Soziologische Fahrradmarkentiefenanalyse
Die letzten Tage war ich im siebten Bikesky, also im Himmel des Radelns, da, wo Porschefahrer und unsere Freunde des Motorradbrummbrumms gar nicht hinkommen.
Es gibt im Leben, und ich schließe eine anregende nächtliche Diskussion mit Jürgen Habermas und Juliette Binoche mit ein, nichts Schöneres, als an einem sonnigen Sommertag mit dem Rad zwischen Neef und Ürzig zu fietsen, zwischen Treis und Aldegund, zwischen Lösnich und Traben. Ich liebe die Mosel, die Boote, die Weinberge, das Fachwerk und die massive Alterskohorte der über 70-Jährigen. Das ist das Erfrischende: Als junger Endvierziger fühle ich mich richtig knackig unter all den anderen Senioren, die gut gelaunt vorbeizischen mit ihren elektrisierten Rennmaschinen. Und ich winke ihnen verträumt nach auf meinem Koga.
Was ist das denn für ein Typ? Die Fahrradmarken, die der Redakteur dieser Zeitschrift fährt (von links): Stadtverkehr, Reisen, Sport, Transport
Foto: Peter Sauer
Sie kennen mein Koga nicht? Klar, Sie sind ja auch kein Niederländer. An meinem Rad erkennen mich dagegen meine Wahl-Landsleute auf den Moselcampingplätzen. Echte Deutsche fahren kein Koga. Die E-Liebhaber, darunter immer mehr Junge, fahren übrigens Kalkhoff, Pegasus, Flyer und Kettler.
Seit langem ist die soziologische Markenanalyse eine Art Fetisch von mir zum besseren Verständnis von Gesellschaften. Immer wenn mir eine schöne Frau auf dem Fahrrad entgegenkommt schaue ich nicht etwa auf Busen oder Beine, sondern dazwischen. Mit Hilfe des Rades kann ich ruckizucki auf sozialen Stand, Nationalität und politische Überzeugung schließen.
Das ist bei uns in NL ganz einfach. Wir fahren ja eigentlich überwiegend Batavus, Sparta, Gazelle und Koga, aufsteigend nach Investitionsbereitschaft. Koga-Ehepaare haben dabei das meiste Geld, einen großen Volvo (niemals Mercedes!) und wählen rechts- oder linksliberal. Leute mit einem Bakfiets, also einem Kistenfahrrad zur Kindermitnahme, gelten dagegen als blasierte Schickimickis, die eher Grün-Links wählen. Wobei mein eigenes Koga gebraucht war, also keine finanziellen Rückschlüsse zulässt. Ebensowenig wie mein Bakfiets, mit dem ich die leeren Weinflaschen von der Mosel zum Container bringe. Nicht mit einem Batavus! Batavusbesitzer tendieren meines Erachtens zur niederländischen Linken oder den Sozialdemokraten. Wogegen ich mir nicht vorstellen kann, dass die Fans von Anti-EU-Wilders überhaupt radeln. Fahrradliebe und Extremismus gehen nicht zusammen!
Übrigens fahren die wenigen Belgier an der Mosel so komische taiwanesische Marken wie Merida. Und bei Rennrädern natürlich überwiegend Eddy Merckx, die Firma des alten Champions. Das sind natürlich wiederum Flamen, die stolz sind auf ihren berühmten Landsmann.
Jetzt nochmals zu den Deutschen: Die besserverdienenden Grünenwählerinnen und -wähler fahren natürlich Fahrradmanufaktur, Riese und Müller, Hase oder noch edleres, sackteures Material. Das stammt aus kleinen, feinen Läden, wo der Horst einen noch kompetent berät. Nachteil: Griffe für 50 Euro! Die Spezies habe ich an der Mosel allerdings nicht gesehen. Die Edelbiker sind wahrscheinlich mit Rad und Flieger nach Island oder Portugal unterwegs, jedenfalls nicht artgerecht in der Region.
Im Preissegment darunter wird es schwieriger: Staiger, Hercules und Winora sind wieder da! Wahrscheinlich fahren das CSU-Wählerinnen und -wähler, da die versuchen, die bayerische Wirtschaft zu stützen. Das sind zwar Okay-Verdiener, haben aber dennoch häufig Trikots von Lidl. Ich habe Trikots von Decathlon, was nicht wirklich fairtrader ist. Die sozial Schwachen in Deutschland meine ich an den Supermarkträdern zu erkennen. Stichwort: schlechte Gepäckträger.
Deutsche Hipster dagegen haben überhaupt keinen Gepäckträger. Beide gesellschaftliche Schichten radeln ebenfalls nicht an der Mosel, weil zu uncool oder zu teuer. Im Fall der eher Weniger-Verdiener sehr verständlich: All-inclusive mit dem Flieger in die Türkei ist eben wesentlich günstiger als beim Winzer übernachten. Für mich wäre das allerdings nichts. Das Wetter ist an der Mosel einfach besser. Vom Wein ganz zu schweigen. Und welche Räder fahren eigentlich Erdogans AKP-Wähler?
Martin Unfried
Quelle: VCD-Magazin fairkehr 4/2015