Dolomitenradweg in Cortina d'Ampezzo
Foto: Christian Martens
München – Venedig? Ja, das klingt gut!
Ein Reisebericht. Teil 1: München – Treviso
Matthias Marcks' Reisebericht (siehe Frankfurt aktuell , Ausgabe 4/2016) hatte mich angefixt. Als dann zeitgleich zur Publikation des Berichts ein Freund die Idee äußerte, die Strecke München – Venedig zu radeln, ließ mich der Gedanke nicht mehr los, ihn dabei zu begleiten.
Er als Lehrer in Bayern ist an die dortigen Schulferien gebunden. Damit man mich zu Hause nicht allzu sehr vermissen würde, suchten wir einen Zeitraum, in dem hier in Hessen der normale Alltag anstehen würde. Wir einigten uns recht schnell auf die bayerischen Pfingstferien, die Schulkinder in Hessen nicht kennen. Ansonsten war nicht viel zu planen, verbindet doch seit 2015 ein neuer Fernradweg von gut 560 Kilometern Länge und 3.000 Höhenmetern die beiden Städte. Etappen wollten wir auch nicht festlegen, sondern Tag für Tag je nach Wetterlage und körperlichem Befinden beschließen, wo wir nächtigen würden. Außerhalb der Hauptsaison sollte das unproblematisch sein.
Leider ließ sich der Freund nicht auf meinen Wunsch ein, für den Rückweg anstelle der Bahn den 2012 eröffneten 410 Kilometer langen Alpe-Adria-Radweg zu nehmen. Den zweiten Teil der Reise würde ich also alleine zurücklegen.
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Am Pfingstmontag geht es nach Eching nördlich von München, wo wir am Dienstag gemeinsam starten wollen. Der Wetterbericht drückt am Abend auf die Stimmung, kündigt er doch den Dienstag, vor allem nachmittags, als eher regnerisch an. Aber nach so viel Vorfreude ist unsere innere Unruhe zu groß, als dass wir den Start nochmals hinausschieben würden. Deshalb beschließen wir, früh loszufahren und zu schauen, wie weit wir kommen werden. Bad Tölz, so die Hoffnung, ließe sich vielleicht doch noch trocken erreichen.
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Gesagt, getan. Am Dienstagmorgen um 6.30 Uhr sind wir startklar. Der Himmel ist reichlich grau, aber es ist immerhin trocken von oben. Beim Binden der Radschuhe reißt dann aber erst mal ein Schnürsenkel. Das geht ja gut los! Aber, um es vorwegzunehmen: Es bleibt das einzige Materialversagen während des gesamten Urlaubs.
Immer dann, wenn man glaubt, früh dran zu sein, wird man eines Besseren belehrt: Am nahegelegenen Baggersee, bei Kilometer 1, beobachten wir einen Schwimmer, der gerade aus dem kühlen Nass steigt. Wir sind versucht, es ihm gleichzutun, aber die Wetterprognose treibt uns weiter gen Süden.
Zeit für einen Badestopp: Der Lago di Santa Croce
Foto: Christian Martens
Durch München geht es entlang der Isar und durch den Englischen Garten. So früh am Morgen teilen wir die Strecke mit vielen Berufspendlern und Joggern. Hinter München halten wir uns zunächst nicht an die ausgeschilderte Strecke, sondern wählen einen direkteren Verlauf auf Nebenstraßen. Die offizielle Strecke sei weitgehend geschottert, so mein an dieser Stelle noch ortskundiger Begleiter.
Der Himmel bleibt im Westen grau, Richtung Osten zeigen sich gelegentlich kleine blaue Löcher, während wir zügig und trocken vorankommen. Am Sylvensteinstausee rasten wir zum ersten Mal. Wir sind ja schon weiter als erhofft. Ein Blick aufs Regenradar zeigt, dass das Regengebiet hinter uns durchzieht. Da hat sich der frühe Start auf jeden Fall gelohnt.
Weiter geht es zum Achensee, aber angesichts des trüben Himmels verkneifen wir uns auch dort ein Bad. Es wirkt alles sehr touristisch, aber zum Verweilen fehlen doch ein paar Sonnenstrahlen.
Kurz vor der Abfahrt ins Inntal erwischt uns dann doch noch der Regen. Bis Schwaz aber, durch Silberbergbau einst ein großes Wirtschaftszentrum und auch Wohnsitz der Fugger, wollen wir auch bei Nässe noch kommen – so zumindest der neue Plan. Das aufklarende Wetter und ein kräftiger Mitwind im Inntal sorgen dafür, dass wir letztlich erst in der Salz- und Münzstadt Hall auf Quartiersuche gehen und dort die längste Etappe der Reise im Straßencafé auf dem Marktplatz bei Sonnenschein und Topfenstrudel beenden. Das heftige Gewitter am Abend kann uns schon nichts mehr anhaben. Da sitzen wir bereits beim Abendessen und stärken uns für den Brenner, der am nächsten Tag auf uns wartet.
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Am nächsten Morgen beim Frühstück überrascht uns der Blick aus dem Fenster: Das Unwetter am Vorabend hat die Bergspitzen ringsum bepudert. Jetzt aber zeigt sich das Wetter freundlich und angenehm temperiert.
Ein paar Wolken sorgen dafür, dass der erste heftige Anstieg bis Patsch nicht allzu schweißtreibend wird. Die Alpengipfel ringsum werden langsam höher, die Brenner-Autobahn hält sich in akzeptabler Distanz auf unserem Weg zum Brennerpass. Die Nebenstraße auf halber Höhe hat so einige Extrahöhenmeter für uns parat, dafür ist der Verkehr sehr gering. Nur für den letzten Anstieg werden wir auf die Bundesstraße geleitet.
Die Shoppingmeile am Brennerpass ignorieren wir und gehen gleich zur Abfahrt über. Italien begrüßt uns mit heißem und sonnigem Wetter. Kurz nach der Grenze schwenkt der Radweg auf eine ehemalige Bahntrasse, und so rollen wir mit viel Schwung in Richtung Sterzing, wo wir ein schattiges Plätzchen zum Rasten finden. Kurz vor Brixen verlassen wir das Eisacktal und biegen nach Osten ins Pustertal ab. Gerade rechtzeitig vor einem Schauer erreichen wir Bruneck, wo wir uns einquartieren.
Nach dem Duschen scheint schon wieder die Sonne und wir genießen das Flair der Altstadt.
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Der Morgen des dritten Tags meiner Radreise ist angebrochen. Beim Frühstück stellen wir fest, dass das gesamte Hotel voller Radurlauber ist. Die meisten davon sind in einer Gruppe mit Gepäcktransfer unterwegs. Ein Rennradfahrer aus Stralsund erzählt uns, dass er von Wien nach Marseille unterwegs ist – und wirft damit die Frage auf, warum eine Alpenüberquerung immer in Nord-Süd-Richtung verstanden wird.
Schotterpiste auf dem Bahntrassenweg vor Cortina d'Ampezzo
Foto: Christian Martens
Wir lassen uns davon aber nicht beirren und starten Richtung Tob-lach zum Anfangspunkt des Dolomitenradwegs. Auch dieser Radweg verläuft spektakulär auf einer ehemaligen Bahntrasse, die im Ersten Weltkrieg aus militärischen Gründen erbaut wurde. Eine elektronische Zählstelle zu Beginn verrät, dass in diesem Jahr bis heute gut 7.200 Radler diese Stelle passiert haben – was mir angesichts der tollen Strecke und all der Radler, die wir sehen, doch wenig vorkommt.
Der Toblacher See ist uns zu kalt zum Baden, und so bleibt es leider bei dem schönen Anblick des türkisblauen Wassers mit Dolomitenpanorama. Weiter geht es vorbei am Dreizinnenblick und durch den mondänen Ort Cortina d'Ampezzo, 1956 Austragungsort der Olympischen Winterspiele. Ab hier wechselt der Belag des Bahntrassenradwegs von Schotter zu Asphalt. Umso flotter erreichen wir Tai di Cadore, wo uns der erste Fahrradwegweiser nach Venedig begegnet. Noch 186 Kilometer, verkündet er. Ein Straßenschild offenbart, dass uns Radlern ein paar Extraschleifen zugedacht sind, denn für Autos beträgt die Strecke 50 Kilometer weniger.
Auf der sich anschließenden stillgelegten, perfekt ausgebauten Staatsstraße geht es weiter zügig bergab, und so entschließen wir uns, bis Belluno durchzuradeln und damit den Fahrradtag weiter südlich als ursprünglich geplant zu beenden. Belluno gehörte jahrhundertelang zu Venedig. So ist es nicht verwunderlich, dass es durch zahlreiche Palazzi an die Lagunenstadt erinnert. Wir sind äußerst positiv überrascht vom Stadtbild Bellunos. Als wir etwas ratlos vor der bereits geschlossenen Touri-Info stehen, gibt uns ein hilfsbereites deutsches Paar spontan kund, wo es sich einquartiert hat. Schnell ist die Hotelsuche damit beendet und wir genießen den Abend.
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Belluno liegt etwas abseits der offiziellen Radroute und so geht es am nächsten Morgen erst mal auf einer stärker befahrenen Straße ein Stück zurück. Bald taucht der Lago di Santa Croce auf, der mit angenehmer Wassertemperatur und bei Sonnenschein zum Baden einlädt. Nun endlich ist die Zeit für den ersten Badestopp auf unserer Tour gekommen.
Der weitere Streckenverlauf sollte nun stetig bergab führen, so denken wir. Aber nein, die Streckenplaner hatten anderes im Sinne. Deshalb werden wir immer wieder zu Stellen mit schöner Aussicht geführt, die wir genießen, sobald kein Schweiß mehr in die Augen rinnt. Streckenweise der Strada del Prosecco folgend erreichen wir Treviso.
Auch diese Stadt überrascht. Es ist Freitagabend, sie ist voller Jugend in Partylaune, der Baustil venezianisch, ein paar Kanäle durchfließen die Altstadt. Die Jugendlichen fahren fast ausnahmslos stylische Singlespeeds. Leihräder unterstreichen, dass hier auch im Alltag Rad gefahren wird.
Unser B&B-Zimmer hat eine eigene Dachterrasse und so können wir stilvoll den letzten gemeinsamen Abend verbringen und auf vier tolle Radeltage zurückblicken.
(wird fortgesetzt)
Christian Martens