Uferpromenade nördlich von Kopenhagen. Hier ist Platz für alle: Vom Rand zur Mitte gibt es gleichberechtigt Fußweg, Radweg, einen Trennstreifen, Kfz-Fahrbahn und einen schmalen Grünstreifen
Matthias Marks
Kopenhagen – die Fahrradhauptstadt
Exklusive Radwege und extravagante Brücken. Was ist dran an diesen "Gerüchten"?
Unsere diesjährige Urlaubsplanung führte meine Frau und mich im Sommer spontan nach Kopenhagen. Der Plan war, mit dem Auto dorthin zu fahren und dann mit dem eigenen Fahrrad die Stadt und deren Umgebung zu erkunden. Wenn jemand von Kopenhagen spricht, dann denke ich spontan an einen hohen Radverkehrsanteil, an exklusive Radwege und extravagante Brücken. Was ist dran an diesen "Gerüchten"? Wie sieht es dort im Vergleich mit Frankfurt aus?
Kopenhagen hat etwas weniger Einwohnerinnen und Einwohner als Frankfurt, die Zahl bewegt sich aber durchaus in vergleichbarer Größenordnung. Die Lage an der Ostsee beschert der Stadt einige Gewässer, die Topographie ist eher flach. Wir haben ein Apartment in Virum, einem nördlich von Kopenhagen gelegenen Vorort, gebucht. Vor dort aus sind es ungefähr 16 Kilometer bis ins Zentrum – eine Strecke, die sich auch täglich gut bewältigen lassen sollte.
Viel Platz fürs Rad,
Schon am ersten Tag bei der Fahrt ins Zentrum fällt auf: Es gibt praktisch an jeder Straße einen abgesetzten, asphaltierten Radweg auf Bordsteinhöhe mit einer qualitativ erstklassigen Oberfläche und meistens auch in einer Breite, die es ermöglicht, mühelos zu überholen oder nebeneinander zu fahren.
links:
Typischer Radweg in Kopenhagen: Auch Überholen ist kein Problem
rechts:
Gerade noch ist die letzte Radlerin im Querverkehr auf der Kreuzung und schon kommt von vorne der nächste Velo-Pulk
Matthias Marcks
Das erste Linksabbiegen ist ungewohnt, aber wir lernen schnell, dass und wie man an mittels Ampel geregelten Kreuzungen indirekt links abbiegt. Das bedeutet: zunächst geradeaus die Kreuzung überqueren, sich dort irgendwo aufstellen und auf Grün für den Querverkehr warten. Für Radelnde, die in Frankfurt unterwegs sind, mutet das auf den ersten Blick sicherlich wie eine Geduldsprobe an, denn im schlimmsten Fall steht man zwei Mal wartend an einer roten Ampel. Und Ampeln gibt es in Kopenhagen und dessen Umgebung in großer Zahl. Selbst in den Vororten, in denen der Verkehr sehr spärlich ist, wird praktisch jede Kreuzung mit einer Ampel geregelt. Doch wer dort radelt, der hält sich daran: Bei Rot wird angehalten. Dabei wird die Ampel unversehens zum Treffpunkt. An vielen dieser "Treffpunkte" in der Innenstadt sind Trittbretter mit Geländer installiert, sodass die ersten zwei oder drei Radelnden, die vor der Ampel zum Stehen kommen, sich festhalten und den rechten Fuß aufstellen können. So lässt sich die Wartezeit angenehm gestalten.
Sogar jene, die rechts abbiegen wollen, bleiben bei Rot stehen, obwohl es für sie einen eigenen, vom Kfz-Verkehr getrennten, durchgehenden Weg gibt. Die Menge der Leute, die die Straße radelnd oder zu Fuß gehend queren, ist beachtlich genug. Das wissen auch Fußgänger, und hier tritt niemand unachtsam auf den Radweg. Bei Grün geht es geradeaus und rechts weiter, und auf diese Weise werden die Radelnden zu Pulks gebündelt. In der Innenstadt entstehen dadurch meist Gruppen von fünf bis zwanzig Radelnden, die durch eine Straße rollen. Das Tempo ist mäßig, aber gleichmäßig. Gerast oder gedrängelt wird nicht. Wer abbiegt, gibt Handzeichen, und wer anhält, hält den angewinkelten Arm mit der Hand auf Kopfhöhe nach oben. Teilweise gibt es Signale etwa 200 Meter vor einer Kreuzung, die die Zeit bis zum nächsten Grün anzeigen. Wenn man einmal ein Gefühl für das Signal bekommen hat, kann man sein Tempo entsprechend einrichten und energiesparend gerade so durchrollen. Wer mit seinem Kfz rechts abbiegt, der hält respektvoll Abstand. Das Gefühl, dass mich ein Autofahrer einmal nicht gesehen hat, hat mich während meines Aufenthalts in Kopenhagen zu keiner Zeit beschlichen. Ich vermute, dass das daran liegt, dass es hier eher die Regel als die Ausnahme ist, dass Radelnde unterwegs sind. Überhaupt gewann ich auch nach mehreren Tagen im Verkehrsgewusel nicht den Eindruck, dass es zu Konflikten zwischen den verschiedenen Verkehrsteilnehmern kommt.
Weniger Verkehrszeichen – trotzdem kein Verkehrschaos
Übrigens sind nur wenige Radwege mit dem blauen Fahrradsymbol beschildert. Meine Erklärung hierfür ist ganz einfach: Bei Radwegen, die als solche erkennbar und überdies sehr gut befahrbar sind, erübrigt sich eine gesonderte Beschilderung. Es fährt auch tatsächlich niemand auf der Kfz-Spur mit dem Rad. Wozu auch? Der Radweg ist fast genauso breit und in sehr gutem Zustand.
links:
Radwege mit Überbreite. Scharfe Bordsteinkanten verhindern, dass sich Autos auf die Radstrecke verirren
rechts:
Fahrradabstellanlagen sind zwar vorhanden, aber ausschließlich in "traditioneller" Qualität
Matthias Marcks
Auch zum Linksabbiegen auf dem Rad kommt man hier nicht auf die Idee, sich in den fließenden Verkehr einzufädeln – dazu müsste man auch erst mal die etwa 15 Zentimeter hohe Bordsteinkante herunterrumpeln. Stattdessen praktiziert man hier ganz selbstverständlich das indirekte Linksabbiegen, wie oben beschrieben.
Nach ein paar Tagen fällt mir auch noch auf, dass es insgesamt weniger Verkehrsschilder gibt. Zum Beispiel stehen alle Ampelmasten nackt da. Keine Schilder, die die Vorfahrt regeln, wenn die Ampel mal ausfällt. Ich habe keine Ahnung, was dann passiert, aber ich denke, das Volk der Däninnen und Dänen kennt die Regeln. Auch Halte- und Parkverbot, alle möglichen Zonen und Durchfahrtsbeschränkungen – und was es sonst noch alles an Instrumenten zur Verkehrsregelung in Frankfurt gibt –, werden nur sehr selten eingesetzt. Anordnungen von Beschränkungen der Höchstgeschwindigkeit auf 40km/h oder 30 km/h findet man in Vororten in Form dezenter kleiner blauer quadratischer Tafeln, angebracht in Hüfthöhe. Wenn keine Ampel vorhanden ist, wird die Vorfahrtsregelung mithilfe von Linien oder einer Reihe von Dreiecken ("Haifischzähnen") auf der Fahrbahn kenntlich gemacht. Folglich gibt es keinen Schilderwald, die Straßen sehen aufgeräumt und übersichtlich aus und der Verkehr funktioniert trotzdem.
Kopenhagener Brücken,
Kopenhagen ist eine Stadt am Wasser und am Hafen, wobei ganz offensichtlich viele alte Hafenanlagen abgerissen wurden, sodass nun moderne, schicke, mehrstöckige Wohnhäuser die Ufer zieren. Oder auch die dänische Nationaloper, die der Stadt im Jahr 2004 von dem dänischen Reeder Mærsk Mc-Kinney Møller geschenkt wurde und die zu den modernsten Opernhäusern der Welt zählt. In direkter Nachbarschaft der Oper erinnern zwei alte Verladekräne noch an die ursprüngliche Zweckbestimmung des Geländes. Auf der anderen Seite der Oper springen Männer ins ehemalige Hafenbecken, auf der Suche nach Abkühlung in den heißen Julitagen. Mir wird nicht klar, ob das erlaubt oder vielleicht auch nur geduldet ist, doch es scheint niemanden zu stören.
Reges Treiben auf der Inderhavnsbroen – einer Brücke in Kopenhagen, deren Nutzung ausschließlich Nichtmotorisierten vorbehalten ist
Matthias Marks
Überhaupt ist das Baden und Sonnenbaden in den verschiedenen Hafenanlagen eine vielzelebrierte Freizeitbeschäftigung. Schon tagsüber war an einem Wochentag die Kalvebod Bølge, eine Mischung aus Fußgängerbrücke, Badeinsel, Fitnessparcours und Bootsverleih, mit Sonnenhungrigen gut gefüllt. Über das schwimmende Freibad im Gasværkshavnen führt schließlich die Cykelslangen, eine geschwungene Brücke für den Rad- und den Fußverkehr, die aus dem Fahrradparkhaus der Einkaufsmall Fisketorvet nach Havneholmen führt.
Auch die Lille Langebro ist eine Brücke nur für Nichtmotorisierte – und besonders eindrucksvoll ist die Inderhavnsbroen, auf der man in der Fahrradspur besser nicht stehen bleibt, sondern zum Sightseeing lieber in den Fußgängerbereich ausweicht und erst dann anhält und absteigt – so dicht ist hier der Radverkehr.
Parken in Kopenhagen – wenig
Apropos Stehenbleiben: Für den ruhenden Radverkehr haben wir keine befriedigenden Lösungen gesehen, aber das scheint auch der einzige Minuspunkt im Vergleich mit Frankfurt zu sein. Einfache Felgenklemmer in verschiedenen Variationen ohne Möglichkeit, den Rahmen anzuschließen, sind der Kopenhagener Standard.
In einigen Straßen gibt es Radwege mit Überbreite, die aus Kfz-Spuren entstanden sein mögen. Allerdings wurden scharfe Bordsteinkanten geschaffen und niemand kommt auf die Idee, auf einem solchen Radweg ein Auto abzustellen.
Ein besonderes Highlight erleben wir hingegen an unserem letzten Tag in Kopenhagen, einem zunächst regnerischen Sonntag. Weil wir die Ausstellungen der Glyptotek nicht völlig verschwitzt oder durchweicht besichtigen wollen, beschließen wir den Perspektivwechsel und fahren mit dem Auto in die Stadt. Der erste Parkversuch – vor dem Polizeipräsidium, wie wir schnell feststellen sollen – scheitert im Ansatz: Noch bevor wir den Versuch angehen, die Zusatzschilder unter dem Parkverbotsschild zu übersetzen, kommt ein Polizeiauto angefahren, und ein strenger Blick des in ihm sitzenden Polizisten macht uns unmissverständlich klar, dass wir hier nicht parken können. Offenbar ist der Parkplatz für Polizeiwagen reserviert.
Eine Straße weiter gibt es verdächtig viele freie Plätze. Der Parkscheinautomat gibt allerdings auch in englischer Sprache die eindeutige Information, dass sonntags das Parken gebührenfrei ist. Also stellen wir unser Auto dort ab und laufen fröhlich in Richtung Glyptotek. In der nächsten Straße treffen wir auf einen Uniformierten. Der schaut sich die parkenden Autos verdächtig genau an, tippt irgendetwas in seinen kleinen tragbaren Computer ein und fotografiert das eine oder andere der Vehikel. Ich bin etwas verunsichert und frage mich, ob ich den Parkscheinautomaten womöglich doch missverstanden habe. So spreche ich den Uniformierten an. Zu meiner Erleichterung bestätigt er mir, dass uns sonntags das Parken nichts kostet. Heute schreibe er nur diejenigen auf, die tatsächlich illegal parken, zum Beispiel zu dicht an der Kreuzung oder am Zebrastreifen. Angesichts dieser gerade für einen Sonntag bemerkenswert peniblen Kontrolle wird mir schlagartig klar, warum ich in den Tagen zuvor nirgendwo in Kopenhagen wild parkende Autos gesehen habe.
Matthias Marcks