Plötzlich reden alle über den Nulltarif im ÖPNV – wir auch, aber anders!
Da erinnert die Europäische Union unsere Regierung an ihre Verpflichtung, im Sinne des Klimaschutzes für bessere Luft in der Stadt zu sorgen. Und Berlin reagiert mit einem Paukenschlag: Nulltarif in den Öffentlichen Verkehrsmitteln, also Bus, Straßenbahn, U- und S-Bahn versuchsweise in fünf Städten! Wir in Offenbach sind nicht, und Ihr in Frankfurt und Umgebung seid auch nicht dabei. Dennoch ist die Diskussion in vollem Gange.
Aber worüber sprechen die Verkehrspolitiker? Über den Nulltarif als die – so hört sich das an – einzig mögliche Lösung des Klimaschutzes in den Kommunen. Na gut, die Nutzung des ÖPNV ist teuer genug, und der Nulltarif wäre eine feine Sache für alle, die ohnehin ohne Auto in der Stadt verkehren. Im öffentlichen Diskurs wird aber eine zentrale Frage nur am Rande gestellt: Wie groß ist dann der Anreiz für den Autofahrer, sein "liebstes Kind" stehen zu lassen, um sich nach unbehaglichem Warten an der Haltestelle in das Gedränge eines Busses zu stürzen? Wie viele werden es denn sein, die auf ihr individuelles Prestige zu verzichten bereit sind?
Warum wird eigentlich beim aktuellen Thema "Umweltschutz per Nulltarif" kaum oder gar nicht das Umsteigen aufs Fahrrad ernsthaft diskutiert? Dabei wird es zweifellos immer populärer! Das indessen hauptsächlich als Sport oder Freizeitvergnügen und nicht als alternatives Verkehrsmittel in der Kommune. Warum nicht? Ihr wisst es alle: Der Radfahrer als Verkehrsteilnehmer wird sträflich vernachlässigt, und nur Mutige sind bereit, weitgehend ungeschützt die autogerechte Straße zu benutzen!
Trotz vieler Verbesserungen ist Offenbach noch weit davon entfernt, eine radfahrerfreundliche Stadt zu sein.
Der Vergleich ist nicht ganz astrein, aber: Als vor über 150 Jahren die Mühen der Arbeiterklasse unerträglich hart waren, schrieben Marx und Engels das "Kommunistische Manifest", um auf die Missstände zu zeigen und die Lösung – internationale Vereinigung und Revolution – vorzuschlagen. Heute geht es dem Proletarier besser, obwohl seine Lage noch lange nicht zufriedenstellend ist.
Wie lange wird es für die Radfahrer dauern? 150 Jahre?
Wolfgang Christian