Wer verursacht hier welche Schäden, wer wird angemessen besteuert?
Frankfurt am Main, Opernplatz
Foto: Peter Sauer
Ihr Radfahrer zahlt keine Steuern, also
runter von der Straße
Ist die Steuerlast im Straßenverkehr gerecht zwischen den Verkehrsmitteln aufgeteilt?
Hin und wieder begegnet uns auf der Straße das obige Argument. Wir als Radfahrer zahlen weder Mineralöl- noch Kfz-Steuern, Autofahrer tun es. Die Mineralölsteuer, so ließe sich argumentieren, soll Straßenschäden, die durch Autos entstehen, decken. Eine analoge Steuer gibt es für Radfahrer nicht. Ist das in Ordnung?
Um zu einer angemessenen Besteuerung auf Grundlage der Straßenschäden zu kommen, muss man errechnen, welche Schäden durch welche Transportmittel verursacht werden und auf dieser Grundlage die Höhe der Steuern bestimmen. Straßenschäden hängen mit dem Gewicht des Fahrzeuges zusammen. Je schwerer, desto mehr Kraft wirkt auf die Straße ein. Der entstehende Schaden steigt dabei nicht etwa gleichmäßig, sondern mit der vierten Potenz. Das bedeutet, dass zum Beispiel zwei Tonnen im Vergleich zu einer Tonne nicht etwa doppelt so große, sondern 16-mal so große Straßenschäden erzeugen. Welches Fahrzeug verursacht also die Schäden auf unseren Straßen? Zu einem sehr großen Teil sind dies LKWs, da aufgrund ihres hohen Gewichts jeder einzelne LKW so große Straßenschäden verursacht wie 100.000 (!) PKWs.
Fahrräder, die noch einmal deutlich leichter sind als PKWs, verursachen absolut vernachlässigbare Straßenschäden. Aus dieser Überlegung heraus müsste man LKWs radikal höher besteuern, während das Auto und das Fahrrad kaum besteuert werden sollten. Vielleicht sollten PKW-Fahrer deshalb anfangen, sich bei LKW-Fahrern zu beschweren, anstatt bei Fahrradfahrern.
Allerdings nimmt diese Berechnung nur einen Aspekt in den Blick: die Straßenschäden. Umfassender wäre es, den Blick zu weiten auf die volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung der einzelnen Verkehrsmittel. Volkswirtschaftliche Kosten sind hier im Gegensatz zu betriebswirtschaftlichen gemeint. Es geht also darum, nicht nur die Betriebskosten eines Fahrzeuges in den Blick zu nehmen – im Falle des Autos wäre das etwa das Benzin –, sondern auch die gesellschaftlichen Kosten – etwa die Gefahr für Fußgänger, durch einen Autounfall verletzt zu werden. Mit dieser Berechnung werden also nicht nur die internen Kosten für den Autonutzer betrachtet, sondern auch die externen Kosten, die nicht der Autonutzer, sondern die Gesellschaft oder in unserem Beispiel konkreter, der angefahrene Fußgänger und seine Versicherung, zu tragen hat.
Es geht also darum, nicht nur die Betriebskosten eines Fahrzeuges in den Blick zu nehmen, sondern auch die gesellschaftlichen Kosten.
Dies bedeutet, dass eine Partei (der Autofahrer) einen Nutzen hat (von A nach B zu kommen), die Kosten dessen (Unfallfolgen) allerdings eine zweite Partei trägt. Diese wiederum hat selbst keinen Nutzen von dem Automobil. Die zweite Partei subventioniert also das Verhalten der ersten.
Ziel einer Volkswirtschaft sollte allerdings sein, den optimalen volkswirtschaftlichen Nutzen von Verkehrsmitteln zu erreichen. Dies wird im Falle des Autos durch Steuern auf Benzin versucht. Gäbe es diese Steuern nicht, würde das Auto weitaus häufiger benutzt werden, da sich das betriebswirtschaftlich lohnen würde. Die gesellschaftlichen Kosten wären dann (noch) höher, was aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht gewünscht ist: Menschen sterben bei Unfällen, Luftverschmutzungen belasten das Gesundheitssystem, Staus unsere Städte und vieles mehr. Daher wird versucht, durch Steuern genau auf den Preis zu kommen, auf dem der interne und externe Nutzen genau den internen und externen Kosten entspricht, das heißt, dass das Auto genau so häufig (und nicht mehr, aber auch nicht weniger) genutzt wird, als es volkswirtschaftlich optimal wäre. Wie hoch dann die Steuern genau sein müssten, ist aufgrund der Vielzahl von Einflussgrößen schwer zu berechnen; die meisten Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Autofahren trotz hoher Besteuerung in volkswirtschaftlicher Hinsicht zu günstig ist.
Autofahren müsste noch teurer und Radfahren sogar finanziell belohnt werden.
Und wie sieht es in volkswirtschaftlicher Hinsicht mit dem Radfahren aus? Im Falle des Radfahrens besteht ein hoher externer Nutzen, vor allem durch die zusätzliche Bewegung beim Radfahren, die hohe Kosten im Gesundheitswesen einspart. Im Gegensatz zum Auto verursacht das Fahrrad auch deutlich geringere externe Kosten, da letzteres keine Luftverschmutzung verursacht, selten zu Staus führt, einen geringen Platzbedarf hat und eine geringe Gefahr für Dritte im Straßenverkehr mit sich bringt. Daher besteht sogar eigentlich eine volkswirtschaftliche Unternutzung des Fahrrads, sprich: man – in diesem Falle der Staat, der ja die Aufgabe hat, das volkswirtschaftliche Optimum anzustreben – sollte Menschen sogar dafür bezahlen, Rad zu fahren. Eine kürzlich in Australien durchgeführte Studie zeigt, dass dort je 20-minütiger Radfahrt ein volkswirtschaftlicher Nutzen von umgerechnet 14,50 € entsteht.
Aus dieser volkswirtschaftlichen Sichtweise heraus wäre die bisherige Verteilung der Steuerlast zwischen Auto- und Radfahrern den Radfahrern gegenüber unangemessen. Autofahren müsste noch teurer und Radfahren sogar finanziell belohnt werden.
Ergänzung: Dazu gibt es auch Zahlen aus der Schweiz: der Fuß- und Radverkehr hat einen externen Nettonutzen von 400 Millionen Franken (wobei etwa 2/3 auf den Fußverkehr entfallen), während alle anderen Verkehrsarten zusammen einen negativen externen Nettonutzen von 8,5 Milliarden Franken verursachen, wobei auf den Autoverkehr 6,8 Milliarden Franken entfallen.
Den beschriebenen Zusammenhang hat man auch in Norwegen erkannt: dort wurden Radfahrer und Fußgänger entsprechend ihres volkswirtschaftlichen Nutzens bezahlt. Das bedeutet in Zahlen, dass jeder Fußgänger je Kilometer 6 €, jeder Radfahrer 3 € bekam. Eine schöne Aktion, die leider einmalig war.
Till Runge
Till Runge ist Herausgeber des Urbanist Magazins www.urbanist-magazin.de und Mitinhaber von ZIMMER Fahrradtaschen (www.zimmer-fahrradtaschen.de) . Dieser Beitrag erschien bereits 2014 auf Urbanist Magazin, hat aber seitdem nichts von seiner Aktualität verloren.