Besuch bei der "Solidarität"
Versichert waren auch Unfälle beim Fahrradreparieren
oder -putzen
An der Veranstaltungsreihe "Spuren des Sports in Frankfurt" hat sich der ADFC nicht als Anbieter beteiligt, aber seine Mitglieder kamen sehr wohl als Besucher
Radfahrergruppe in den 30er Jahren (aus einem Photoalbum des Autors)
privat
Am 19. September 2018 traf man sich im Vereinsheim des "RMSV Soli Fechenheim 1896 e. V." direkt an der Endhaltestelle der Straßenbahnlinie 11. Der Sporthistoriker Professor Ralf Beduhn berichtete über die Entstehung und die Geschichte des 1896 unter dem Namen "Arbeiter-Radfahrerbund Solidarität" in Offenbach gegründeten Vereins, der 1908 bereits 100.000 Mitglieder hatte.
Der Verband widmete sich nicht dem gefährlichen Spitzensport, sondern dem gesundheitsfördernden Breitensport. Die Fahrten aufs Land waren auch eine gute Gelegenheit, Flugblätter der Sozialdemokratie zu verteilen.
Im Winter, wenn es draußen ungemütlicher wurde, fand das Radfahren im Saal statt, als Radball, Radpolo oder Kunstradfahren.
Die Benutzung von Fahrrädern wurde von der "Solidarität" unterstützt, damit sich Fabrikarbeiter in der spärlichen Freizeit bewegen konnten und an die frische Luft kamen, um für den Arbeitsalltag fit zu bleiben. Auch um die dafür notwendige Infrastruktur kümmerte sich der Verein durch Zusammenarbeit mit Unterkünften, Gaststätten und Werkstätten.
Es wurden sogar Verkehrsschilder für die Radwanderer aufgestellt. Eine Unfallunterstützung sprang nicht nur bei Verkehrsunfällen ein, sondern auch dann, wenn sich jemand beim Reparieren oder Putzen des Fahrrads verletzte. Die Notfallunterstützung bei Arbeitslosigkeit wurde ab 1929 zu einem großen Problem für die Bundeskasse des Vereins.
Anfänglich waren Fahrräder ein für Arbeiter fast unerschwinglicher Luxusartikel. Abhilfe schaffte die Massenproduktion unter anderem in der vereinseigenen Fahrradfabrik "Frischauf" in Offenbach, in der auch Nähmaschinen und Motorräder hergestellt wurden.
Die rationelle Serienproduktion setzte voraus, dass Herstellverfahren und Maschinen entwickelt wurden, die präziser und kostengünstiger arbeiteten als die alten Handwerkstechniken. Nahtlose Rohre, Kugellager, Antriebsketten und Speichen sind hochbelastete und hochpräzise Spezialteile, deren handwerkliche Einzelanfertigung praktisch unbezahlbar ist. Maschinen für die kostengünstige rationelle Fertigung mussten aber erst entwickelt und dann ausgelastet werden. Nur so wurde eine Massenproduktion und ein Massenabsatz möglich mit Produkten, die auch für die Arbeiter in den Fabriken selbst erschwinglich wurden. Das Fahrrad mit seiner Entwicklung der Herstellung und der Nutzung steht deshalb wie kaum ein anderes Industrieprodukt in einer Wechselwirkung zu technischen und sozialen Umwälzungen.
Waren die Industrieteile erst einmal auf dem Markt, konnten sie auch anderswo eingebaut werden. Auf diese Weise wurden auch Motorräder immer erschwinglicher und damit beliebter. 1928 erweiterte der Verein sein Betätigungsfeld und änderte den Namen in "Arbeiter Rad- und Kraftfahrerbund Solidarität".
1930 hatte der Verein 300.000 Mitglieder. Die Zahlen sanken dann als Folge von Massenarbeitslosigkeit und aufkommendem Nationalsozialismus. 1933 wurden die Büros und Vereinsheime geplündert, die Fabrik "Frischauf" wurde enteignet. Nach 1945 bekam der Verband eine kleine Entschädigung, aber die Fabrik blieb in fremder Hand. Die Fabrikationshallen stehen inzwischen nicht mehr, aber Teile des für die Arbeiter errichteten Wohnhauskomplexes an der Sprendlinger Landstraße in Offenbach sind erhalten geblieben.
Erst 1977 wurde die Mitgliedschaft der "Solidarität" im Deutschen Sportbund möglich und damit der Zugang zu weiteren Geldmitteln.
Ingolf Biehusen