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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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Die Katharerburg Queribus
Foto: Aude-Tourisme

Katharerburgen, Karstberge und Kanalufer

Das südfranzösische Departement Aude, zwischen Mittelmeer und Pyrenäen, bietet sich an für jede Art von Fahrradtour

Wer den Süden Frankreichs im Fahrradsattel spüren will, ob sportlich oder genussradlerisch, braucht sich eigentlich nur eine Landkarte zu kaufen (Michelin Nr. 344) und eine Departementsnummer zu merken: die Nummer 11, im Alphabet weit vorn, das steht für "Aude" ein kleiner Fluss aus den Pyrenäen, der unweit von Narbonne in einem System von Lagunen ins Mittelmeer fließt. Der kleine Fluss kann übrigens bei schlechtem Wetter sehr unangenehm werden, im Winter 1998 schwemmte er ganze Dörfer weg. Aber das passiert wirklich selten.

Grob kann man das Departement in drei Gebiete unter­teilen: im Norden den südlichen Ausläufer des Zentralmassivs, die Montagne Noire, mit seinen hüge­ligen Ausläufern, in denen sich das Weinbaugebiet des Minervois ­befindet; in der Mitte die "Aude-­Ebene" mit dem Unterlauf der Aude, dem Canal du Midi, der ­Departementshauptstadt Carcassonne sowie den zwei Städten Narbonne und Castel­naudary; im Süden das karstige Mittelgebirge der Corbières, mit seiner kargen, hitzeflimmernden Garrigue, seinen bizarren Katharerburgen und den Weinbaugebieten Corbières und Fitou. Im Osten begrenzt werden alle drei Regionen vom Mittelmeer, mit einer massentouristisch voll ­gerüsteten Badeküste.

France écotours ist ein Reiseunternehmen aus Frankfurt, das im März 2015 zu einer Pressereise einlud. Bertram Giebeler ist dem Ruf gefolgt und hat sich zum Thema Canal du Midi und Biowein weiterbilden lassen. Aus dem Gelernten und eigenen persönlichen Erfahrungen aus vielen Radreisen in Frankreich ist ein Reisebericht geworden, von dem sich unsere Leser und Leserinnen inspirieren lassen mögen.(Red.)

Frauen mit Power: Yasmine Haun, Chefin von France écotours, und Anne, die Pensionswirtin, in den Weinbergen des Minervois
Foto: Annette Waldow

Das Departement sieht sich auch zugehörig zum "Pays Cathare", in der Tradition der Katherer-Reformbewegung des Mittelalters, die vom nordfranzösischen Königtum und von der Kirche erst mit mehreren blutigen Feldzügen unterdrückt werden konnte. Eine ausführliche Erläuterung hierzu würde in diesem Rahmen zu weit führen.

Sportlich ambitionierte Radtouristen kommen in den Gebirgslandschaften im Norden und Süden voll auf ihre Kosten. Der flachere mittlere Teil ist wunderschön für Genussradler – es sei denn, man hat den Tramontane-Westwind gegen sich, aber den ignorieren wir jetzt mal und fangen hier mit dem Reisebericht an.

Beginnen wir mit der Departementhauptstadt. Carcassonnes "Cité", die Altstadt, ist UNESCO-Weltkulturerbe und eine der größten erhaltenen Festungsanlagen Europas. Sie erreichte im 13. Jahrhundert ihre volle Größe. Ingrid, die deutsche Stadtführerin von France écotours in Carcassonne, erklärt uns auch, warum die Cité so krass mittelalterlich aussieht wie in einem Videogame: die umfassende Restauration im 19. Jahrhundert wurde von nordfranzösischen Architekten geleitet, die kurzerhand die schiefergedeckten Steildächer ihrer Heimatregion, wie bei den Loire-Schlössern, nach Süden implantierten. Das ist bauhistorisch zwar absolut nicht korrekt, sieht aber "chouette" und pittoresk aus.

Die Cité wird touchiert vom Canal du Midi, wir konnten auf einer kurzen Radtour mit Velo-Guide Julien die Unterstadt, die eigentliche heutige City, sowie eine historische Dreifachschleuse des Kanals besichtigen. Julien ist ansonsten Mountain-Bike-Guide und sieht auch so aus. Apropos: am Kanalufer fielen uns viele muskulöse und durchtrainierte Jogger und auch Joggerinnen auf, die uns gruppenweise flott überholten. Nun ja, der größte Arbeitgeber von Carcassonne außer dem Tourismus ist halt eine Fallschirmjäger-Brigade!

Westlich von Carcassonne hin öffnet sich die Aude-Ebene in die moderne Agrarlandschaft des Lauraguais. Am Canal du Midi entlang zu radeln ist hier ganz nett, aber manchmal auch eintönig. Richtig spannend ist die Kanallandschaft von Carcassonne aus in die andere Richtung, auf dem Weg zum Mittelmeer. Hier reiht sich ein hübscher Kanalhafen für Freizeit-Bootskapitäne an den anderen. Über den Canal du Midi, ebenfalls UNESCO-Welterbe und ein geniales Meisterwerk des Ingenieurs Pierre-Paul Riquet zur Zeit des Sonnenkönigs Louis Quatorze, informiert man sich genauer bei Wikipedia, oder auch vor Ort, an der Departementsgrenze Aude-Garônne, in dem ausgezeichnet gestalteten Infozentrum am Kanal und an der Autobahn A61.

Wir kommen unter anderem nach Homps. Phil, ein hier hängengebliebener Engländer, betreibt einen Fahrradverleih und arbeitet mit France écotours zusammen. Bevor wir seine Räder in Empfang nehmen (sehr ordentliche übrigens, für touristische Leihräder), werden wir in der regionalen Vinothek in Homps erst mal ausführlich über die Vorzüge des Bioweins ins Bild gesetzt, von zwei sehr engagierten und überzeugten lokalen Winzern. Biowein ist gar nicht mal nur ein Nischenprodukt. Er steht für 20 % der Anbaufläche im Minervois, und dies ist eine der größten Rotweinlagen in Frankreich.

Das Problem für die Biowinzer ist halt der gegenüber den konventionellen Anbaumethoden höhere Preis, und die konventionell angebauten Weine sind auch nicht gerade widerlich, im Gegenteil, Qualität vor Quantität heißt hier seit ca 20 Jahren die Devise. Nun ja, önologisch geschult und von der Weinprobe beschwingt, aber noch fahrtüchtig, begleiten wir den Kanal eine Weile an Dörfern und kleinen Schlössern entlang, bevor wir über die Hügel in unser Quartier radeln – Annes Gîte (Pension) in den Weinbergen des Minervois.

Für France écotours ist Annes Gîte immer der Start- und Schlusspunkt. Als erfahrener Tourenleiter merke ich auch schnell warum. Die Gîte hat viel Platz, sogar einen Swimmingpool, die Zimmer und Betten sind sauber und ordentlich, alles funktioniert.

Anne, die Besitzerin, ist eine dynamische Fünfzigerin, die Mountainbike fährt und über die Alpen kraxelt. Es hat sie aus dem alpinen Savoyen hier hin in das heiße Midi verschlagen, sie hat hier ein paar Hektar Weinberge, aber hauptsächlich "schmeißt sie den Laden" in ihrer Gîte, und das allein. Jeder Handgriff sitzt, alles klappt auf kurzen Zuruf, und gekocht wird so gut, dass ich mich gefragt habe, wie Anne dabei ihre MTB-taugliche Figur so lange halten konnte – sie isst schließlich mit den Gästen mit.

Am nächsten Morgen üben wir auf einer kurzen Radtour mit Anne "Landschaft Lesen". Was ist ein Weinberg, was ist eine AOC-Lage, warum liegen manche Weinberge brach oder werden anderweitig kultiviert, welche Rebsorten muss ein AOC-Minervois haben, welche Rebsorten werden in den Nicht-Apellations-Lagen zu "Vin de Pays" angebaut, wie funktioniert ein Vollernter und wieviel Hektar schafft er am Tag, was verdient ein Landarbeiter im Weinbau, wie funktioniert der Rebschnitt und die "Erziehung" der Reben.

Wir bekommen am Nachmittag noch eine Biowein-Lektion, diesmal von Eric, und zwar in der "verschärften Version" der biodynamischen Anbauweise. Das Ganze hat aus Sicht von Eric und seiner Frau philosophisch zu tun mit Homöopathie, ein wenig mit Rudolf Steiner, aber auch mit Grundideen der traditionellen chinesischen Medizin. Eric ist kein verschrobener Freak. Seine Gîte in den Weinbergen brummt im Sommer, seine Weine wurden im STERN den deutschen Weintrinkern präsentiert, er ist in der einschlägigen Gourmetjournaille bestens bekannt.

Zum mediterranen Lebensgefühl gehört unweigerlich auch Olivenöl. Frankreich produziert hiervon zwar nur einen verschwindend geringen Anteil weltweit (Marokko, Spanien und Italien machen den Löwenanteil aus), aber dennoch besuchen wir bei Bizé-Minervois eine schicke Oleothek, die von immerhin gut tausend Olivenöl anbauenden Landwirten bedient wird. Spezialität der Region sind zwei Olivensorten (Lucques und Picholine), die es frisch, pasteurisiert, als Tapenade und als Speiseöl zu kosten und zu kaufen gibt, begleitet von mehr oder weniger hübschen Oliven-Accessoires wie Seifen und Parfüms.

Radfahren am Canal du Midi
Foto: Aude-Tourisme

Im Minervois kann sich der Genussradler entscheiden, ob er entlang des Canal du Midi weiterfahren will, an Beziers (Abstecher zur Kathedrale) vorbei ans Meer bei Portiragnes oder lieber nach Südosten über Narbonne in die Lagunenlandschaft vor der Mittelmeerküste. Beides ist reizvoll; bei France écotours geht es nach Narbonne, entlang des Canal de Jonction. Narbonne selbst hat eine hübsche, erst kürzlich auch modern aufmöblierte Innenstadt mit der mächtigen Kathedrale St. Just, dem Bischofspalast und der Pont des Marchands über den Canal de Robine. Letzterem folgen wir nach Südosten in eine faszinierende Lagunenlandschaft. Links Wasser, rechts Wasser, dazwischen der Kanal mit dem Radweg auf dem Treidelpfad (meist ganz gut befahrbar), im Hintergrund die Hügellandschaft des Weinbaugebiets La Clape. Der Radweg mitten im Wasser endet in Port-La-Nouvelle, einem Fischereihafen mit vielen urigen Fischlokalen. Die direkte Küstenregion des "Littoral" ist massentouristisch geprägt, in erster Linie für die Franzosen selbst. So krass verdichtet wie in Spanien oder an der italienischen Adria ist es aber nicht. Keine Angst, es gibt an der ganzen Küste einen Radweg, und sogar einige recht hübsche Orte. Einer davon, Gruissan, ist Übernachtungsstation – geschlafen wird in Pfahlbau-Bungalows über dem Wasser.

Wer sich nun etwas sportlicher ausagieren möchte, hat dazu die Gelegenheit nördlich und südlich der Aude-Ebene. Sommerliche Hitze kann auch mittlere Gebirgssträßchen, die jetzt unvermeidlich sind, recht anstrengend machen. Nördlich des Weinbaugebiets Minervois lohnt auf jeden Fall ein Abstecher nach Minerve, der historischen Stadt auf einem Felssporn – malerischer geht es kaum. In Hanglage unterhalb der Montagne Noire liegt außerdem das für seine Literaturbegeisterung berühmte Städtchen Montolieu, die Katharerburg Lastours und das historische Saissac. Wer richtig ins Gebirge möchte – die höchste Erhebung der Montagne noire, der Pic de Nore, ist 1.211 Meter hoch – steigt am besten nordöstlich von Carcassonne an der Passstraße zum Col de la Prade ein. Ein lohnendes Ziel im Westen der Montagne Noire, an der Departementsgrenze, ist auch das "Bassin de Saint-Ferréol" oberhalb von Revel: von hier aus wird seit Jahrhunderten das ganze System des Canal du Midi mit Wasser gespeist. Radwege an den kleinen Versorgungskanälen entlang führen hinunter in die Ebene bei Castelnaudary – Hauptstadt der bekanntesten gastronomischen Spezialität des Midi, des Cassoulet – ein kalorienmächtiger Bohnen-Fleisch-Eintopf.

Die mittelalterliche Cité von Carcassonne
Foto: Bertram Giebeler

Südlich von Carcassonne geht es in die karge Gebirgsregion der Corbières. Wer hier mit dem Fahrrad unterwegs ist, sollte im Sommer auf seinen Wasserhaushalt achten. (Ein Tipp für Frankreich im Sommer: in fast jedem Dorf findet sich an oder in der Nähe der Mairie eine Toilette mit einem Frischwasserhahn). Nicht weit von Carcassonne liegt in einem Tal Lagrasse, ein hübsch restauriertes uraltes Städtchen mit einer Abtei, die zur Hälfte noch als solche in Betrieb ist und zur anderen Hälfte als Ausstellungs-und Tagungsstätte dient. Besonders beliebt ist die sommerliche Literaturmesse mit Autorenlesungen und reichhaltigem kulturellen Begleitprogramm. Lagrasse ist beliebt bei Bobos ("bourgeois bohemiens") aus Paris und Lyon, die sich dort schnuckelige Zweitdomizile eingerichtet haben. Ebenfalls nicht weit südlich von Carcassonne liegt Limoux, Heimatstadt einer regional beliebten Sektsorte. Je weiter man nach Süden kommt, desto näher kommen die Zufluchtsburgen der Katharer. Die zwei spektakulärsten, Queribus und Peyrepetuse, liegen an der Grenze zum Nachbardepartement Pyrénées Orientales. Der Aufstieg auf der Straße nach Queribus hat 17 Prozent Steigung – da heißt es "quäl dich du Sau"! Dafür belohnt einen der Blick von Oben bis aufs Mittelmeer. Zurück in die zentrale Ebene kann man durch das Aude-Tal nach Carcassonne fahren (teilweise starker Autoverkehr), kleine Passsträßchen nehmen (der Col de Redoulade ist wunderschön) oder zur Küste radeln, es gibt von Thuir westlich von Perpignan eine "voie verte", eine durchasphaltierte Strecke nur für Radfahrer und Skater, durch Perpignan hindurch bis zum Meer bei Ste Marie-Plage. Über Leucate und Port-La-Nouvelle ist man wieder in Narbonne.

Fazit: Vielfältige mediterrane Landschaften auf engem Raum, interessante Historie, ein vernünftiges Preis-Leistungs-Verhältnis in Camping, Hotellerie und Gastronomie, gepflegte bodenständige Küche, ambitionierte Winzer: das Departement Aude bietet wunderbare touristische Voraussetzungen. Leider bleibt es, zumindest für den Fahrradtouristen, weit unter seinen Möglichkeiten. Unter touristik-professionellen Gesichtspunkten fällt auf, dass von systematischer Pflege der Fahrrad-Infrastruktur noch nicht die Rede sein kann. Beschilderung und Wege­ausbau sind Stückwerk. Die Nachbardepartements Haute-Garônne, Pyrénées Orientales und Hérault tun hier mehr – vielleicht auch weil sie finanziell besser gestellt sind, Aude hat so gut wie keine Industrie. Dennoch: schon eine geringe Summe an Investitionen in den Radtourismus könnte viel bewirken.

Bertram Giebeler