Skip to content

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main   

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

Artikel dieser Ausgabe
"

Wo bleiben die Visionen?

Foto: Peter Sauer

Im HOLM, dem "House of Logistics and Mobility", fand am 25. September eine Tagung zum Thema "Mobilität 2100 – Dem Radverkehr gehört die Zukunft" statt (siehe auch Frankfurt aktuell 5/2014, Seite 16). Die Position des Radverkehrs in zukünftigen Mobilitätskonzepten, Visionen und Ausblicke auf kommende Jahrzehnte sollten sich in den Vorträgen der Teilnehmer spiegeln.

Doch Visionen über eine rund 80 Jahre entfernte Zeit zu entwickeln, ist nicht einfach. Hätte man sich etwa vor 80 Jahren vorstellen können, dass unsere Städte in Zukunft gigantische Autoabstellplätze sein werden? Andererseits – hätte man vor 30 Jahren geglaubt, dass es im Frankfurt des Jahres 2014 möglich ist, zu fünft auf der mehrspurigen Mörfelder Landstraße radeln zu können, während Auto­fahrer ohne Hupen und Drängeln den Radlertrupp umkurven?

Bereits die Einladung zur Tagung erwies sich als wenig visionär: Bei den Anfahrtshinweisen wurde der Radverkehr komplett vergessen. Trotzdem kommen rund 80 Besucher ins Holm, viele von ihnen als hartnäckige Radler zu erkennen, viele von Ihnen Aktive des ADFC. Dass vor dem schicken HOLM keine Abstellplätze für Velos zu finden sind (siehe Foto), kann solche Leute nicht schrecken.

Den Auftakt im Vortragsprogramm macht Burkhard Stork, Bundesgeschäftsführer des ADFC, und er zeigt, was er kann: furios saust er rund um die Welt, spricht über Verstädterung, über Landflucht, über wachsende Metropolen und die damit verbundenen zukünftigen Lebensmodelle. Im Jahre 2050 werden 75 % der Menschheit in Städten wohnen, und in diesen Städten werden 3 Milliarden Menschen mehr leben als heute. An Beispielen aus Adelaide in Australien, aus Paris, Chicago, New York, Portland, aus China oder Indien führt er vor, wie sich die Städte verändern müssen, um für ihre Bewohner lebenswert und attraktiv zu bleiben. Nicht die einseitige Förderung des Radverkehrs, so seine These, wird unser Lebensumfeld verbessern, sondern generell die Schaffung von mehr Platz zum Leben, für Fußgänger, für Radfahrer, weg von der einseitigen Be­vor­zugung des motorisierten Individualverkehrs. Dass in diesen Städten der Zukunft der Radverkehr eine viel stärkere Rolle spielen wird als heute, ergibt sich dann von selbst. "You cannot be for a startup, high-tech economy and not be pro-bike" (eine moderne High-Tech-Wirtschaft ist ohne den Radverkehr gar nicht denkbar) wird Rahm Emanuel, Bürgermeister von Chicago, zitiert.

Joachim Hochstein, Leiter des Frankfurter Radfahrbüros, stellt die Arbeit seiner Institution vor. Er spricht von Erfolgen und von zukünftigen Planungen, verschweigt aber auch nicht, dass ohne finanzielle und personelle Grenzen mehr machbar wäre.

Jens Vogel, Verkehrsingenieur bei ivm – Integriertes Verkehrs- und Mobilitätsmanagement Region Frankfurt RheinMain (u. a. Betreiber des Hessischen Radroutenplaners) spricht sich für eine Stärkung des Intermodalen Verkehrs aus. Er arbeitet an einer Verbesserung der Verknüpfungspunkte zwischen allen Verkehrsträgern, egal ob Fußgänger, Radverkehr, Bahn und Bus oder Autoverkehr. Diese Entwicklung muss sich nicht auf den großstädtischen Raum beschränken, Vogel sieht auch im ländlichen Raum viele Potenziale für veränderte Mobilitätskonzepte. Fest macht er dies am Beispiel einer Schule im Wetteraukreis. Diese Schule liegt genau zwischen den Wohnorten der Schüler, viele der Schüler können die Bildungsstätte nur mit mehrmaligem Umsteigen erreichen. Hier wäre eine Verbesserung der Situation (verminderte Fahrtzeiten, weniger Umstiege) möglich, wenn ein in der Nähe der Schule gelegener Bahnhaltepunkt durch eine Radstrecke mit der Schule verbunden werden würde. Viele Schüler könnten zukünftig unkompliziert per Bahn anreisen und die 1,5 km vom Haltepunkt zur Schule per Rad überwinden.

"Die Umwelt gestalten" ist das Thema von Georgios Kontos. Den Vortrag des regionalen Radverkehrsbeauftragten geben wir leicht gekürzt auf den folgenden Seiten wieder.

Dass heute in den allermeisten Haushalten die Wäsche nicht mehr mühevoll von Hand, sondern maschinell gewaschen wird, bringt Hannes Neupert von Extra Energy e.V. zu einem gewagten Vergleich. Etwas provokant und mit einem Hang zu "Witzischkeit" stellt er das Fahrrad neben die Handwäsche und das Pedelec neben die Waschmaschine. Seine These: So wie heute kein Mensch mehr per Hand wäscht, sondern die Waschmaschine nutzt, so wird bald auch kein Mensch mehr Rad fahren, sondern sich elektrisch unterstützt fortbewegen. Als Vertreter diverser Interessenverbände der Elektrizitätswirtschaft unterschlägt er dabei, dass Radfahren (anders als Wäsche waschen) Spaß machen kann, auch ohne elektrische Unterstützung. Genau deswegen werden sicherlich auch noch viele Jahre Menschen auf das Rad steigen – aus Spaß am Radfahren.

In der abschließenden Podiumsdiskussion blitzen nur selten visionäre Ideen auf. Claudia Grumann vom Hessischen Verkehrsministerium will "Runde Tische" zum Thema Mobilität unterstützen und plädiert für eine stärkere Kooperation zwischen einzelnen Gemeinden, um größere Radverkehrsprojekte voranzutreiben. Sie sieht den Radverkehr eindeutig bei den Kommunen verortet. Hier stellt sich für den Berichterstatter die Frage, ob von einer Landesregierung mit grüner Beteiligung nicht mehr Engagement und "Vision", auch auf Landesebene, erwartet werden kann.&xnbsp;

Visionär erschien am ehesten noch Eckehard Moritz, Professor und Geschäftsführer einer "Inno­vationsmanufaktur", der sich in einem elektrisch angetriebenen Sesselchen sitzen sieht, in seiner Wohnung und später auf dem Weg zum Bahnhof, um dort mit Sesselchen den Zug in die Ferne zu besteigen, wo ihn sein elektrisches Stühlchen zum Ziel rollen wird.

Die Vision, was wirklich im Jahre 2100 sein könnte, hat eine Zuhörerin aus dem Publikum. Im Jahr 2100, meint sie, ist der Meeresspiegel um drei Meter angestiegen. Deshalb haben alle Niederländer ihr Land verlassen und sind mit ihren Fahrrädern zu uns kommen – und deshalb fahren wir zukünftig sowieso alle Rad.

Peter Sauer

Wer im Web nach "Fraport Regionalpark Open 2014" sucht, findet alle Vorträge der Tagung als PDF-Dateien.