Der Vier-Götter-Stein
"Salvete anticil" – Gestatten: Jupiter, römischer Göttervater
Mein Standbild gehört eigentlich oben auf den Sockel des abgebildeten Vier-Götter-Steins. Leider fehlt es, man sieht auf den vier Seiten nur meine Götterminister Herkules, Minerva, Juno und Merkur. In Notfällen kann man denen opfern. Mir braucht niemand zu opfern, ich habe alles, was ich brauche. Wo der Stein steht? An einem Rastplatz unterhalb von Kronberg im Taunus. Und seit einigen Monaten kommen regelmäßig, meistens mittwochs, Nichtrömer vorbei, halten an, reden fremdes Zeug, trinken aus Plastikflaschen und essen Kuchen oder Bananen. Jeder von ihnen sitzt auf einem "bicyclus", einem "vehiculum cum duo rotis". Die Dinger sind sehr schnell und fallen merkwürdigerweise nicht um, obwohl es so aussieht.
Nun zu meinen Ministern: Jede/-r von ihnen hat seinen (oder ihren) Geschäftsbereich. Zusammen haben wir alles im Griff. Das gilt für alle vier Himmelsrichtungen. Juno ist meine Frau – besser: Gattin. Herkules ist mein Sohn. Merkur ist der Gott der Händler und Diebe, Minerva ist unter anderem zuständig fürs Handwerk; beide bilden also eine Mischung aus Wirtschafts- und Verkehrsminister.
Ich habe gehört, dass seit einigen Jahren auf den hiesigen "viae publicae" Fahrzeuge ohne Pferd und mit vier Rädern, also "vehicula cum quattuor rotis, sine equo", unterwegs sind, die schlechte, krankmachende Luft hinterlassen. Der derzeitige Merkur und sein Vorgänger sollen sich vier Jahre lang erfolglos mit einer Maut für Fremdlinge beschäftigt haben, aber von der schlechten Luft wussten sie angeblich nichts. Was um Jupiters Willen haben sie in der Zeit geatmet?
Hätte mein Minister Merkur so eine schlechte Luft nicht innerhalb kürzester Zeit beseitigt, dann hätte der Vier-Götter-Stein heute nur drei Seiten! Das schwöre ich beim Jupiter, also bei mir selbst!
Ach, zu den Opfern ist mir doch noch etwas eingefallen: So einen "bicyclus" hätte ich gerne auch!
Günther Gräning