Verkehrter Verkehr in Bad Vilbel
Perspektiv- und Strategiewechsel erforderlich
Im Feierabendverkehr kommt der Verkehr auf der Nordumgehung vollständig zum Erliegen – obwohl es bislang noch nicht einmal eine Nutzungskonkurrenz zwischen Pendler- und Anliegerverkehr gibt, da die Wiesen und Felder ringsum noch einer Bebauung harren
Foto: Christian Euler
Die Verkehrslage in Bad Vilbel ist verfahren. Tagtäglich kommt es in den Hauptverkehrszeiten auf den Hauptachsen – Homburger Straße, Nordumgehung (L 3008) / Büdinger Straße sowie Kasseler und Friedberger Straße – zu Stauungen von Kraftfahrzeugen. Für Wegstrecken, die in wenigen Minuten zu meistern wären, kann die Fahrtzeit dann schon einmal auf eine gute halbe Stunde ansteigen.
Geschuldet sind diese Staus überwiegend dem Kfz-Durchgangsverkehr. Die Verkehrssituation wird sich durch die Bebauung des Quellenparkgebiets, die Erweiterung des Kurhausareals, die Eröffnung des Kombibads und zusätzlicher Hotels in der Kernstadt nach unserer Einschätzung bis 2025 deutlich verschlechtern.
Der ADFC Bad Vilbel hat anhand von Ausgangsdaten in den Verkehrsgutachten der Planungsbüros von Mörner + Jünger sowie IMB-Plan berechnet, dass das werktägliche Verkehrsaufkommen auf der Homburger Straße voraussichtlich von 16.500 Fahrzeugbewegungen im Jahr 2010 auf 27.420 im Jahr 2025 ansteigen wird. Für die Nordumgehung (L 3008) / Büdinger Straße fällt die Prognose noch schlechter aus. Ausgehend von im Jahr 2009 gemessenen 13.863 Fahrzeugbewegungen wird die durchschnittliche werktägliche Verkehrsstärke bis zum Jahr 2025 auf rund 30.000 Fahrzeugbewegungen steigen.
Die Reduzierung des "verkehrten" Verkehrs, der Mensch und Umwelt mit Lärm, Luftschadstoffen und in Staus vergeudeter Lebenszeit belastet, sollte vordringliche Aufgabe lokaler Verkehrsplanung sein. Doch darauf deutet bislang wenig hin, ganz im Gegenteil.
Der für die Stadt Bad Vilbel tätige Verkehrsplaner Prof. Rüdiger Storost von der Ingenieurgesellschaft IMB-Plan GmbH hat sich zuletzt auf Einladung der Bad Vilbeler FDP im Mai 2017 öffentlich Gedanken über Kapazitätserweiterungen auf Bad Vilbels Hauptstraßen gemacht. Die geäußerten Ideen zielen allesamt darauf ab, die Hauptdurchgangsstraßen massiv auszubauen. Genannt werden Kfz-Untertunnelungen und Erweiterungen auf vier Fahrspuren bzw. Ergänzungen von zwei Spuren um eine dritte, mittig gesetzte Spur für Abbieger. Auf diese Weise soll der (über-) regionale Durchgangsverkehr schneller durch Bad Vilbel durchgeleitet werden.
links: Kfz stellen im Berufsverkehr die Kreuzung Büdinger Straße/Friedberger Straße zu
rechts: Die Fahrbahnverengung von zwei auf eine Spur führt zu einem Rückstau
Fotos: Christian Euler
Ein weiterer Ausbau von Straßen für den Kfz-Verkehr dürfte allerdings kaum dabei helfen, das Kfz-Verkehrsaufkommen zu reduzieren. Eine Angebotserweiterung bewirkt vielmehr das genaue Gegenteil, nämlich noch mehr Kfz-Verkehr, und kostet dabei unnötig viel Geld und Flächenressourcen. Der ADFC Bad Vilbel hat diesen negativen Befund in seiner 31 Seiten umfassenden Stellungnahme zur Verkehrssituation in Bad Vilbel vom Oktober 2017 ausführlich dargelegt und begründet. ( ADFC Bad Vilbel, Stellungnahme )
Unserer Ansicht nach muss die Quellenstadt den Schwerpunkt ihrer Verkehrspolitik entschieden auf die Stärkung alternativer Verkehrsmittel wie das Fahrrad und den öffentlichen Personennahverkehr verlagern. Eine Verbesserung der Bedingungen für Fußgänger und Radfahrer im Nahverkehrsbereich ist genauso zwingend wie der weitere Ausbau und die intermodale Verknüpfung mit dem ÖPNV. Doch wo anfangen? Wie eine Trendwende einleiten, die den Anteil des Kfz-Verkehrs im Rhein-Main-Gebiet, der derzeit im suburbanen Raum schätzungsweise bei 88 Prozent liegt, auf ein vertretbares Maß zurückführen würde?
Zunächst einmal sollte die Bad Vilbeler Stadtverwaltung den Realitäten des Verkehrsaufkommens in ihrem unmittelbaren Einflussbereich ins Auge sehen. Das hieße, eine solide Datenbasis durch aktuelle Verkehrsmessungen zu schaffen. Die Errichtung eines stationären Verkehrsmessnetzes wäre hierbei vereinzelten Verkehrszählungen vorzuziehen. Karben zeigt, wie es gehen kann, und installiert bereits ein solches Verkehrsmessnetz in den Hauptverkehrsstraßen.
Die in den städtischen Gremien bekannten Prognosen in den Lärm- und Verkehrsgutachten zum Bebauungsplangebiet Quellenpark stehen auf schwachen Füßen. Die Datenbasis in den Gutachten ist veraltet und die Prognosen selbst setzen die bis 2025 zu erwartende Kfz-Verkehrsstärke dramatisch zu niedrig an. Eine Ausnahme bildet das Verkehrsgutachten des Planungsbüros von Mörner + Jünger (das aber im Unterschied zu anderen Gutachten nicht über die städtische Website zugänglich ist).
Falsche Prognosen verleiten zu falschen Zielvorstellungen. Das ist möglicherweise ein Grund dafür, dass in Bad Vilbel Ziele wie die Förderung des Fußgänger-und Radverkehrs im Nahbereich nach wie vor nicht den ihnen gebührenden Raum finden. Das hat sich zuletzt am Verzicht der Stadt auf eine Radverkehrsanlage auf der derzeit im Umbau befindlichen Homburger Straße (4. Bauabschnitt) zugunsten einer Kfz-Mittelspur gezeigt.
Der verkehrsplanerische Ansatz der Stadtverwaltung, der sich auf die Arbeiten von IMB-Plan und Prof. Storost stützt und den Ausbau des motorisierten Individualverkehrs favorisiert, ist unzureichend. Ein Perspektiv- und Strategiewechsel ist notwendig, das heißt eine massive Förderung alternativer Verkehrsträger – was für Berufstätige und andere Pendler gegenüber dem motorisierten Individualverkehr bessere Angebote schafft. Dabei sollte das Gewicht des Öffentlichen Verkehrs sowie des regionalen Fuß- und Radverkehrs auf ein Viertel des gesamten Verkehrsaufkommens anwachsen.
Was den lokalen und auch den regionalen nichtmotorisierten Individualverkehr anbelangt, so bietet sich beispielsweise eine durchgängige, steigungsarme und kreuzungsfreie bzw. zumindest vorfahrtberechtigte Raddirektverbindung an. Eine solche neue Verbindung könnte flankierend zum S-Bahn-Ausbau entlang der Main-Weser-Bahnstrecke nicht nur in Bad Vilbel, sondern auf der gesamten Strecke zwischen Frankfurt und Friedberg geschaffen werden.
Eine gründliche Diskussion der Bad Vilbeler Verkehrsprobleme ist notwendig. Die Hessische Gemeindeordnung sieht die Verkehrskommission vor, ein aufgrund seiner Zusammensetzung mit Expertise ausgestattetes städtisches Beratungsgremium. Hier ist der Ort, um gemeinsam mit den Entscheidungsträgern der Stadt Konzepte für Bad Vilbel zu erarbeiten. Doch mehr als anderthalb Jahre nach der letzten Kommunalwahl und der Neubesetzung der Kommission sind deren Mitglieder erstmals im November 2017 wieder zusammengekommen. Zukünftig sollte die Verkehrskommission zumindest zweimal jährlich zusammentreten.
Fazit: Ein massiver Ausbau von innerstädtischen Kfz-Verkehrswegen in Bad Vilbel dürfte kaum zu einer geringeren Verkehrsdichte und einem besseren Verkehrsfluss führen. Es gilt, die Chancen alternativer Verkehrsträger zu nutzen und innerstädtische Verkehrsräume lebenswert zu gestalten. Die Raddirektverbindung von Frankfurt nach Friedberg entlang der Main-Weser-Bahnlinie sowie ein Fahrradparkhaus am Nordbahnhof wären weitere Bausteine einer nachhaltigen Trendwende in der Verkehrsplanung der Quellenstadt.
Christian Euler,
Ute Gräber-Seißinger