze gezeigt, die den Vorschlag einer neuen Brücke über die Kinzig in Hanau bildlich wiedergab. Das kam dem Autor nun doch nicht unbekannt vor, und so grub er einen Radroutenplan des ADFC Hanau aus dem Jahr 1997 aus seinem persönlichen Archiv aus, an dem er seinerzeit zusammen mit einem Dutzend weiterer Aktiver gearbeitet hatte. Und in der Tat: War es doch just genau diese Stelle, für die bereits vor mehr als zwanzig Jahren eine neue Brücke als dringend erforderlich bezeichnet worden war. Nun, doch nicht ganz genau; es liegen runde 50 Meter zwischen den beiden Vorschlägen.
Das rührt den in langjährigem Kampf ergrauten Fahrradlobbyisten doch ein bisschen. Es kam ihm vor, als habe man 1997 eine Flaschenpost losgesandt – mit der bangen Frage im Hinterkopf, ob sie je gefunden, dann auch noch gelesen, darüber hinaus verstanden, am Ende gar umgesetzt werden würde.
Im Rückblick auf einige Jahrzehnte im ADFC fallen einem noch mehr derartige Begebenheiten ein, die beispielhaft dafür stehen, dass die Früchte unserer Arbeit hier und da erst allmählich zu reifen beginnen. Jede und jeder wird sicherlich selbst einige Bespiele kennen – seien es Fahrradboxen, geöffnete Einbahnstraßen, aufgehobene Benutzungspflicht und Vieles mehr –, an deren Umsetzung eigentlich niemand mehr geglaubt hatte. Daher sollten wir unsere radverkehrspolitische Strategie um die Variante "Politik by Flaschenpost" erweitern.
Allerdings wirft der zu erwartende Zeithorizont doch einige Fragen und Probleme auf. Haben denn auch die Adressaten die Möglichkeit, eine Flaschenpost zu erkennen? In der Janosch-Geschichte "Oh, wie schön ist Panama" übersehen die beiden Helden zwei Mal eine Flaschenpost. Sie sind von ihrem Traumziel so dermaßen überwältigt, dass sie jeden Hinweis, und ist er auch noch so abwegig, als Richtung zu ihrem Ziel interpretieren, während sie sich in Wirklichkeit nur im Kreis bewegen. Das letztlich erreichte Ziel ist zwar alt und marode, ihnen erscheint es aber als das Land ihrer Träume.
Erinnert das nicht fatal an die Verkehrspolitik der vergangenen Jahrzehnte? Sie dreht sich im Kreis, und alte Ruinen werden als das Paradies erklärt. In der Flaschenpost könnte eine geheime Botschaft stehen, mit Plänen für einen Schatz. Aber die Helden der Verkehrspolitik müssen auch gewillt sein, eine Flaschenpost zu bergen, zu lesen, zu verstehen – und dann zu handeln.
Denn eines ist auch klar: Wenn die Sintflut erst einmal da ist, dann verliert auch die Flaschenpost jegliche noch so kleine Wirkung!
Und für uns: Wer auf Flaschenpost setzt, der sollte unbedingt die Strömung kennen und den Platz gut wählen, an dem er sie losschickt.
Karl Pfeil