Sanierungsoffensive – war da was?
Eine Zwischenbilanz im Main-Taunus-Kreis
L 3015 – eine von vielen hessischen Landesstraßen ohne durchgängige, alltagstaugliche Radinfrastruktur
Gabriele Wittendorfer
Der eine oder die andere mag sich noch daran erinnern: Unter der Überschrift "Sanierungsoffensive 2016 – 2022" wollte der seit 2014 amtierende hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir in über 540 Einzelbaumaßnahmen nicht nur marode Landesstraßen und Brücken sanieren, sondern auch 69 neue Radwege (bzw. neue Abschnitte von Radwegen) bauen: "Auch hier muss die Infrastruktur stimmen, und auch hier gibt es großen Nachholbedarf."
Broschüre herunterladen.. HMWVL
385 Millionen Euro für Kfz-Infrastruktur, 4 Millionen Euro für Rad-Infrastruktur
Manch einer unkte, dass mit dieser "Kraftanstrengung" das Land Hessen im bundesweiten Ranking vom viertletzten auf den drittletzten Platz zurückfallen würde, aber immerhin: Da war so etwas wie Problembewusstsein spürbar. Außerdem stieg das Budget für Radverkehrsmaßnahmen in den Folgejahren an, und dazu wurde auch ein schöner Flyer produziert:
"Hessen auf dem Weg zum Fahrradland", der auf der entsprechenden Seite des HMWVL heruntergeladen werden kann.
Im Main-Taunus-Kreis wurden vier Maßnahmen hoch priorisiert – insgesamt 6,6 Kilometer Radweg
Hört sich machbar an, so dass sich der ADFC Main-Taunus im Jahr vier der Sanierungsoffensive umgehört hat, wie es aussieht mit der Umsetzung dieser Vorhaben:
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L 3006 Radweg Hattersheim/Okriftel (Rheinstr.) 0,5 km
Im letzten Termin mit Hessen Mobil wurden viele Probleme aufgeworfen -
L 3011 Radweg zwischen Eppstein und Lorsbach 1,8 km
Eine gemeinsame Idee (Kommunen, Kreis, Hessen Mobil, Polizei), wie dieser Radweg gestaltet werden könnte, liegt vor -
L 3028 Radweg Lückenschluss "Elisabethenstraße" zwischen Hochheim und Wiesbaden/Delkenheim
0,8 km
Die Planung dieses Radwegs stockt aktuell aufgrund fehlender Ressourcen in der Stadtverwaltung Wiesbaden -
L 3265 Radweg zwischen Flörsheim/Weilbach und Hattersheim 3,5 km
Im letzten Termin mit Hessen Mobil wurden viele Probleme aufgeworfen
Die traurige Zwischenbilanz: Auch wenig ambitionierte Ziele scheinen nicht erreichbar.
Ohne genau zu wissen, wie die Bilanz in den anderen Kreisen aussieht: Die Chance, dass wir im MTK im Jahr 2022 6,6 Kilometer mehr Radwege entlang von Landesstraßen haben, schwindet von Tag zu Tag. Leider hat der Verkehrsminister seiner richtigen Analyse bislang wenige Taten folgen lassen. Wir haben auch im Speckgürtel Frankfurts immer mehr Alltagsradverkehr, der sich auf der immer noch genauso schlechten Radinfrastruktur wie vor 2014 quält:
Radfahren auf der hoch frequentierten Landesstraße oder dem parallelen Wirtschaftsweg oder dem von Hessen Forst kaputtsanierten Grobkiesel-Waldweg, das ist Alltagsradfahren im MTK.
Ich weiß nicht, wie oft der Herr Minister mit dem Rad zur Arbeit fährt und ob er dabei erlebt, wie es den Alltagsradfahrenden nicht nur im MTK geht, wenn sie auf der Straße immer wieder von Autos bedrängt werden, wenn sie auf dem Wirtschaftsweg den dortigen Produktionsbetrieb stören oder wenn sie im Wald nach jedem Starkregen oder Sturm ihr Rad über Stock und Stein hieven müssen. Radinfrastruktur geht anders!
Ja, es gibt keine einfachen Lösungen. Umsteuern ist irre schwierig, zumal wir nicht am grünen Tisch gestalten, sondern im bebauten Raum. Aber nein, wir vom ADFC werden nicht mitmachen beim Wegschauen und Schönreden.
Hessen Mobil hat zwar bislang keinen Fortschrittsbericht zur Sanierungsoffensive bei den Radwegen veröffentlicht, der ADFC schätzt aber, dass von den geplanten 69 Einzelmaßnahmen noch nicht einmal 20 Prozent realisiert wurden. Das ist ein Armutszeugnis. Am Geld scheint es nicht zu liegen, denn im Nachtragshaushaltsentwurf 2019 sind für Hessen Mobil immerhin 20 neue Ingenieur-Stellen für Brücken und Tunnelbauwerke vorgesehen. Gut ist auch, dass bei Hessen Mobil endlich eine Steuerungsgruppe Radverkehr mit sechs Personen gegründet wurde, aber selbst bei deren Ausbau gäbe es immer noch keine "end2end"-Verantwortung für überörtliche Radwege:
Wir haben keine effektiven und effizienten Umsetzungsstrukturen für ortsverbindende Radverkehrsinfrastrukturmaßnahmen
in Hessen.
Und bevor jetzt einzelne Personen oder ganze Fraktionen beleidigt sind: In der Politik geht es darum, Mehrheiten zu beschaffen. Es gibt gerade eine breite öffentliche Unterstützung für das Thema Radverkehr. Sonst würde es nicht so viele Unterschriften unter Radentscheide geben, vom Pedelec-Boom ganz zu schweigen. Aber gewählte Politik muss auch liefern. Indem gesetzliche und verwaltungstechnische Strukturen geschaffen und Spielräume ausgelotet werden, um diesen Rückenwind zur Erreichung des Ziels "Fahrradland Hessen" auszunutzen.
Hier muss Schwarz-Grün endlich gestalten, anstatt sich hinter fehlenden Planungskapazitäten und bürokratischer Baurechtsbeschaffung zu verstecken.
Mich interessiert 2022 nicht, an wem es gelegen hat, dass wir im MTK keine 6,6 km Radweg zustande bekommen haben. Ich werde dies aber niemandem mehr erklären können. Und das ist dann der direkte Weg zur Politikverdrossenheit. Oder mit aktuellen Worten des Robert Habeck (nicht im MTK ansässig): "Selbstverständlich wissen wir, dass wir eine Hoffnung wecken, die erfüllt werden muss."
Gabriele Wittendorfer