Mit den richtigen Fragen punkten
Zugegeben: Ich bin kein Politiker und schon gar kein Radverkehrspolitiker. Dafür fehlt es mir an Geduld und Frustrationsresistenz. Umso mehr verdrießt es mich, wie engagierte Radverkehrspolitiker im ADFC eifrig und vergebens auf ihre lokalen Aktionslisten blicken und erkennen müssen, dass nicht viel vorangeht. Da stehen so Dinge wie etwa "Öffnung der Einbahnstraße XY" oder "Beseitigung des Pollers an der Ecke XY. Das sind mitunter Dutzende von Punkten, die jahrelang verwaltet werden, um sie der Kommunalpolitik und der Verwaltung jederzeit unter die Nase halten zu können. Und die Kommunalpolitik ist dankbar dafür, kann sie doch kleine Erfolge groß feiern und bei unerledigten Dingen auf die jeweiligen hohen Kosten verweisen.
Ich möchte an dieser Stelle meine, zugegeben begrenzten, Erfahrungen zum Besten geben. Sie mögen als guter Rat dienen:
Ich pflege Kommunalmenschen (Politiker oder Verwalter) zu Beginn zu fragen: "Wollen Sie in Ihrem Beritt mehr Radverkehr?" Das ist eine geschlossene Frage, auf die es nur die Antworten "ja" oder "nein" geben kann. Wenn die Antwort "nein" lautet, ist das Gespräch sofort beendet. Es wird aber kaum jemand mehr wagen, mit "nein" zu antworten, soviel hat der ADFC immerhin erreicht. Also wird die Antwort ein mehr oder weniger gequältes oder unwilliges "ja" sein. Jetzt kann man in Führung gehen, indem man fragt: "Wie hoch ist der Radverkehrsanteil in Ihrem Beritt, und wie hoch soll er in fünf Jahren sein?" Hier müssen fast alle passen, weil sie die Prozentzahlen nicht kennen und sagen, sie wüssten nicht, wie man sie ermittelt. Jetzt kann man seine Führung ausbauen, indem man Städte nennt, die diese Werte durchaus kennen (zum Beispiel Frankfurt). Und sie könnten sich ja dort erkundigen, wie man sie ermittelt. Aber gesetzt den Normalfall, dass man den prozentualen Anteil des Radverkehrs nicht kennt: Man kann dann immer noch fragen, um wie viel Prozente der Wert in fünf Jahren steigen soll. Jetzt will doch fast jeder Politiker Engagement zeigen; er wird also einen Wert nennen, meiner Erfahrung nach in der Regel "10 Prozent". Und nun hat man fast gesiegt: Die nächsten Fragen können lauten: "Auf wessen Kosten soll die Steigerung gehen? Motorisierter Individualverkehr, Fußgänger, öffentlicher Nahverkehr?" Und: "Mit welchen Maßnahmen wollen Sie die Steigerung erreichen?"
Jetzt wird meist herumgedruckst. Also antworte ich selbst. Auf die erste Frage: motorisierter Individualverkehr, auf die zweite: Verminderung des Raumes für Autos aller Art, Steigerung des Raumes für sicheren Radverkehr durch Radwege oder Radstreifen. Erfahrungsgemäß kommt jetzt gequälte Zustimmung, einfach deshalb, weil dem Kommunalpolitiker nichts Besseres einfällt. Und auf die versprochenen 10 Prozent kann man ihn später immer wieder hinweisen.
Günther Gräning