Die Messe Frankfurt baut für die Zukunft. Für diese engagieren sich auch die Mitarbeiter des Arbeitskreises Fahrrad
Foto: Peter Sauer
Mit dem Rad zur Messe?
bike+business: Wie die Messe Frankfurt zu der Auszeichnung "Fahrradfreundliches Unternehmen" kam
Der Regionalverband Frankfurt-RheinMain, der ADFC Hessen und seine Partner wollen einen starken Impuls für eine nachhaltige Mobilität in unserer Region geben – und damit den Fuß- und Radverkehr nach vorne bringen. Jetzt kommt es darauf an, diesen Impuls aufzunehmen und insbesondere die Unternehmen dazu zu gewinnen, dass sich ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmäßig auf das Fahrrad setzen.
Der Eingangstext findet sich auf der Website des ADFC Hessen unter dem Menüpunkt "bike+business". Der dort genannte Impuls hat bereits Wirkung gezeigt, einige große Unternehmen (darunter die Bundesbank, die KfW Bankengruppe und die Evonik Industries AG in Hanau) wurden in den letzten Jahren für ihre Fahrradfreundlichkeit ausgezeichnet. Zuletzt hatte sich auch die Messe Frankfurt um eine Zertifizierung als fahrradfreundlicher Betrieb beworben. Dieses Ziel wurde im Frühjahr erreicht, und im September folgte die medienwirksame Verleihung des bike+business Award 2017 an die Geschäftsführung der Messegesellschaft (siehe Bild auf Seite 6). Der Impuls hatte damit zu einem Erfolg geführt.
Mit dem Rad zur Messe? Den Pendlern mit dem Auto kommt die ideale Lage am Rande der Innenstadt entgegen. Sie gelangen von der Autobahn direkt auf das Messegelände (dort steht ihnen ein Abstellplatz in der Nähe ihres Büros zur Verfügung). Und wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreist, erreicht per U-Bahn den Messe-Eingang City oder per S-Bahn direkt das Messegelände. Dank günstigem Job-Ticket ist dies eine attraktive Alternative zum Auto, was vielen Mitarbeitern die Wahl zwischen Pkw-Stellplatz und Bahnfahrkarte leicht macht. Warum sollte man sich da noch um Radverkehr kümmern? Dazu kommt, dass während des Auf- und Abbaus der Messestände bei Großveranstaltungen das Radfahren zwischen Lkw, Gabelstaplern und Lieferwagen kein wirkliches Vergnügen ist. Herumliegende Schrauben oder Nägel fordern zusätzlich die volle Konzentration, um Reifendefekte zu vermeiden.
Rechts: Werkzeugkoffer, in der Sicherheitszentrale rund um die Uhr griffbereit
Fotos/Grafik: PeterSauer
">
Oben: mit dem Rad zur Messe: Strecken von Mitarbeitern, mit Fahrtzeit in Minuten
Links/mitte: alte "Felgenklemmer" wurden durch moderne Anlehnbügel ersetzt
Rechts: Werkzeugkoffer, in der Sicherheitszentrale rund um die Uhr griffbereit
Fotos/Grafik: Peter Sauer
Doch für viele immer wieder überraschend: auf dem weitläufigen Gelände sind bereits eine erhebliche Anzahl Mitarbeiter mit Firmenrädern unterwegs. Rund 140 Velos stehen den Angestellten zur Verfügung, um zwischen den Hallen und Bürotrakten (und auf dem Weg zu den Kantinen!) nicht zu viel Zeit zu verlieren. Die Räder werden bei Bedarf von einer Fachwerkstatt gewartet, die Kollegen und Kolleginnen müssen sie nur fahren. Es gibt also, allen Widrigkeiten zum Trotz, bereits Radverkehr auf dem Messegelände.
Attraktive Lage für den Radverkehr
Dazu ist die Lage der Messe in der Stadt auch für den Radverkehr attraktiv. Aus den Wohngebieten der Innenstadt oder des Frankfurter Westens sind viele Kollegen/-innen kaum mehr als 20 Minuten auf ihrem Weg zur Arbeit per Rad unterwegs. Einige pendeln etwas weiter, aus Neu-Isenburg, Sprendlingen oder Langen, aus Sulzbach oder Liederbach – alles Orte, die in fahrradtauglicher Entfernung zur Messe liegen und die auf nahezu autofreien Wegen zu erreichen sind. Abstellplätze, teilweise überdacht und abschließbar, sind auf dem Messegelände vorhanden, an zwei Stellen kann sogar mit Kompressoren Luft in die Reifen gepumpt werden. Alles gut also für den Radverkehr im Unternehmen Messe Frankfurt? Jein, fanden einige Radenthusiasten, da kann man mehr machen bei einem der beliebtesten Arbeitgeber der Region (wie Umfragen immer wieder zeigen). Und sie machten.
Foto: Peter Sauer
Mitte: Fahrrad-Abstellanlagen auf dem Ostteil des Messegeländes, jeweils mit Anzahl der sicheren Anlehnbügel-Plätze
Grafik: Messe Frankfurt
Rechts: Der hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir überreicht den bike+business Award an Wolfgang Marzin, Geschäftsführer der Messe Frankfurt. Birgit Simon vom Regionalverband FrankfurtRheinMain und Stefan Jahnke, Vorsitzender des ADFC Hessen, freuen sich sichtbar darüber.
Foto: ADFC Hessen, Torsten Willner
">
Links: Auf- und Abbautage sind schwere Zeiten für Radfahrer. Doch wer sich hier einen "Platten" fährt, bekommt die Reparaturkosten vom Arbeitgeber erstattet.
Foto: Peter Sauer
Mitte: Fahrrad-Abstellanlagen auf dem Ostteil des Messegeländes, jeweils mit Anzahl der sicheren Anlehnbügel-Plätze
Grafik: Messe Frankfurt
Rechts: Der hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir überreicht den bike+business Award an Wolfgang Marzin, Geschäftsführer der Messe Frankfurt. Birgit Simon vom Regionalverband FrankfurtRheinMain und Stefan Jahnke, Vorsitzender des ADFC Hessen, freuen sich sichtbar darüber.
Foto: ADFC Hessen, Torsten Willner
Vor einigen Jahren, im Herbst 2014, entstand der Arbeitskreis Fahrrad, in dem – überwiegend bei gemeinsamen Mittagessen in der Kantine – über das Thema Radverkehr diskutiert wurde. Was können wir bei uns im Unternehmen verbessern und wie können wir mehr Kolleg/-innen aufs Rad bringen, wen müssen wir dabei ins Boot holen, welche Abteilungen können uns unterstützen – das waren die zentralen Fragen. Im Intranet des Unternehmens bot sich die Möglichkeit, den Arbeitskreis und seine Ziele anderen Kollegen vorzustellen. Es entstand eine Website, die regelmäßig über Radverkehrsthemen berichtete. Auf einem "Gesundheitstag" des Unternehmens wurde an einem Infostand über die Initiative informiert. Unter anderem wurden auf einem Stadtplan die Fahrtrouten von Kollegen gezeigt, die per Rad zur Messe fahren – als Anreiz für andere, dies ebenfalls in Betracht zu ziehen.
Die Initiative ging von Mitarbeitern unterhalb der Führungsebene aus. Glücklicherweise waren Kollegen aus Abteilungen vertreten, die wichtige Impulse setzen konnten: Verkehr, Firmenradverwaltung, Kommunikation, Gesundheit, Grafik – der Arbeitskreis war breit aufgestellt und dadurch recht gut im Haus vernetzt. Durch das Engagement eines Bereichsleiters entwuchs der AK Fahrrad dann schnell seinem Graswurzel-Image und fand die Unterstützung der Geschäftsführung. Nun wurden konkrete Ziele formuliert, unter anderem, das Unternehmen durch den ADFC als fahrradfreundlichen Betrieb zertifizieren zu lassen. Dazu bedurfte es zuerst einer Standortbestimmung: Wo genau stehen wir eigentlich auf dem Weg zu einer Zertifizierung?
Weg mit den Felgenkillern
Der Arbeitskreis erstellte eine ausführliche Dokumentation der Fahrrad-Infrastruktur auf dem Messegelände: Zugänge für Radfahrende auf das Areal, Standort und Anzahl der Abstellbügel, Tauglichkeit zum sicheren Anschließen des Velos, Witterungsschutz und, zuletzt, eine Bedarfsanalyse für weitere Abstellanlagen. Danach, im Juni 2015, wurde gemeinsam mit Vertretern der Initiative bike+business (siehe Seite 6 unten) die Radinfrastruktur begutachtet sowie in einem ausführlichen Gespräch über die für eine Zertifizierung notwendigen Nachbesserungen beraten. Denn nicht alle Fahrradbügel entsprachen den Kriterien für eine sichere Abstellmöglichkeit, an einigen Büro-Standorten waren gar keine Bügel (oder völlig ungeeignete) installiert. Vor allem fehlte eine Duschmöglichkeit, mit deren Hilfe auch weiter entfernt wohnenden Mitarbeitern das Radpendeln schmackhaft gemacht werden soll.
Dann ging plötzlich alles überraschend schnell. Die Bauabteilung fand in einem Lager noch dutzende Fahrradbügel. Mit diesen wurden untaugliche "Felgenklemmer" umgehend ersetzt und an einigen Standorten das Angebot erweitert. Inzwischen stehen Radfahrern 342 sichere Abstellplätze zur Verfügung. Ein Kollege vom Schließmanagement wies darauf hin, dass die Duschräume in einer der Hallen nur hin und wieder von Messebauern oder Lkw-Fahrern genutzt werden. Dadurch seien sie in den laufenden Reinigungsplan eingebunden und könnten deshalb ohne Mehrkosten ab sofort auch von Mitarbeitern genutzt werden. Die (versicherungs-) rechtliche Seite löste die Personalabteilung, indem sie Duschwillige aufforderte, schriftlich ihr Einverständnis zu geben, auf eigene Gefahr und in der Freizeit zu duschen. Die Jungs vom Schließmanagement passten die Zugangstechnik zu den Duschräumen so an, dass die Mitarbeiter mit ihrer Code-Karte Einlass finden. Der Leiter der Sicherheitszentrale der Messe Frankfurt bot auf Anfrage durch den Arbeitskreis an, einen Werkzeugkoffer mit einigen Ersatzteilen und einem Reparaturset anzuschaffen. Dieser Koffer steht in der rund um die Uhr besetzten Leitstelle für jeden Kollegen, jede Kollegin bereit. Die Aktiven im Arbeitskreis Fahrrad kamen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus und informierten per Intranet die Kollegen regelmäßig über Fortschritte auf dem Weg zur Fahrradfreundlichkeit des Unternehmens.
Rad fahrende Mitarbeiter engagieren sich
Innerhalb eines knappen Jahres wurden damit die Kriterien von bike+business zur Zertifizierung als fahrradfreundlicher Betrieb erfüllt. Im Bericht, den die Messe Frankfurt zusammen mit der Auszeichnung erhielt, wurde die Arbeit des AK Fahrrad hervorgehoben. Besonderen Gefallen fand, dass die Initiative zur Förderung des Radverkehrs "von unten" kam, von Mitarbeitern, die nicht der Führungsebene des Unternehmens angehören. Das freut die Aktiven, die stolz auf das Erreichte sind, ist aber, wie so oft, nur ein Teil der Wahrheit.
Bei aller Liebe zu Graswurzel-Initiativen – auch bei der Messe Frankfurt fällt es leichter, (Fahrrad-)Dinge in Gang zu setzen, wenn eine Führungskraft aus dem technischen Management darin engagiert ist. Der damit verbundene direkte Draht zur Bauabteilung war sehr hilfreich, wenn es um Abstellplätze und -bügel oder die Öffnung von Duschräumen geht. Und die (überschaubaren) notwendigen Finanzmittel, die zu einer Zertifizierung benötigt werden, kann diese Führungskraft leichter in einen Etat einbringen, als dies einfache Mitarbeiter tun könnten. Hinzu kommt, dass die Unternehmensführung dem Engagement des Arbeitskreises Fahrrad positiv gegenüber stand. Hierbei mag eine Rolle gespielt haben, dass die Gesellschafter der Messe, die Stadt Frankfurt und das Land Hessen, seit längerem signalisieren, am Thema Radverkehr dran bleiben zu wollen. Die Messe Frankfurt als bekanntes Unternehmen in der Stadt ist sicher eine Art Zugpferd für weitere Betriebe.
Arbeitskreis Fahrrad als Impulsgeber
Auf dem Messegelände ist eine sehr gute Verkehrsinfrastruktur bereits vorhanden. Wegen Auf- und Abbau der Ausstellungsstände bei Großveranstaltungen und Lenkung von Besucherströmen (während einer IAA sind täglich weit über 100.000 Menschen auf dem Gelände unterwegs) ist das Verkehrsmanagement ein wichtiger Zweig des Messegeschäftes. Davon profitiert auch der Radverkehr, so dass relativ leicht mit gezielten Anstößen an den richtigen Stellen etwas zu dessen Gunsten bewegt werden konnte. Der AK Fahrrad sah sich hier vor allem als Impulsgeber, der die richtigen Stellen zum jeweils passenden Zeitpunkt angesprochen hat.
Die Verleihung des bike+business Award fand dann folgerichtig im Kongresshaus der Messe Frankfurt statt. Der hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir überreichte die Urkunde medienwirksam an den Vorsitzenden der Geschäftsführung der Messegesellschaft, Wolfgang Marzin. Also alles gut bei der fahrradfreundlichen Messe? Fast, möchte man sagen – aber nun gilt es, weiter daran zu arbeiten, dem Anspruch als fahrradfreundliches Unternehmen gerecht zu bleiben. Hierzu muss der Arbeitskreis Fahrrad den längerfristigen Auftrag erteilt bekommen, daran weiter zu arbeiten. Die Aktiven sind überzeugt davon, dass dies geschehen wird.
Und wer wirklich einmal auf dem Messegelände in eine herumliegende Schraube oder einen Nagel fährt, kann sich die Kosten für die Reparatur des defekten Reifens vom Arbeitgeber ersetzen lassen. Das war jedoch schon lange vor der Gründung des AK Fahrrad üblich – viel häufiger als Radfahrenden passiert dies denen, die mit dem Auto zur Messe kommen.
Peter Sauer