Zebrastreifen? Das gibt's doch gar nicht!
Radfahrschulung für Flüchtlinge
Üben auf dem Parcours
Foto: Dr. Ute Gräber-Seißinger
Mittwoch, 10. August 2016. Alle sind mit dem Fahrrad gekommen. Zehn junge Männer, mehrheitlich aus Afghanistan, sind bereits eine halbe Stunde vor Beginn der Schulung im Freizeitzentrum in Bad Vilbel und warten darauf, die Verkehrsregeln in Deutschland genauer kennenzulernen. Sie alle sind hochmotiviert und freuen sich auf den Unterrichtstag. Organisiert wurde er vom Verein für Flüchtlingshilfe in Bad Vilbel zusammen mit dem ADFC unter der Leitung von Dr. Ute Gräber-Seißinger und der Verkehrswacht Wetteraukreis.
Bei der theoretischen Einheit, in der Heinz Euler von der Verkehrswacht über Verkehrszeichen und -regeln referiert, wird schnell deutlich: Es ist gar nicht so einfach, im deutschen Verkehrsschilderwald den Überblick zu behalten. Die Kursteilnehmer nehmen alle Infos interessiert auf. Es gibt aber auch Gelächter –zum Beispiel bei dem Schild mit dem Namen "Fußgängerüberweg". Landläufig wird der Fußgängerüberweg wegen seines Musters "Zebrastreifen" genannt – für die Flüchtlinge ist das eine witzige Assoziation. Auf die Rückfrage, wie man das in ihrer Heimat nennen würde, kommt Achselzucken: "So etwas gibt es bei uns nicht!"
Zufriedene Gesichter vor der abschließenden Verteilung der Teilnehmerurkunden
Foto: Horst Seißinger
Auch Heinz Euler kann das bestätigen. Von seinen weltweiten Reisen berichtet er, dass die einfachsten Regeln überall anders sind. Während in Deutschland an einer Kreuzung ohne Beschilderung stets "rechts vor links" gilt, darf in den USA derjenige zuerst fahren, der zuerst an der Kreuzung angekommen ist. Und von einem Eritreer weiß er zu berichten, dass der in der Heimat zwar schon mal ein Stoppschild gesehen habe – allerdings eines, das mehrfach durchschossen war. "In vielen Ländern der Welt gibt es größere Sorgen als die, den Verkehr ordentlich zu regeln", erläutert er den Umstand, dass es in den Heimatländern der Flüchtlinge oft gar keine Regeln gibt und jeder fährt, wie er will.
Nach dem theoretischen Teil geht die Gruppe zu Fuß einige Straßenkreuzungen und Kreisverkehre ab, um sich die Beschilderung "in echt" anzusehen, bevor die Teilnehmer sich dann für die praktische Phase ihre Räder schnappen und auf dem Übungsplatz losfahren dürfen. Die Pausenhöfe des Bad Vilbeler Schulzentrums dienen mit ihren Markierungen als sicheres Feld, auf dem das Team von der Verkehrswacht diverse Verkehrsschilder aufgestellt hat, damit hier das korrekte Radfahren geübt werden kann. Und schon zur Mittagspause ist sich Heinz Euler sicher: "Bessere Schüler hatten wir eigentlich noch nie!"
Das wiederum freut die Organisatoren und Helfer. Ingo Schütz, Pfarrer der evangelischen Christuskirchengemeinde, der im Verein für Flüchtlingshilfe das Handlungsfeld "Fahrräder" koordiniert, begleitet die Veranstaltung und holt Eindrücke ein. "Seit fast zwei Jahren organisieren wir die Verteilung gespendeter Fahrräder an Flüchtlinge und verhelfen ihnen so zu Mobilität, was sehr wichtig ist", sagt Schütz. "Ich freue mich, dass wir mit der Verkehrsschulung nun einen weiteren Schritt in dieser Richtung gehen können."
Gleichzeitig gilt es zu betonen, was im Bereich "Fahrräder" noch alles zu tun ist. Mithilfe vieler engagierter Ehrenamtlicher konnte im Rahmen des von Flüchtlingshilfeverein und ADFC beackerten Handlungsfelds "Fahrräder" ein Werkstattservice in den Unterkünften initiiert werden. Hier gibt es noch weiteren Bedarf.
Wer Spaß am Schrauben hat und sich in der Förderung der Fahrradmobilität der Flüchtlingshilfe engagieren möchte, kann sich unter fahrraeder [at] fhbv [dot] de oder auch direkt bei Theo Sorg ( theo [dot] sorg [at] adfc-bad-vilbel [dot] de ) melden. Auch über funktionstüchtige Fahrräder, die gespendet werden sollen, freuen wir uns sehr.
Wir ziehen ein positives Fazit. "Die Schulung kommt gut an. Sicherlich wird das nicht die letzte Veranstaltung dieser Art gewesen sein", sagt Ute Gräber-Seißinger, die die Veranstaltung vorbereitet und organisiert hat. Und als Lohn für das Engagement – da sind sich alle Helferinnen und Helfer einig – sind das Strahlen und die Dankbarkeit in den Augen der Teilnehmer auf ihren Rädern schon eine Menge wert.
Ingo Schütz