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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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Kluge Köpfe per Pedale

Frankfurt hat eine kleine aber interessante und kommunikationsstarke akademische Community zum Thema Mobilität und Radfahren.
Drei Porträts.

Dr. Jutta Deffner
Foto: Peter Sauer

Mobilität ist auch Kommunikation und Emotionalität

Ein Gespräch mit Dr. Jutta Deffner vom Frankfurter Institut für sozial-ökologische Forschung

Ort der Fahrradwissenschaften 3:
Institut für sozial-ökologische Forschung

Versteckt hinter den stattlichen Fassaden der Hamburger Allee befindet sich das ISOE (siehe Kasten), wo wir uns mit Frau Dr. Deffner zu einem Gespräch über Fahrradfahren und nachhaltige Verkehrspolitik treffen.

?? Frau Dr. Deffner, als ADFC interessiert uns natürlich, wie Sie heute zur Arbeit gekommen sind – etwa per Rad?

!! Ja klar, ich komme fast immer mit dem Rad. Und auch sonst bin ich eine aktive Radfahrerin. In meinem Team kommen vier von den fünf Kollegen per Fahrrad.

?? Sie arbeiten hier am Institut für sozial-ökologische Forschung im Forschungsschwerpunkt "Mobilität und urbane Räume". Das hört sich ziemlich abstrakt und weitläufig an. Was hat das ISOE und Ihre Arbeit mit Fahrrädern und Radfahren zu tun?

!! In unserer Arbeit befassen wir uns mit nachhaltiger Mobilität und Verkehr. Darin spielt das Fahrrad eine wichtige Rolle. Wir fördern den Wissensaufbau rund um den Radverkehr und untersuchen, was Fahr­radfahren nützlich und angenehm macht. Daneben beschäftigen wir uns auch mit anderen nach­haltigen Verkehrsmitteln und vor allem deren Verknüpfung miteinander. Dabei gehen wir vom Konzept der Wahlfreiheit aus – der Multi­optio­nalität. Vor allem im städtischen Umfeld müssen Verkehrsteilnehmende ohne große Probleme zwischen Fahrrad, stationärem und flexiblem Carsharing, Öffentlichem Verkehr, dem Privatauto und, ganz wichtig, dem zu Fuß gehen wählen können.

Ein wichtiger Teil unserer Arbeit dreht sich um die Nutzer der einzelnen Verkehrsmittel. Das ist die sozialwissenschaftliche Komponente unserer Arbeit – wie kommen die Verkehrsteilnehmer zurecht mit der Verkehrsinfrastruktur? Hier spielen Sicherheit, Komfort, Erreichbarkeit und Geschwindigkeit eine große Rolle. Wir geben Empfehlungen, wie die städtische Umgebung dazu angepasst werden kann.

?? Sie haben vor kurzem ein größeres Projekt der EU über Radverkehrsförderung in 11 mittel- und osteuropäischen Ländern abgeschlossen. Worum ging es da?

!! Um es gleich vorweg zu sagen: Es ging dabei um mehr als Radwege­bau, es ging vielmehr darum, Fachleute auszubilden. Die Ausgangslage in den einzelnen Ländern ist sehr unterschiedlich. In den baltischen Ländern und Ungarn ist man viel weiter als zum Beispiel in Rumänien oder Bulgarien. In manchen Ländern wird der Fahrradverkehr stark vernachlässigt, alle Aufmerksamkeit wendet sich dem wachsenden Autoverkehr zu. Wir haben ein Konzept umgesetzt, welche Lehrinhalte für die Ausbildung von Planern neben der konkreten Radwegeplanung wichtig sind.

Daran anschließend haben wir mit lokalen NGOs (Nicht-Regierungs-Organisationen) aus den 11 Ländern vier klimatisch und kulturell unterschiedliche Fahrrad-Vorzeige-Städte besucht: Zwolle in den Niederlanden, Bozen in Norditalien, Odense in Dänemark und Vesterås in Schweden. Wie haben sich diese mittelgroßen Städte auf den Fahrradverkehr eingestellt, welche Einrichtungen gibt es dort? Während dieser Aufenthalte wurden die Fachleute aus den NGO vor Ort geschult – nach dem Konzept train the trainer. Sie wurden dann in den jeweiligen Ländern aktiv: sie führten für Planer aus über 350 Kommunen Seminare durch und etablierten nationale Arbeitskreise. Jetzt bereits sehen wir in einigen Ländern Fortschritte. In manchen dieser Länder jedoch ist der politische Wille zur Förderung des Radverkehrs nur schwach ausgeprägt.

?? Ein zentrales Thema in Ihrer Arbeit ist nachhaltige Mobilitätskultur. Sie plädieren dafür, die städtische Mobilität als Ganzes zu sehen und die verschiedenen Aspekte, Teilnehmer und Fortbewegungsmittel aufeinander abzustimmen und miteinander zu verknüpfen. Ist diese städtische Mobilitätskultur schon ein Teil der Verkehrsplanung hierzulande?

Jutta Deffner leitet am ISOE den Forschungsschwerpunkt Mobilität und ­Urbane Räume. Sie hat über Stile nichtmotorisierter Mobilität von Stadtbewohnern an der TU Dortmund promoviert. Jutta Deffner hat an der Universität ­Kaiserslautern Raum- und Umwelt­planung studiert und ist ausgebildete Bauzeichnerin. Sie wohnt im Gallus und fährt mit dem Rad zur Arbeit.
Foto: ISOE

!! Unser Ausgangspunkt ist, Mobilität als Ganzes zu sehen, in dem die Akteure frei wählen können, mit welchen Verkehrsmitteln sie effizient, umweltfreundlich und komfortabel ihre Ziele erreichen. Dabei spielt die Verknüpfung der Verkehrsmittel eine große Rolle. Für den Radverkehr zum Beispiel sind das die Möglichkeiten, Fahrräder in der Bahn mitzunehmen und sie komfortabel bei Carsharing-Stationen, an Bahnhöfen oder in der Stadt während Erledigungen abstellen zu können. Ein weiterer wichtiger Punkt ist es, beim Planen, Bauen von Infrastruktur oder durch die Gegebenheiten der Stadtgestalt oder auch den politischen Entscheidungsprozessen kulturell-symbolische Wirkungen und die Bedeutung von Kommunikation mit zu berücksichtigen.

Dies bei verkehrspolitischen Prozessen zu bedenken, nennen wir das Konzept nachhaltiger Mobilitätskultur. Viele Städte erkennen die Notwendigkeit dieser Herangehensweise an, doch in der Praxis mangelt es dann oft an finanziellen und personellen Kapazitäten.

?? Sie unterscheiden bei Fahrradfahrenden und Fußgängern mehrere Zielgruppen, jede mit ihrer eigenen spezifischen Kommunikation.

!! Jede Zielgruppe sollte spezifisch angesprochen werden. Aber auch im Verkehrsgeschehen heißt Kommunikation vor allem "sichtbar machen". Das beginnt im Verkehr oft mit Blickkontakten, um zu erfahren, was andere Verkehrsteilnehmende vorhaben. Kommunikation ist, die Bedürfnisse der einzelnen Verkehrsteilnehmenden zu erkennen und den anderen zu vermitteln – direkt im Verkehr oder über Planung und Verkehrs­infrastruktur. Kommunikation ist aber auch, deutliche Signale auszusenden: Je mehr Radfahrer auf der Straße unterwegs sind, je sichtbarer der Radverkehr ist, desto stärker wird dieser als Teil des Verkehrs empfunden. Damit wächst die Akzeptanz des Radverkehrs auch bei anderen Verkehrsteilnehmern.

?? In den letzten Jahren ist der Radverkehr nicht nur gewachsen, sondern er ist sich auch seiner Bedeutung als Verkehrsträger bewusst geworden. Fahrradfahrer haben ihren Status als "silenced group", als nicht zählende Verkehrsteilnehmer, verlassen. Wo­rauf führen Sie das zurück?

!! Es gibt einen gesellschaftlichen Wandel, Einstellungen zu Verkehrsmitteln ändern sich – und zusätzlich gibt es jüngere Gruppen, für die das Auto weniger Statussymbol ist, es gibt ökonomische Gegebenheiten, die in diesen Gruppen auch zu weniger Autobesitz führen. Die Ausbildung von Planern hat sich verbessert, es sind nun mehr Leute in der Praxis tätig, die auch an Radfahrende und Fußgänger denken. Trotzdem wird es noch eine Weile dauern, bis sich dieser Wandel konkret in der Praxis wiederfindet. Wir sehen jedoch deutlich, dass es in der Politik Veränderungen gibt. Die CDU heute denkt anders über diese Themen als noch vor 20 Jahren. Aber auch Radfahrer werden sich bewusst, dass sie Einfluss von unten nehmen können – es ist auch eine "bottom-up"-Bewegung entstanden.

Allerdings weichen die Entwicklungen auf dem Lande deutlich von denen in einer urbanen Umgebung ab. Die Rolle der einzelnen Verkehrsmittel sieht hier ganz anders aus als in der Stadt.

?? Sie haben im Juli dieses Jahres zusammen mit Ihrem Kollegen an einem Expertenworkshop zur Mobilitätsstrategie Frankfurt 2030 teilgenommen. Welche Empfehlungen haben Sie dabei abgegeben?

!! Der Radverkehr war bei diesem Treffen nicht das Hauptthema, es ging natürlich auch um andere nachhaltige Verkehrsträger, wie Fußgängerverkehr, Carsharing und andere.

Ein wichtiges Thema ist für uns immer wieder der Hauptbahnhof und seine direkte Umgebung, die sehr fahrradunfreundlich, geradezu fahrradfeindlich ist. Dabei sollte der Bahnhof doch das Tor zur Stadt sein, das ankommende Reisende willkommen heißt. Da ist noch viel zu tun. Hier müsste sich die Deutsche Bahn stärker engagieren, ohne die als Besitzerin der Liegenschaften nichts geht.

Ein anderes Thema war, zu einer Vision zu gelangen, in der vor allem für den Radverkehr und zu Fuß gehende das Verkehrsnetz weniger lückenhaft ist als heute. Doch auch der ÖPNV und sogar der Autoverkehr haben unter dem Resultat einer jahrelang nicht konsequent betriebenen Verkehrspolitik zu leiden. Mit unserem Konzept einer nachhaltigen Mobilitätskultur haben wir eine integrierte Strategie vorgeschlagen, die alle Verkehrsmittel einschließt und die mit einer detaillierten Planung Wirkung zeigt. Sehr wichtig ist natürlich, dass die Planungs- und Verkehrsdezernate eng zusammen arbeiten. Das ist nicht so einfach, wie es scheint. Zwischen der Planung und der Realisierung von Bauvorhaben besteht oftmals eine große Zeitspanne, so dass heute Planungen umgesetzt werden, die einem früheren Zeitgeist entsprechen. Schließlich geht es auch darum, wie der PKW-Verkehr in sensiblen Bereichen weniger dominant gestaltet und gleichzeitig die Sichtbarkeit der langsameren Verkehrsteilnehmer erhöht werden kann. Wir sehen in den Ämtern auch Erfolge. Nicht nur die Grünen, auch die CDU sieht, dass man mit einer guten integrierten Planung vieles verbessern kann.

?? Als Einwohnerin, aber auch als Forscherin – wie schätzen Sie die bestehenden Einrichtungen für den Fahrradverkehr in Frankfurt ein? Was ist gut und was fehlt?

!! Im Vergleich zum Jahre 2005, als ich nach Frankfurt gezogen bin, ist viel passiert. Doch das Risiko besteht, dass die Verkehrspolitik nur die "low hanging fruits", die leicht zu realisierenden Maßnahmen, geerntet hat. Jetzt kommt der mühsamere Teil. Was den Radverkehr betrifft, vermisse ich vor allem eine klare und eindeutige Ausschilderung für Fahrradwege in der Stadt. Verbessert werden sollten auch die Möglichkeiten, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu kommen. Hier müssten über die Mobilitätsstrategie der Stadt die Arbeitsgeber viel stärker einbezogen werden. Sie könnten Abstellplätze zur Verfügung stellen sowie Möglichkeiten, nasse Kleidung aufzuhängen etc. Das würde dann im Gegenzug den Bedarf der Firmen an Parkplätzen mindern.

?? Eines ihrer Arbeitsgebiete ist die Verkehrspolitik auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene. Wo sollte der ADFC Ihres Erachtens in den kommenden Jahren die verkehrspolitischen Akzente setzen?

!! Der ADFC sollte sich mit den anderen Verkehrsmitteln auseinander setzen, um den Platz des Fahrrades im Verkehr sichtbarer zu machen. Für mich ist zum Beispiel das schlechte Verhältnis zwischen Radfahrern und Fußgängern unbegreiflich. Da müsste sich etwas ändern. Daneben sollte der ADFC zu einer umfassenden "Mobilitätsbildung" beitragen. Zusätzlich sollten auch Radfahrer sich an die Verkehrsregeln halten – und diese kennen. Außerdem könnte man beim ADFC über die Potenziale von Lastenrädern nachdenken. Beim zunehmenden Platz- und Parkplatzmangel in den Innenstädten wird dies weiterhin an Bedeutung gewinnen, nicht nur als Kurierdienst.

?? Für die Umsetzung seiner verkehrspolitischen Ziele ist der ADFC abhängig von der Zusammenarbeit mit Planungs-, Bau- und Verkehrsbehörden. Haben Sie hier bestimmte Empfehlungen, wie der ADFC effektiv ans Ziel kommt?

!! Es gibt im Grunde sowohl bei den Behörden als auch bei der Politik ein offenes Ohr für die Bedürfnisse des Radverkehrs. Leider arbeiten in Behörden einzelne Abteilungen, wie Verkehrs- und Planungsabteilungen, oft nebeneinander her und reden wenig miteinander, stimmen sich kaum aufeinander ab. Hier kann man von Zürich lernen. Dort ist eine ämter­übergreifende Planung Realität geworden.

Die Politik will es allen recht machen, will alle bedienen. Da muss man durch gute, seriöse und wenig tendenziöse Kommunikation seinen Anliegen Gehör verschaffen und kann so schon auf der Prioritätenliste nach vorn gelangen.

?? Ein letztes Wort vielleicht?

!! Mobilität hört sich so technisch an, aber es ist ein gesellschaftliches Bedürfnis, mobil zu sein. Es geht also nicht nur um Fahrzeuge und Technik – sondern darum, welche symbolischen Werte wir damit verbinden und welche Gefühle. Mobilität hat also sehr viel mit Kommunikation und Emotionen zu tun.

?? Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Mit Dr. Jutta Deffner sprachen Paul van de Wiel
und Peter Sauer


Institut für sozial-ökologische Forschung

Das ISOE in Frankfurt gehört zu den führenden, unabhängigen Instituten der Nachhaltigkeitsforschung. Seit 25 Jahren entwickelt das Institut wissenschaftliche Entscheidungsgrundlagen und zukunftsfähige Konzepte für Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft – regional, national und international. Derzeit arbeiten 50 Mitarbei­ter/-innen am ISOE, davon 36 Wissenschaftler/-innen. Das Institut ­finanziert sich durch öffentliche Fördermittel (u. a. vom Land Hessen) und durch Aufträge.

Forschungsschwerpunkte
Wasserressourcen und Land­nut­zung; Wasserinfrastruktur und ­Risikoanalysen; Energie und Klimaschutz im Alltag; Mobilität und urbane Räume; Bevölkerungsentwicklung und Versorgung; Transdisziplinäre Methoden und Konzepte.

Arbeitsweisen des ISOE
Theoretische Grundlage des ISOE ist die soziale Ökologie, die neben technischen Gesichtspunkten auch die Durchführbarkeit von nachhaltigen Lösungen bei komplexen Problemen für Mensch und Umwelt berücksichtigt. Ausgangspunkt ist das Integrieren von Akteuren und deren Wissen für praxisnahe und zukunftsfähige Konzepte, damit diese besser angenommen und umgesetzt werden können. Nur Veränderung ist der Korridor zu möglichen und wünschenswerten Neuentwicklungen.

Weitere Infos: www.isoe.de