Offenbach hat große Pläne mit den Fahrradstraßen – das sorgt für reichlich Diskussionsstoff
Foto: Urban Media Project
Die Fahrradstraßen kommen!
"Vorfreude auf Radstraßen", titelte am 10. August die Offenbach-Post, die als Autofahrer-Heimatblatt schon immer eine klare Position hatte. Bislang waren auch ihre Leserbriefe dazu geeignet, Wutbürgern gegen die Rad fahrende Minderheit ein Forum zu geben.
In den letzten Monaten änderte sich das, und zwar mit der Dieselkrise der Autoindustrie und dem Druck der EU auf Deutschland, das Klimaschutzabkommen endlich zu erfüllen. Es erschienen ganzseitige redaktionelle Darstellungen, die sich positiv mit dem Fahrradfahren beschäftigten und darauf hinwiesen, was noch alles zu tun sei, um mit mehr Radwegen, Abstellangeboten oder gar Fahrradstraßen die Leute zum Umsteigen zu ermutigen. Dies alles im Kontext einer allgemeinen Fokussierung der Medien auf das Ende der Autodominanz in den Städten zugunsten der Wiedergewinnung einer lebenswerten Urbanität!
Mehr medialen Rückenwind hatten wir noch nie! Und das spiegelte sich auch im Artikel vom 10. August über unsere erste Nachbarschaftsaktion, mit der wir in der ersten der geplanten sechs Fahrradstraßen mit den Anwohnern über die kommenden Veränderungen sprechen wollten. Wir hatten nämlich mit höchstens zehn Interessierten gerechnet – doch in den zweieinhalb Stunden vor dem Einkaufszentrum kamen weit mehr als hundert!
Auf dem Bürgersteig hatte "Bike Offenbach" – eine Initiative zur Aufklärung über das Projekt "Fahrradstraßen" – einen Infostand in Gestalt eines Lastenrads mit vielen blauen Wimpeln aufgebaut. An den Wänden daneben waren unsere Plakate zu sehen, die die Veränderung der Stadt durch die Fahrradstraßen anschaulich machten.
Wie reagierten die Leute in der Senefelderstraße? Ein Zitat aus der Offenbach-Post: "Hört man sich unter den Offenbachern um, die an diesem Mittwoch gekommen sind, um sich über die geplante Fahrradstraße zu informieren, kristallisiert sich schnell eine Tendenz heraus: die allermeisten befürworten das Projekt." Zunächst ging es nur darum, zu erklären, dass hier im September eine 500 Meter lange Teststrecke für den Umgang mit den Besonderheiten einer Fahrradstraße eingerichtet werde. Den Anwohnern wollten wir die Möglichkeit bieten, sich außerhalb des Stammtisches kritisch über ihre Vorbehalte zu äußern.
Aber diese Vermutung fand sich in der Realität nicht wieder: In den Gesprächen stand die Neugierde an der Stelle von Skepsis im Vordergrund: Wohin soll der bisherige Querverkehr gehen? Wird die Polizei in der Anfangszeit regelmäßig kontrollieren? Kann ich dann immer noch da parken? Wird es Bodenschwellen geben?
Unerwartet viel Interesse gab es an den Anbindungen, die von den Fahrradstraßen zu den Nachbarorten hergestellt werden. Auch die Anbindungen an die geplanten Fahrradschnellwege südlich des Mains Steinheim - Offenbach - Frankfurt und in Süd-Nord-Richtung Darmstadt - Neu-Isenburg - Frankfurt-Sachsenhausen fanden das Interesse derer, die es gewohnt sind, große Strecken zu fahren.
Die durchweg positive Aufnahmebereitschaft derer, die uns ansprachen, hatten wir so nicht erwartet. Denn die Begründung einer vorgeblichen Notwendigkeit, Fahrradstraßen zu bauen, ja ganz Offenbach zur "Fahrradstraßenstadt" auszurufen, schien den Leuten schon nicht mehr wichtig zu sein. Ihnen ging es eher um die Dauer des Umbaus, um die Bereitschaft der Autofahrer, ihre bisherige Alltagsroute zugunsten der Radfahrer zu ändern oder um die Unterschiede in der Kennzeichnung von Auto- bzw. Fahrradstraßen. So kamen eher Fragen zur Geltung, die eine volle Akzeptanz signalisieren. Freilich waren unsere Gesprächspartner zumeist bekennende Radfahrerinnen oder Radfahrer.
So ganz konnte sich die Offenbach-Post aber doch noch nicht mit der neuen, fahrradfreundlichen Tendenz abfinden. In einem Leitartikel ein paar Tage später räsonierte sie über imaginäre rüpelhafte Nutzer der Fahrradstraße: Wenn sie nebeneinander fahren dürften und ihnen dabei ein Auto entgegenkomme, gäbe es sicher welche, die mutwillig keinen Platz machen würden! Wenn es sonst nichts Aufregendes gibt …!
Wolfgang Christian