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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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Der Enkel will ein Rennrad

Zwei Wetterauer Pedelec-Piloten (Pedeins und Pedzwo), ein ­Frank­furter Radfahrer (Rad) und ein ­Fußgänger ­unterhalten sich

Schöne Aussicht von der großen Bank an der Hohen Straße.
Foto: Peter Sauer

Hohe Straße, zwischen Roßdorf und Windecken. Ein sonniger Spät­sommer­tag. Pedeins und Pedzwo stehen auf einer Plattform neben der Riesenbank. Davor parken zwei Pedelecs. Rad kommt hinzu, lehnt sein Sportrad an die Bank und erklimmt ebenfalls die Plattform.

Rad: Tach.
Pedeins und Pedzwo: Nicken.
Rad: Ist ja ganz neu hier, die Bank. Bisschen groß geraten, aber sonst ganz schön.
Pedeins: Ja, iss schee. Gute Aussischt von hier.
Rad: Dass das hierzulande möglich ist … vor die Sitzfläche der Bank gehört doch ein Geländer!
Pedeins: Hab ich aach gedacht. Andere aach. Stand sogar in der Hanauer Zeitung. Die Sitzbank iss zwaa Meter hoch. Dess derf merr uff Kinnerspielplätze aach ohne Gelänner. Bei Rutsche und so … lieche ja auch Pellets drunner, fällt merr weich.
Rad: Unglaublich. Wenn man fünf Treppenstufen vor dem Haus hat, braucht man schon ein Geländer. Aber hier nicht …
Alle: Gedankenpause.
Pedeins: Mit dene Reife – fahrn Sie da auch Schotterwege?
Rad: Ja, lässt sich manchmal nicht vermeiden. Die Reifen sind gar nicht so schmal. Mit dem Rennrad früher war's oft ein bisschen schwierig. Deswegen hab' ich auf breitere Reifen umgestellt. Ich lande immer irgendwann auf Waldwegen oder Schotterpisten.
Pedeins: Mei' Enkel will'n Rennrad.
Rad: Mmmh, das wollen heute ja wieder viele junge Leute.
Pedeins: Aber wo soll der dann damit fahrn? Wenn der von Windecke nach Florstadt will, kommt immer 'n Schotterwech.
Rad: Wenn er entlang der Nidda und über Assenheim nach Florstadt fährt, ist alles asphaltiert. Aber wenn ich jetzt über Marköbel nach Altenstadt fahre, geht's ein Stück durch'n Wald. Deshalb hab' ich die breiteren Reifen. Ist besser als mit'm Rennrad.
Pedeins: Mich geht's ja nix mehr an, aber ich find' sowieso, dass 'n Rennrad für den Bub Quatsch ist. Da hänge' ihn die annern mit ihre' Mountainbikes doch im Wald ab.
Rad: Stimmt. Und Sie? Hängt er Sie ab mit dem Rennrad?
Pedeins (Blick zum Pedelec): Am Berg nedd. Da schalt' ich zu.
Rad: Aber flach geradeaus? Da ist doch für Sie bei 25 Sachen Schluss.
Pedeins: Klar, die junge' Kerle könne' da mehr mache'. Aber wenn's berguff geht, hat er Müh'.
Rad: Fahr'n Sie schon länger Pedelec?
Pedeins (Blick zu Pedzwo): Iss schon mein zweites. Dess erste kam so: Ich steh beim Aldi an der Kass und vor mir kauft 'ne junge Frau Zigarette. Als ich seh, was die Packung kost, hab' ich gedacht: Als Nichtraucher haste ja in einem Jahr dess Geld für'n Pedelec zusamme. Da hab' ich mir eins geholt.
Rad: Und jetzt juckeln Sie hier über die Hohe Straße und die Hügel rauf und runner.
Pedeins: Ich fahr auch einkaufe. Kann ich ja vor jede Metzgerei anhalde und gucke, was günstisch iss. Gibt ja einiche Metzgereie hier. Oder in Windecke vom Markt los, da geht's ja überall steil hoch. Oder ich fahr' nach Hanau. Mitte ins Grimm-Center, da hab' ich dess Rad immer dabei. Ich hab ja große Tasche, da kann ich alles erledische und pack dess Zeuch einfach in die Tasche. Und dann widder zurück nach Windecke. Dess Auto brauch' ich fast gar nedd mehr. Bald 20 Jahr alt und erst Sechzigtausend auf'm Tacho – ich mach jetzt alles mit'm Pedelec.
Pedzwo: Nickt zustimmend
Pedeins: Hier über die Hohe Straß geht's ja bis Frankfurt. Hinner'm Hühnerberg fast nur noch bergab. Zurück ist halt schwer. Da schalt' ich zu.
Rad: Da kann der Enkel ja mit'm Rennrad auch nach Frankfurt fahren, ist ja alles asphaltiert.
Pedeins: Der braucht kaa Rennrad. Wofür die junge Leut' heut alles Geld habbe… In Frankfurt stehn'se an jeder Eck' mit'm Kaffeebecher in der Hand. Oder hole sich belegte Brötche. Kammer sich auch selber schmiern. Ich weiß doch genau, von welchem Metzger unser Bäcker sei' Worscht hat. Da kann ich auch selber hingehe, Worscht hole und mir mein Brötche daheim schmiern. Iss billiger. Und Kaffee auf der Straß' aus'm Pappbecher – dess ist doch nedd normal. Dafür habbe die Geld.
Rad: Find' ich auch. Kaffee an der Ampel aus'm Pappbecher … Und mein Brötchen (zieht ein Laugenbrötchen, selbst geschmiert und mit Käse belegt, aus der Tüte) mach' ich auch lieber selbst. Aber die jungen Leut' in Frankfurt fahrn jetzt alle Rennrad. Meist aber nicht besonders schnell.
Alle: Gedankenpause
Rad: Sind Sie früher, vor dem Pedelec, schon Rad gefahren?
Pedeins: Klar, mit den Kinnern, immer wochenends hier über Roßdorf nach Bruchköbel oder zur Ronneburg (nennt weitere Ziele und Wege). Bin eigentlich immer Rad gefahrn.
Rad: Würden Sie das noch tun, wenn's keine Pedelecs gäbe.
Pedeins: Nee, werklisch nedd. Iss mir zu anstrengend, dess schaff' ich nedd mehr. Mir (Blick zu Pedzwo) sinn ja auch nedd mehr die Jüngste.
Rad: Ich auch nicht mehr.
Pedeins: Aber über 80 bestimmt nedd.
Rad: Nee, nur knapp über 60.
Pedeins: Da sinn Sie ja noch'n junge Kerl.
Rad: (gedehnt) na ja …
Pedzwo: Ich muss dann mal. Sonst macht sich die Martha Sorgen.
Rad: Da sollten Sie sich mal ein Handy anschaffen. Dann könnten Sie daheim melden, dass Sie bald kommen.
Pedeins und Pedzwo: Handy? Kommt mir nedd ins Haus! Werklisch nedd, bloß kaa Handy!
Pedzwo: Nickt, klettert von der Plattform, steigt auf sein Pedelec und verschwindet nach rechts.
Fußgänger (nähert sich barfuß mit Kleinkind von rechts): Dass das hierzulande möglich ist… Vor die Sitzfläche der Bank gehört doch ein Geländer!
Rad: Hab' ich auch gesagt.
Pedeins: Hab ich aach gedacht. Andere aach. Stand sogar in der Hanauer Zeitung. Die Sitzbank iss zwaa Meter hoch. Dess derf merr uff Kinnerspielplätze aach ohne Gelänner. Bei Rutsche und so … lieche ja auch Pellets drunner, fällt merr weich.
Fußgänger: Unglaublich. Wenn man fünf Treppenstufen vor dem Haus hat, braucht man schon ein Geländer ... (zum Kleinkind) Wollen wir da mal hoch?
Kleinkind: Nein
Fußgänger: Komm, wir gehen hoch (besteigt mit Kleinkind die Bank)
Kleinkind: Ich will hier runter. Ich will zur Oma.
Fußgänger: Aber die Oma ist in Köln, das ist weit weg.
Beide verlassen die Plattform, Fußgänger erläutert im Weggehen ausführlich, dass sie nicht zur Oma fahren können.

Hinter'm Hühnerberg liegt Frankfurt
Foto: Peter Sauer


Pedeins: Ich mach' dann auch mah weider.
Rad: Ich muss auch los.
Beide verlassen die Plattform und besteigen ihre Räder. Gemeinsam rollen sie nach links die ersten Meter leicht bergab.
Rad: Ist ja schön zu fahrn heute.
Pedeins: Wenn bloß die Bauern nedd so'n Dreck mache würde. Die könnte die Wege öfter mal reiniche.
Rad: Ist aber in diesem Jahr bisher ganz gut gegangen, das Wetter war auf unserer Seite.
Pedeins: Ja, stimmt. Und (grinst) ich derf ja gar nix sache. Bin ja selber aus 'ner Bauernfamilie.
Rad: Das ist bei mir schon länger her. Und die saßen damals in der Schwalm, die haben hiermit nichts zu tun.
Pedeins und Rad: Also dann – schönen Tach noch und Gute Fahrt.
Rad tritt in die Pedale und lässt Pedeins hinter sich. Noch hängt er bergab jedes Pedelec ab. Im Rückspiegel sieht er Pedeins nach Ostheim abbiegen. Dort ist eine Metzgerei.
In Altenstadt kehrt Rad ein und trinkt Kaffee, im Sitzen und aus einer Tasse. Im Weggehen hört er noch, wie sich zwei alte Wetterauer Damen in breitem Dialekt unterhalten. "Die XY, die mache jed's Jahr über Weihnachde nach Las Vegas. Jed's Jahr!". "Dess wär mir nix. Ein oder zwei Mal, aber dann langt's auch. (Kopfschüttelnd) Jed's Weihnachde nach Las Vegas …".
Trotz der Liebe zur Wetterau fährt Rad nun ohne weiteren Halt zügig über die Hohe Straße zurück in die Stadt. Weihnachten verbringt er dort meistens zuhause. In Las Vegas war er noch nie.

Aufgezeichnet von Peter Sauer