Grenzerfahrung
Eine Radtour mit dem Pedelec rund um Deutschland
Foto: Paul Tiedemann
">
Das Rad: Riese & Müller Delite Touring eBike mit Gepäcktaschen und der KlickFix-Tasche auf dem Gepäckträger. -Ausgestattet mit Bosch Performance CX Motor, 500 Wh Akku und Bosch Nyon Computer, 14-Gang Rohloff Nabenschaltung und Shimano Deore XT Scheibenbremsen. "Unplattbar"-Reifen sollen vor Platten bewahren.
Foto: Paul Tiedemann
Dies ist der Bericht von einer Radtour rund um Deutschland, die ich vom 23. Mai bis zum 3. August 2016 unternommen habe. Die Tour war seit vier Jahren geplant und sollte gleichsam wie ein Passageritus den Übergang von meiner aktiven Berufstätigkeit in den Ruhestand markieren. Der Bericht beruht im Wesentlichen auf den Tagebuchnotizen, die ich während der Reise geschrieben habe.
Ich bin hart entlang der Staatsgrenze gefahren und habe mich immer wieder mit der Frage beschäftigt, warum die Grenze gerade hier läuft und nicht anderswo. Das habe ich dann im Internet recherchiert. Dabei bin ich auf das sehr informative Buch Die deutschen Staatsgrenzen. Rechtshistorische Grundlagen und offene Rechtsfragen von Daniel-Erasmus Khan (Tübingen: Mohr Siebeck 2004) gestoßen, auf das ich für diejenigen hinweisen will, die es genauer wissen wollen.
In meinem Tagebuch habe ich auch einige Gedanken aufgeschrieben, die mir während der Fahrt gekommen sind. Manche davon haben etwas mit meinem Leben zu tun, andere mit den Weltläufen; manche regen die Leserin oder den Leser vielleicht zu eigenem Nachdenken an, andere sind schlicht etwas verrückt. Alle sind sie aber authentisch.
Paul Tiedemann, im September 2016
Wir veröffentlichen Auszüge aus "Grenzerfahrung" in loser Folge in den nächsten Ausgaben von Frankfurt aktuell (die Redaktion)
Montag, 23. Mai (1. Tag)
Fähre Neuburg – Eppenbrunn 74,2 km
Sieben Uhr siebzehn. Mit drei Minuten Verspätung setzt sich der Zug sanft in Bewegung. Es ist Verfassungstag. Heute vor 67 Jahren wurde das Grundgesetz verkündet. Allmählich Fahrt aufnehmend, verlässt der IC 2273 Bahnsteig 13 des Frankfurter Hauptbahnhofs auf dem Weg nach Karlsruhe. Ich sitze im letzten Wagen und schaue auf die Skyline, die vor dunklen Regenwolken an mir vorbeizieht. Mir ist ganz flau im Magen. Das Universitätsklinikum zieht vorüber und ich denke an die Menschen, die dort jetzt ans Bett gefesselt sind, Angst vor einer Operation haben oder mit dem Tod ringen. Ich dagegen stehe am Anfang eines Unternehmens, das eher etwas mit Freiheit zu tun hat. Allerdings spüre ich nichts von Freiheit, sondern nur Beklommenheit. Vor mir liegt ein Abenteuer, dessen Ausgang – definitionsgemäß – ungewiss ist. Habe ich meine Kräfte überschätzt? Bleibe ich von Unfällen und Verletzungen verschont? Werde ich mir Krankheiten holen? Werde ich mit der Einsamkeit klarkommen? Gedanken, die nicht gerade nach Freiheit schmecken. Ich fühle mich eher wie Astronauten, die auf dem Weg zur Abschussrampe sind, um in den Orbit geschossen zu werden. In der Tat geht es auch bei mir um einen Orbit. Allerdings nicht rund um den Planeten, sondern nur rund um Deutschland. Mein Blick fällt in das Fahrradabteil, wo mein neues Riese & Müller Delite Touring eBike hängt. Ich habe richtig Geld ausgegeben für dieses Rad. Alt daran ist nur der Sattel, nämlich ein etwa 30 Jahre alter Brooks Ledersattel, der jetzt schon auf dem dritten Rad montiert ist. Dieser Sattel und mein Po haben sich so perfekt aufeinander eingestellt, dass sie sicher längst verheiratet wären, wenn das deutsche Eherecht dies zuließe. Aber noch immer wird Sätteln und Pos die Ehefähigkeit abgesprochen…
Seit etwa vier Jahren habe ich diese Reise durchdacht und geplant. Jetzt, wo es soweit ist, kommt mir alles aber irgendwie unwirklich vor. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Geschichte nur beobachte, oder ob ich an ihr beteiligt bin. Wahrscheinlich werde ich das erst spüren, wenn es wirklich losgeht.
Der Zug ist pünktlich in Karlsruhe. Mit Hilfe anderer Radler lade ich mein schweres Bike aus und radle dann zum Kronenplatz, wo ich die S2 nach Rheinstetten nehmen möchte. Doch am Kronenplatz gibt es keinen Fahrkartenautomaten. Die seien in den Zügen, sagen mir die Einheimischen. Aber das ist mir zu kompliziert: Während der Fahrt das Bike sichern und den Automat bedienen, nein danke. Auf Rat eines jungen Mannes fahre ich eine Station weiter. Hier steht ein Automat und ich ziehe ein Ticket. Kaum ist der Vorgang abgeschlossen, kommt auch schon die S2. Um 10:02 bin ich in Rheinstetten-Mörsch, Rheinaustraße und fahre mit dem Bike zur Fähre Neuburgweiher. Die Fähre liegt auf der anderen Seite. Es tut sich nichts. Mich beschleicht Panik. Sollte die Fähre heute nicht fahren? Doch dann zeigen sich Auspuffgase und das Schiff setzt sich in Bewegung. Der Rhein hat hohes Wasser und eine reißende Flut. Nicht ganz leicht, die Fähre zu manövrieren.
Auf der anderen Seite angelangt, sehe ich drei Sitzbänke in dem Winkel zwischen dem Radweg, der von Süden kommt und der Kreisstraße, die nach Westen führt. Am rechten Vorderfuß der südlichsten dieser Bänke buddle ich mit einem mitgebrachten Suppenlöffel ein Loch und versenke darin ein Plastikkästchen, in dem sich ein Stein befindet, den ich aus den Schluchten der Ardèche mitgebracht habe. Auf dem Stein steht in silberner Schrift: "Deutschland Tour. 23.5.16." Sorgfältig wird das Loch wieder zugeschüttet, damit niemand das Kästchen finden kann. Ich reinige meine Hände mit einem Erfrischungstuch, nulle den Tageskilometerzähler und schwinge mich aufs Rad. Es ist 10:54 Uhr. Ich beobachte den Sekundenzeiger. Und als es genau 10:55 Uhr ist, stelle ich den linken Fuß auf das Pedal, gebe Druck ins linke Bein, hebe gleichzeitig den rechten Fuß und stelle ihn auf das Pedal. Der erste Tritt ist getan – auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Tritt. Es geht nach Westen.
Kaum hat das Bike Reisegeschwindigkeit erreicht, fängt es an, in Strömen zu regnen. Ein heftiger Westwind bläst mir gleichzeitig entgegen. Die Regentropfen prasseln auf meine Arme und Beine wie kleine Pfeile. Obwohl es fast eben ist, muss ich den Motor zuschalten, um mit dem Wind klar zu kommen. So geht es bis Scheibenhardt, dort über die Grenze nach Frankreich und dann weiter nach Wissembourg. Das Wetter verbietet ein Verweilen in der Stadt und ich fahre weiter. Jetzt taucht die Silhouette des Pfälzer Waldes auf. Ich kreuze wieder die Grenze und nun beginnt der Anstieg. Es geht durch den Wald und deshalb stört der Wind nicht mehr so sehr. In Bobenthal finde ich eine überdachte Bushaltestelle, wo ich rasten kann. Ich esse etwas. Aber nach zehn Minuten bin ich so durchgefroren, dass ich weiter fahren muss, um wieder warm zu werden. Schneller als gedacht, nämlich um 15:30 Uhr, bin ich in Fischbach bei Dahn, dem Planziel des heutigen Tages. Weil es noch so früh ist, buche ich ein Zimmer im Hotel Waldesruh in Eppenbrunn und fahre nach dorthin weiter. Es sind noch 15 km, aber die haben es in sich. Eine permanente Steigung frisst an den Kräften. Ich fahre nur im Eco-Modus, weil ich fürchte, dass mir sonst der Saft vorzeitig ausgeht. Schließlich muss ich noch mal eine kurze Pause machen, aber die Kälte erlaubt es nicht, sie über 10 Minuten auszudehnen. Zum Glück geht es alsbald wieder bergab. Im Gegenwind fliegt mir der Regenschutz des Helms davon. Für den Rest der Reise werde ich den Regenschutz der Lenkertasche über den Helm ziehen, wenn es regnet. Um 16:00 Uhr erreiche ich das Hotel. Auch eine ausgiebige heiße Dusche und eine Stunde unter der Bettdecke können die Kälte nicht vertreiben. Das gelingt erst mit der heißen Tomatensuppe zum Abendessen. Die Wirtin erzählt, dass sie als Kind 1939 von den Nazis vertrieben worden und mit ihren Eltern nach Heilbronn gegangen ist, weil man für den Krieg im Westen (Westwall) keine Zivilisten gebrauchen konnte. Zum ersten Mal werde ich damit konfrontiert, dass die Menschen an der Grenze in früheren Zeiten schon weit mehr zu leiden hatten als die, die im Hinterland gelebt haben.
Zwei Bier und dann ins Bett. Die erste Etappe war 72 km lang. Mit der Anfahrt zur Fähre nach Neuburgweiher waren es insgesamt 92 km heute.
In der Tagesschau wird berichtet, dass van der Bellen die Präsidentschaftswahlen in Österreich mit 31.000 Stimmen Vorsprung gewonnen hat. Ganz Europa, oder jedenfalls die Demokraten, die in Europa noch übrig sind, atmen erleichtert auf. Aber was sind schon 31.000 Stimmen? (Die Wahl von Alexander van der Bellen zum österreichischen Bundespräsidenten am 22. Mai 2016 hat der österreichische Verfassungsgerichtshof am 1. Juli 2016 für ungültig erklärt. Die Wahlen wurden am 4. Dezember wiederholt, den Sieg hat wieder van der Bellen davongetragen – dieses Mal mit einem Vorsprung von nahezu 350.000 Stimmen.)
Dienstag, 24. Mai (2. Tag)
Eppenbrunn – Bous – 94,98 km
Die Nacht habe ich in einem klassischen deutschen Landgasthof verbracht. Alles sehr sauber und ordentlich. Die Wirtin erzählt aus ihrem Leben und gestaltet das Verhältnis zu den Gästen familiär. Zum Abendessen gibt es eine üppige Speisekarte, die allerdings fast ausschließlich Schweineschnitzel enthält, allerdings in unzähligen Variationen.
Um 9:16 Uhr endlich gestartet. Es geht schon bald ziemlich steil hoch und dem folgen noch viele weitere Anstiege im Pfälzer Wald. Ich komme durch das Städtchen Hornbach und erwarte natürlich, dass es hier so aussieht wie in einem Baumarkt. Doch Fehlanzeige. Hornbach rühmt sich einer Barockkirche und eines aufgelassenen Klosters. Ich fahre weiter, denn es ist einfach zu kalt, um zu verweilen. Es geht nach Altdorf. Hier bin ich schon im Saarland. Doch dann werden die Anstiege immer kürzer und die Abfahrten immer länger. In Gersheim ist der Pfälzer Wald überwunden.
Nachdem ich die Berge verlassen habe, geht es auf einem sehr schönen Radweg über Reinheim nach Frankreich. Der Weg führt nach Sarreguemines (Saargemünd). Das Navi führt mich direkt zur Saar. Hier vollziehe ich die erste Änderung der Hauptrichtung. Während es bisher immer nach Westen ging, geht es ab hier bis zur Nordsee nach Norden. Doch dann führt das Navi mich vom Saaruferweg plötzlich wieder weg und ich bin so blöd und folge. Es zwingt mich wieder nach Deutschland, um an der Bundesstraße entlang zu meinem heutigen Planziel Kleinblittersdorf zu fahren. Man darf dem Navi nie strikt vertrauen, sondern sollte die Route immer noch mal mit der Karte abgleichen. Es ist eine vorzügliche Ergänzung, aber kein Ersatz für Karten.
In Kleinblittersdorf ignoriere ich das Navi und fahre wieder über die Saar auf die französische Seite. Ich folge dem Saarradweg bis Saarbrücken. Hier mache ich eine Pause und versuche, ein Zimmer in Völklingen zu buchen. Der Wirt sagt am Telefon, er habe keine Zimmer mehr frei und empfiehlt mich an seinen Bruder, der in Bous ein Hotel führe. Also fahre ich ein Stück weiter als geplant. 1,3 km vor dem Hotel Luxemburger Hof in Bous schaltet der Motor ab. Der Akku ist leer. Aber es ist zum Glück auch nicht mehr weit. Abends gehe ich beim Mongolen schräg gegenüber essen. Ein üppiges Buffet mit Schrimps, Scampi und Sushi bis zum Abwinken. Das tut gut nach diesem langen kalten Tag.
Im Zimmer checke ich meine E-Mails. Die Idee, mit dieser Reise den Alltag hinter sich zu lassen, funktioniert nicht, wenn man doch noch online ist. Ich erhalte diverse Schreiben von Institutionen, die um meine Mitarbeit anfragen. Über all das muss man nachdenken und das lenkt ab. Ich hoffe allerdings, dass es immer ruhiger werden wird, sobald der Sommer naht.
Das Hotel ist muffig und feucht. Hier nicht nochmal.
Mittwoch, 25. Mai (3. Tag)
Bous – Perl – 61,21 km
Heute ist in jeder Hinsicht ein deutlich entspannterer Reisetag als die beiden Tage zuvor. Von Bous geht es an der Saar entlang bis Dreisbach, etwa 30 km, für die ich etwa 90 Minuten brauche. Ein Schnitt mit zugeschaltetem Motor von über 20 km/h. Ich hatte mich entschieden, ab Völklingen nicht den Saarland-Radweg zu nehmen, der wesentlich dichter an der französischen Grenze entlangführt, aber durchs Gebirge geht. Die Saar fließt parallel zur Grenze, aber in größerem Abstand. Von Dreisbach geht's dann über Hügel an die Mosel, die ich in Perl um 13:00 Uhr erreiche. Der Anstieg ist bis Büschdorf sehr steil. Mit einem normalen Fahrrad hätte ich schieben müssen und hätte stundenlang am Berg geklebt. So aber geht es recht flott hoch und die Anstrengung hat dann auch ein schnelles Ende. Ich habe ein Zimmer im Hotel Alte Maimühle gefunden und kann von dort aus direkt über die Mosel nach Schengen blicken. Perl grenzt im Süden an Frankreich und im Westen, jenseits der Mosel, an Luxemburg. Ich hatte mich darauf gefreut, das kleine Europa-Museum in Schengen zu besichtigen. Doch daraus wird nichts, weil das Museum gerade renoviert wird. So mache ich also nur einen Spaziergang durch das Örtchen und finde an fast jeder Ecke irgendein Denkmal oder einen Erinnerungsstein, der an das Schengener Übereinkommen von 1985 erinnert, mit dem die Grenzkontrollen an den Binnengrenzen der Teilnahmestaaten abgeschafft worden sind. Sogar auf Kanaldeckeln wird darauf hingewiesen. Die Schengener sind sich sehr bewusst, dass in ihrem Ort Geschichte geschrieben worden ist und sie wissen es offensichtlich auch zu vermarkten. So kann ich mehrere Trauben von Touristen sehen, die hinter einem Guide herlaufen und sich in allen möglichen Sprachen erklären lassen, was man eigentlich auch ohne Anleitung sehen und verstehen kann.
Schengen: Die Einwohner sind sich sehr bewusst, dass in ihrem Ort Geschichte geschrieben worden ist und sie wissen es offensichtlich auch zu vermarkten
Foto: Paul Tiedemann
Donnerstag, 26. Mai (4. Tag)
Perl – Echternacherbrück – 61,97 km
Auf der Luxemburger Seite an der Mosel entlang ging's nach Wasserbillig und von dort nach Echternach. Um 12:00 Uhr in Wasserbillig, noch 16 km vor mir, habe ich überlegt, ob ich nicht nach Vianden weiterfahren soll. Doch der gewonnene Tag hätte nichts genützt, weil ich dann irgendwo auf Klaus hätte warten müssen, mit dem ich am 5. Juni in Papenburg verabredet bin. Ich bin froh, mich so entschieden zu haben, denn Echternach ist ein sehr hübscher und interessanter Ort. Lange Zeit habe ich in der Basilika verbracht, die aus dem 10. Jahrhundert stammt, im Krieg allerdings zerstört und danach wieder aufgebaut worden ist. Eine gute Ausstellung erläutert die Geschichte der berühmten Springprozession, die entgegen dem, was immer kolportiert wird, keineswegs darin besteht, zwei Schritte vor und einen zurück zu machen. Die Gläubigen springen vielmehr nach links und dann nach rechts, aber immer nach vorn. Sehenswert auch die mehrschiffige Krypta aus dem 9. Jahrhundert. Das alles hat richtig Spaß gemacht. Meine Übernachtung habe ich übrigens bei Hedi's in Echternachbrück genommen. Das Zimmer ist einfach und klein, aber ausreichend. Zwei Dinge fehlen, aber die fehlen in den allermeisten Pensionen und Hotels in Deutschland, nämlich ausreichend Steckdosen und ein vernünftiges Kissen. Doch ich habe vorgesorgt mit einer Dreifachsteckdosenleiste (Abzweigstecker) und einem Camping-Kissen, das sich selbst aufbläst und mir schon jetzt sehr gute Dienste erwiesen hat.
Wenn irgend möglich, will ich in Deutschland übernachten und nicht im Ausland. In Echternacherbrück herrscht Feiertagsruhe, denn es ist Fronleichnam. In Luxemburg aber rattern die Baumaschinen. Auf der deutschen Seite ist es oft mit dem Internet schwierig, auch Kabelfernsehempfang wird kaum angeboten. Es geht nur mit Satellitenfernsehen. Das war auch schon so in Perl.
Heute ging es immer durch die Ebene entlang der Flüsse Mosel und Sauer, obwohl gerade letztere schon von den Bergen der Eifel und der Ardennen umrahmt ist. Erst ab morgen Abend werde ich aber dann ins Gebirge müssen. Um ehrlich zu sein, ganz eben war es entlang der Sauer nicht mehr. Der Radweg schlängelte sich bisweilen schon an den Berghängen entlang. Aber mit dem eBike sieht man das alles großzügiger.
Freitag, 27. Mai (5. Tag)
Echternacherbrück – Dahnen – 62,15 km
Heute geht es von Echternacherbrück über Vianden nach Dasburg, überwiegend wieder auf luxemburgischer Seite entlang der Sauer und später der Our. Die Our ist ein Flüsschen, das sich durch das zunehmend enger werdende Tal zwischen Ardennen und Eifel schlängelt. Diese Enge führt dazu, dass der Weg teilweise am Hang der Ardennen entlang führt und schon manche Steigung enthält.
Die Grenze zwischen Deutschland und Luxemburg verläuft exakt entlang Mosel, Sauer und Our. Man ist geneigt, dies für eine gleichsam natürliche Grenzziehung zu halten. Dabei vergisst man aber, dass das Gebiet des früheren Herzogtums Luxemburg noch bis zum Wiener Kongress weite Gebiete östlich dieser Flüsse umfasste. Erst auf dem Wiener Kongress 1815 wurde die heutige Ostgrenze festgelegt und die Gebiete östlich davon Preußen zugesprochen. Luxemburg wurde zwar zum Großherzogtum erhoben, aber letztlich war es Verteilungsmasse der Sieger der Allianz gegen Napoleon. Auch hier wurden die Menschen, die es betraf, nicht gefragt und die Grenzen willkürlich gezogen. Integrierte Gemeinwesen wie Echternach und Echternacherbrück wurden ohne Rücksicht auf die Einwohner geteilt.
Vor Dasburg wechsele ich auf die deutsche Seite. Jetzt sind die bequemen Flussetappen vorbei. Zum Glück waren es nur 1,5 km bis zum geplanten Zielort des heutigen Tages. In Dasburg gibt es zwei Gasthäuser, die beide behaupten, kein Bett mehr frei zu haben, obwohl es erst 12:30 Uhr ist. Beide sind ersichtlich auf Motorradfahrer spezialisiert und ich nehme an, dass man mir deshalb kein Zimmer geben will. Mein Versuch, über das Internet herauszubekommen, wo auf meiner Strecke das nächste Gasthaus liegt, ist mangels Internet-Zugang zum Scheitern verurteilt. Zum Glück gibt man mir in einem der Hotels die Telefonnummer des Gasthauses Mautsch in Dahnen, das etwa 6 km weiter liegt. Es geht steil nach oben. Jetzt bin ich wirklich hoch in der Eifel. Dahnen ist ein winziges Dorf, in dem man kaum einen Menschen sieht. Ab und zu rasen Horden von Motorbikern durch. Das Gasthaus hat außer mir keine Gäste. Die Wirtsleute sind aber sehr familiär. Den Nachmittag verbringe ich lesend auf der Terrasse direkt an der Straße. Ich habe Robert Harris' ersten Band seiner Cicero-Trilogie dabei ("Imperium") und kann heute zum ersten Mal etwas intensiver darin lesen. Dann kommt eine Gruppe von vier Motorbikern aus Großbritannien vorbei, die Kaffee trinken wollen und etwas Small Talk suchen. Sie fahren schon seit mehreren Jahren immer nach Prüm, quartieren sich dort ein und rasen dann von dort durch die Eifel. Ich kann dem nicht viel abgewinnen, aber wir unterhalten uns angeregt.
Ich bin jetzt dem Plan schon wieder ein Stück voraus, so dass ich morgen nur rund 38 km fahren muss. Es dürfte aber anstrengend werden. In Auw bei Prüm erwartet mich wahrscheinlich genauso viel Einsamkeit wie hier. Dumm ist, dass es im Zimmer keinen Fernseher gibt. Internet funktioniert nur über Roaming von Luxemburg aus.
Bisher macht mir das Alleinsein noch nicht so viel aus. Aber das könnte schlimmer werden, wenn ich für längere Zeit so am Ende der Welt herumgurken müsste. Ich fürchte, dass das auch noch so kommen wird. Auf jeden Fall ist es immer eine schöne mentale Stütze, wenn Traudel mir morgens zum Start eine SMS schickt.
Paul Tiedemann
(wird fortgesetzt)