Leine, Unstrut, Wipper, Saale, Ilm, Gera, Apfelstädt, Hörsel
Auf dem Weg nach Eisenach: Vier-Brüder-Stein bei Northeim
Foto: Günther Gräning
Gerd Ortmanns harte Schule hat mich gelehrt: Als ADFC-Tourenleiter hat man die Pflicht, seine Touren vorher zur Probe abzufahren, um zu klären, wo Gefahr droht, wo man nächtigt und wo es Bier gibt. Nun habe ich für Juni dieses Jahres eine Tour an den oben genannten Flüssen angekündigt.
Sieben Radler werden sich auf den Weg machen, darunter drei vom ADFC aus Rhein/Main und dem Saarland, außerdem vier weitere Saarländer. (Bis vor kurzem glaubten diese Halbfranzosen, die Draisine hieße "Drehsine", bis ich ihnen erklärte, der Erfinder der hölzernen Laufmaschine, Freiherr v. Drais, sei durchaus Deutscher gewesen.) Zielort der Tour soll Eisenach sein, damit das Saarland per Zug schnell erreichbar ist. Das wird sich als sehr vorteilhaft erweisen, wie man am Ende sehen wird.
Ich mache mich also am 15. April samt Rad auf die Socken; mein Intercity hält wegen der Hannover-Messe auch in Laatzen. Überall High-Tech im Überfluss, nur der Aufzug am Bahnhof ist kaputt, genau wie der in Frankfurt. Ich sinniere auf dem Rad vor mich hin: Für meinen Physiklehrer bestand Elektrizität aus "ßtrom, ßtrippen, ßpulen, ßpannung, ßtromßtärke und Widerßtand. Aber Aufzüge gingen immer...
Carl Friedrich Gauss in Göttingen
Foto: Günther Gräning
Ich suche und finde den Leine-Radweg und sinniere weiter: Wenn es hier Wölfe geben sollte, sind sie wenigstens an der Leine! Übernachtung in Burgstemmen. Am nächsten Tag weiter über Einbeck leineaufwärts. Bei Northeim steht am Radweg ein "Vier-Brüder-Stein": Vier Brüder sollen sich hier gegenseitig erschlagen haben; nach ein paar Gläsern Einbecker Mai-Urbock geht eben alles. Übernachtung in Nörten-Hardenberg, wieder bei Bett + Bike. In Göttingen finde ich das Denkmal des Mathematiker-Fürsten Carl Friedrich Gauss. Er grüßt mich mit einer Bierflasche in der Hand.
Es zieht mich zur Unstut. In Heiligenstadt warnt mich ein E-Radler, über den kommenden Hügel könne man nur im Stehen fahren. Das kann ich aber gar nicht. Also wuchte ich mein Rad samt Gepäck im Sitzen hinüber zur Unstrut-Quelle. Die siegreiche Schlacht an der Unstrut unter König Heinrich I. gehört zum Gründungsmythos des Deutschen Reiches. So begann seinerzeit mein Geschichtsunterricht: Am Anfang wurden doch tatsächlich die Deutschen von anderen überfallen!
Kaiser Barbarossa im Kyffhäusergebirge
Foto: Günther Gräning
Es geht unstrutabwärts zum nächsten Übernachtungsort, einem großen Braugasthof in Mühlhausen, ebenfalls Bett&Bike. Kurz dahinter verlasse ich den Unstrutweg und fahre in Richtung Sondershausen an der Wipper. Unterwegs stehen bei Rockensussra Hunderte von rostigen Panzern: "Schwerter zu Pflugscharen". Abstecher zur Barbarossa-Höhle am Kyffhäuser-Gebirge. Dort steht er am Eingang, der Kaiser Rotbart. Ich zu ihm: "Komm mit!" Er: "Wohin?" "Das Reich retten!" Er zu mir auf Mittelhochschwäbisch: "Ohne Rössle, auf dem Ding da, und selbst treten? Da bleibe ich lieber in meiner Höhle". "Du hast doch nur Angst, dass dein langer roter Bart sich in der Kette verheddert!" Also wird es wieder nichts mit dem Reich. Aber ich komme ja noch zu Heinrich I. nach Memleben; vielleicht kann der helfen.
Nächste Nächtigung in der Wasserfestung Heldrungen, erstmalig in einer Jugendherberge. Hier ist alles vom Feinsten: das Ambiente, die Leute, das gegrillte Essen, das Bier.
Das nächste Ziel ist die Jugendherberge in Naumburg. Vorher kommt Memleben; Heinrich ist nicht da, schlecht fürs Reich. Ab Freyburg komme ich in meine Traumgegend: die Weinberge, das Fels-Bilderbuch, der Naumburger Blütengrund mit der Unstrutmündung ("Hügel an dem flachen Tale, wo die Unstrut mit der Saale sich vertraut zusammenschließt"; der Text ist nicht von mir, sondern von einem Dichter). Die Jugendherberge ist leider nur über steile Kopfsteinstraßen zu erreichen. Dafür habe ich sie ganz für mich alleine. Und am nächsten Tag der Höhepunkt der Tour: Der Radweg von Naumburg an der Saale und der Ilm bis Weimar ist für mich der allerschönste (und ich kenne viele!).
In Erfurt muss ich die Jugendherberge lange suchen. Abendessen auf dem Domplatz, die Sonne steht genau hinter den Kirchtürmen.
Am nächsten Tag an Gera, Apfelstädt (heißt so!) und Hörsel nach Eisenach. Ich beziehe ein Zimmer in der Jugendherberge, zahle im voraus, dusche, ziehe mich stadtfein an, gehe ein Bier trinken, betrachte ein Pferdegespann, das, von der Wartburg kommend, die Bundesstraße blockiert; will meine Frau anrufen, sehe, dass sie mir per SMS mitgeteilt hat, dass die Lokführer streiken wollen. Ich steige wieder aufs Rad, rase zum Bahnhof und muss erfahren, dass am morgigen Mittwoch kein Zug fährt. Eisenach ist zwar schön, aber tagelang... Ich fahre wieder hoch zur Herberge, raffe mein Gepäck zusammen, gebe den Schlüssel ab, rase wieder zum Bahnhof und erwische tatsächlich einen Zug: Über Bebra, Fulda, und Frankfurt geht es noch am selben Tag nach Hause – den Saarländern sei Dank!
Günther Gräning