Weihnachtliche Cyclomania
Wir können es nicht lassen. Auch im tiefsten Winter radeln wir kreuz und quer durch den grauen Wald unter kahlen Ästen auf vermatschten Forstwegen durch die einsame Stille und das spärliche Licht der kürzesten Tage. Und weil der erste Weihnachtstag frühlingshaft beginnt, entscheiden wir uns, nach Wiesbaden zu radeln.
Zwischen Kurhauskolonnade und Riesenrad – eine weihnachtliche Tour nach Wiesbaden
Fotos: Andrea Maier-Pazoutova
Der Aufstieg hinter Eppstein über den Taunuskamm bringt uns ins Schwitzen, dafür geht es leicht und zügig runter nach Wildsachsen, vorbei an Apfelbäumen, unter denen immer noch gefallene Äpfel liegen. Noch einiges Rauf und Runter, das menschenleere Hockenbergtal und zum Schluss in Wiesbadens Villenviertel Sonnenberg in einem geschwungenen Bogen auf den Rheinsteig. Dort, wo er zu einem komfortablen Promenadenweg wird und in einem breiten, grünen Streifen durch den Kurpark ins Zentrum führt.
Allerdings heißt es jetzt einige Hygienemaßnahmen durchzuführen, bevor wir unser Hotel betreten. Wir müssen uns am Teich vor der Kurhauskolonnade mit einem Lappen wieder gesellschaftsfähig zurechtmachen und die Spuren der wilden Fahrt durch winterlich matschiges Gelände mit aufgeweichten Pfaden, die Schuhe, Hose, Jacke, sogar die Mütze zieren, sorgfältig abwischen.
Die Fahrräder sind mit einer Dreckkruste versehen, so kommen sie durch die Hotellobby in den Abstellraum, wir übernachten nämlich total zentral, um die Ecke vom Weihnachtsmarkt mit Riesenrad, dessen oberes Teil ich aus meinem Fenster über dem Dach schweben sehe. Am Weihnachtsmarkt ist die Atmosphäre gedämpft, dafür ausgelassener auf der Eisfläche im Kurpark, die Wiesbadener drehen ihre Runden hier im weichen Licht der rosa Scheinwerfer und zum Sound sentimentaler Christmas-Evergreens. Oder sitzen gemütlich daneben im edel-getrimmten Almstadl, welches das Schiller-Denkmal dicht umbaut und fast zerdrückt, eine seltsame Symbiose von Literaturklassik und Alpenfolklore. Im Frauenmuseum findet die Ausstellung Cyclomania – Radelnde Frauen statt (bis 29.10.2017). Die Exponate reichen von historischen Rädern bis hin zu Pokalen und dokumentieren, wie Frauen trotz gesellschaftlichen Widerstandes ihre Mobilität mit dem Fahrrad erkämpft haben.
Die frühe Dunkelheit lässt das Riesenrad in grellen Neonfarben erstrahlen, langsam dreht es sich im regelmäßigen Takt über den Köpfen.
Am Morgen des zweiten Weihnachtstages ist die Biebricher Allee fast autofrei, gesäumt von prachtvollen Jugendstil-Villen. Anmutige Erker, schmuckverglaste Treppenhausfenster, geschwungene Mansardendächer, üppige Ornamentik kommen durch die Stille verstärkt zum Vorschein. Der Rhein badet in der Sonne und lockt an seine Ufer Spaziergänger und Jogger, erst hinter Mainz-Kostheim wird es wieder einsam, zwischen den kahlen Weinbergen in Hochheim fällt der Blick auf tiefschwarze Wolken am Horizont, Tempo rauf, Regen kommt! Es erwischt uns in Kriftel, danach Abkühlung und ein eisiger Wind pfeift uns um die Ohren, ach ja, orkanartige Böen wurden gemeldet. Wir kämpfen gegen den Wind, suchen bebaute Flächen, wo wir im Schutz der Häuser leichter vorwärts kommen. Weichen aus in Richtung Taunus, lieber Steigungen im Wald als gnadenloser Gegenwind in der Ebene, der die Räder fast umwirft. Mehr als gut gelüftet kommen wir nach Hause, oh Du fröhliche war eher aprilhaft und windig, aber auf jeden Fall radelbar.
Andrea Maier-Pazoutova