Den Hype ernst nehmen
Herr Zauner aus Königsbrunn hat einen Leserbrief an die "Augsburger Allgemeine" geschrieben, ein Mitarbeiter der FAZ hat diesen zufällig im Lokalteil des Blattes entdeckt. Er fand den Leserbrief immerhin so treffend, dass er ihn als Aufhänger für einen Leitartikel nutzte.
Der ganze Hype um die ,Fahrradstadt' gehört auf den Senkel gestellt!", schreibt Herr Zauner. Die Förderung des Radverkehrs scheitere an den bekannten Nachteilen des Radfahrens, denn es gäbe viele Gründe für einen Gelegenheitsradler, das Fahrrad eben nicht als Verkehrsmittel zu wählen. Herr Zauner zählt auf: Kälte und Nässe, Schnee und Regen, Entfernungen von über 10 Kilometern, schwere Transporte, Krankheit, usw. Dass, so nun wieder die FAZ, im Winter so wenige Radler auf den Straßen zu sehen sind beweise doch, dass die "Gelegenheitsradler" weiterhin auf Autos, Busse und Bahnen angewiesen seien. Und "wenn über die Zukunft der Mobilität in der Rhein-Main-Region gesprochen wird, sollte man die Kirche im Dorf lassen (...) Die Infrastruktur muss auch ihren Ansprüchen weiterhin gerecht werden." Hier wird so getan, als müsse man einen der immer wieder wechselnden "Hypes" nicht ernst nehmen, denn das Fahrrad könne grundsätzlich keine Alternative zum Auto sein.
Genau darum geht es: Hat nicht spätestens seit der Dieselkrise in den Rathäusern die hastige Suche nach Ersatz eingesetzt, also die massive Förderung des ÖPNV und des Radfahrens? Haben nicht auch evidente Aktionen (die FAZ berichtete gerne und ausführlich über spektakuläre Protestaktionen im Rahmen des Radentscheids) und kulturelle Leistungen wie die Ausstellung "Fahr Rad" im Architekturmuseum in der Öffentlichkeit Wirkung gezeigt? Ist die Erhöhung der Sicherheit von Fahrradwegen und Radfahrstreifen, wie sie derzeit in vielen Städten mit einer bisher unbekannten Entschlossenheit vorangetrieben wird, nur eine Marotte von Politikern, die auf die neue Fahrradlobby hereinfällt?
Nein, es geht um die notwendige Reduktion der Dominanz des Autos als privatem Verkehrsmittel, weil die von dieser verursachten Klimaschäden und Beschädigungen der innerstädtischen Aufenthaltsqualität nicht mehr tragbar sind. Wer das nicht erkennt und darin nur einen Ausdruck unrealistischer Träumerei sieht, stemmt sich gegen die Wiedergewinnung der Urbanität der Innenstädte und unterläuft die schwierige Arbeit am Klimaschutz. Die FAZ sollte dem angeblich mutlosen Gelegenheitsfahrer doch einiges mehr zutrauen, nämlich sich zum Alltagsfahrer weiterzuentwickeln. Die gerade wachsende Beliebtheit der Lastenräder spricht dafür.
Wolfgang Christian