P ist zunächst skeptisch. 10 Uhr erscheint ihm zu spät, er führe, wenn er denn in den Hochtaunus fahre, früher am Morgen, um vor der Motorradplage auf den Gipfel zu gelangen. Und autofrei bedeute ja auch, dass man mit Kindern und Skatern rechnen müsse, was der eigenen Beschleunigung nicht dienlich sei. E schlägt vor, gegebenenfalls bei zu vielen Hindernissen seitwärts in die Hügel auszuweichen, sich aber trotzdem am Sandplacken zu treffen. Seinetwegen halt bereits um 9.30 Uhr. P lenkt ein und sagt sein Kommen zu.
4. August. P fährt (ausnahmsweise) mitsamt Velo in der U3 zur Hohemark. Dort steigt er aufs Rad. Alle anderen Mitfahrer in der Bahn steigen auf den Fahrrad-Bus um.
Gemächlich zuckelt P die Straße zum Sandplacken hinauf, überholt nicht nur vom Fahrrad-Bus, sondern auch von Dutzenden nummerierter Rennfahrer aller Alters- und Gewichtsklassen, die einzeln oder in Gruppen nach oben streben. Motorradfahrer zersägen bereits die morgendliche Taunusluft.
Am Sandplacken verlassen die Nummerierten die Straße und fahren nach rechts. Dort ist eine Kontrollstelle für eine Rundfahrt ausgeschildert. P bleibt an der Straße, setzt sich auf eine Holzbank, knabbert Kekse und wartet auf E.
Dieser wohnt in Niederreifenberg und rollt von dort entspannt hinüber zum Treffpunkt. P freut sich über die Idee zur U-Bahnfahrt und überschlägt die gesparten Kilo- und Höhenmeter im Kopf.
Während die Nummerierten von rechts kommend den Sandplacken in Richtung Feldberg kreuzen, stürzen sich E und P hinunter nach Schmitten. Dabei zeigt sich, dass P durch seinen Hang zu Übergewicht gegenüber E deutlich im Vorteil ist und erheblich höhere Rollgeschwindigkeiten erreicht. Trotzdem findet die rasende Fahrt an der Tankstelle in Brombach ein vorübergehendes Ende – P muss die Wasserflasche auffüllen und ersteht für 99 Cent einen halben Liter eines französischen Mineralwassers. Auf der Weiterfahrt werden die beiden Radtouristen häufig von Autos überholt, die Fahrräder transportieren, um diese im autofreien Weiltal zu fahren.
Nach dem Queren der Bundesstraße wird es ruhiger im Tal. Freiwillige Feuerwehren kontrollieren die Zufahrt zur autofreien Zone und weisen Motorisierte erbarmungslos zurück. Hinter der Barriere aus roten Autos rollen E und P vorbei an einer Riesen-Party des Rewe-Marktes am Ortseingang und an einem einsamen Klavierspieler am Ortsausgang von Rod an der Weil. Auf einer Wiese vor der Siedlung Audenschmiede bewachen Mitglieder eines Automobilclubs ein Toilettenhäuschen – für P ein willkommener Anlass für eine kurze Pause. E rollt derweil langsam voraus. Grill, Hüpfburg und Bühne sind auf der Wiese vor Audenschmiede noch nicht in Betrieb gegangen.
Schnelle Männer: P(eter Sauer – Vorteil bergab) und E(dgar Müller – Vorteil bergauf) nach ihrem Weiltalausflug auf dem Sandplacken
Foto: Peter Sauer
P's Befürchtung, Inlineskater oder Familien mit Kindern könnten dem eigenen Fortkommen hinderlich sein, bestätigt sich nicht. Alle, auch die Vorgenannten, richten sich strikt nach der Beschilderung, die im Abstand von einigen hundert Metern immer wieder darauf hinweist, rechts zu fahren. P wundert sich über die Beschilderung und behauptet, dass rechts fahren hierzulande schon seit einigen Jahrzehnten das Übliche sei. Im Weiltal scheint man anders darüber zu denken. Trotzdem lassen alle vorbildlich den Mittelstreifen der Straße links liegen.
E weist immer wieder darauf hin, dass er gerne langsamer fahren würde. Man habe mehr von der Landschaft, der Ausflug sei kein Radrennen, und er wolle den sonnigen Tag genießen. Trotzdem neigt E zum Vorausfahren und zu beschleunigtem Vorankommen. Das liege am schnellen Rad, auf diesem falle ihm die Verlangsamung extrem schwer. P hält sich im Windschatten oder fährt plaudernd nebenher. Es herrscht Ruhe im Weiltal, kein Motorrad zersägt die Luft, kein Sportwagen heult, kein Diesel blubbert und stinkt. Nur das Abrollgeräusch grobstolliger Mountainbike-Reifen bringt hin und wieder ein wenig Verkehrslärm in den Sonntag.
Hinter Weilmünster, in Ernsthausen, zwingen P Hunger und Kaffeedurst zu einem Halt am Kuchenstand des örtlichen Gesangvereins. Der Kaffee kostet 50 Cent, der Rührkuchen 1 Euro. Die Bäckerin erläutert die Herstellung auf Nachfrage detailliert. E isst nichts und erkundigt sich derweil nach dem Imker B hier im Ort, der seinen Honig im Weilroder Rewe-Markt vertreibe, dies aber seit einigen Wochen leider nicht mehr tue. E wird an einen Bratwurst essenden Herrn verwiesen. Dieser sagt, ja, er kenne den Imker, seit genau 72 Jahren. E fragt, wie er mit ihm in Kontakt treten könne, P grinst dazu. Der Bratwurstesser weist mit seiner Gabel auf P: "Der hat's verstanden". Der Bratwurstesser stellt sich als der gesuchte Imker vor. Es entwickelt sich ein längeres Gespräch über Bienen, Königinnen und Drohnen, Honigverkauf, Preisnachlässe, Massenprodukte aus "EU- und nicht EU-Ländern", die Varroa-Milbe, Landwirtschaft und, und, und. Der Mann ist quasi Oberimker, bildet junge Imker aus, arbeitet in staatlichen Forschungseinrichtungen und weiß alles, wirklich alles, über Bienen und Honig. E versucht, als zukünftiger Direkteinkäufer enorme Rabatte gegenüber dem Rewe-Preis auszuhandeln. Der Imker lädt grinsend zu einem Besuch bei sich ein, weist aber E's Preisvorstellung weit von sich. Die Bratwurst wird derweil trotz der hochsommerlichen Temperaturen kalt. E und P nehmen sich vor, demnächst mit einem Rucksack loszufahren, um Honig beim Imker in Ernsthausen zu kaufen.
Kurz vor Weilburg endet das Weiltal, ob autofrei oder nicht. Einem längeren Stopp an der Weilburger Tunnel-Trias (Schiffstunnel, Bahntunnel, Straßentunnel – P isst seine Banane) folgt die Besichtigung von Altstadt und Schlosspark. Eine junge Dame, als Schlossführerin kenntlich gemacht, bestätigt trotz ihrer Mittagspause P's Vermutung, dass die Schlossanlage von "Staatliche Schlösser und Gärten Hessen" verwaltet wird und sich nicht mehr im Besitz der Fürsten zu ("zu", nicht "von", wie die junge Dame betont) Nassau-Weilburg befindet, wie E vermutete. Die Radtouristen erfahren bei dieser Gelegenheit, dass die Luxemburger Adligen dem Haus Nassau-Weilburg entstammen. Mit der von P vorgetragenen Liedzeile "Sind Sie der Graf von Luxemburg?" kann die junge Dame jedoch nichts anfangen.
Aus Weilburg hinaus steigt die Bundesstraße steil an. Hier wirken sich wieder die Gewichtsunterschiede zwischen den Fahrern aus, E ist nun deutlich im Vorteil und weit voraus. Oben, am Ortsende, zweigt der Weg nach rechts ab, über einige Hügel wird zurück ins Weiltal gefahren. In Ernsthausen hat der Imker inzwischen seine Mahlzeit beendet und das Zelt des Gesangvereins verlassen.
P verwickelt den Fahrer eines überholenden Transportrades in ein Gespräch über Technik, über den eigenen alten "Long John" im Keller und die Vorteile einer robusten Nabenschaltung. Bergauf komme er mit der Schaltung gut zurecht, nur bergab fehle ihm der große Gang zum Mittreten, sagt der Fahrer, tritt an und zieht mit seinem schweren Boliden links vom Mittelstreifen an den beiden Männern auf ihren schnellen Rädern vorbei, den Kindersitz auf der Ladefläche im Auge behaltend.
E und P fahren ohne Halt bis zum Toilettenhäuschen des Automobilklubs. Am Rande des Geschehens (Grill, Hüpfburg und Bühne sind inzwischen in Betrieb) isst P sein Käsebrot. E isst weiterhin nichts. Leicht bergan fahrend, nun P vorneweg, erreichen die beiden die Tankstelle in Brombach. P muss seine Wasserflasche auffüllen und ersteht einen Liter Rosbacher Mineralwasser zu 95 Cent. Große Flaschen seinen billiger als kleine, sagt die Kassiererin, nachdem P den halben Liter französischen Wassers zu 99 Cent vom Vormittag erwähnte, das sei auch bei Cola so. P trinkt kein Cola und kann deshalb nur über die Preisgestaltung staunen. E erholt sich im Schatten der Luthereiche gebenüber der Tankstelle von Sitzbeschwerden und lässt sich von P die Vorteile eines Ledersattels erläutern. P isst noch ein paar Kekse, E isst weiterhin nichts, stellt aber fest, dass das Fahren im Windschatten Kräfte spare. Das verhilft ihm am Anstieg hinter Schmitten offensichtlich dazu, weit vor P hinauf zum Sandplacken ziehen zu können.
Oben trennen sich die schnellen Männer, E rollt nach Niederreifenberg hinüber, P nach Frankfurt hinunter. Letzterer kehrt aus Sorge um sein Gewicht vorsichtshalber in Oberursels Fußgängerzone zu einer letzten Kaffee- und Kuchenpause ein. Am Abend liest er von seinem Tacho die Zahl 130 ab und ist (auch unter Berücksichtigung der gefahrenen Höhenmeter und des Lebensalters) recht zufrieden mit seinem körperlichen Allgemeinzustand. E erwähnt in einem Telefonat, dass ihm die rund 90 Kilometer, die er gefahren sei, vollkommen ausreichen. Ob er inzwischen gegessen hatte, wurde nicht besprochen.
Mitte August. P ruft bei E an und schlägt vor, sich am kommenden Sonntag gegen 9.30 Uhr am Sandplacken zu treffen. Imker B werde er informieren, ein Rucksack zum Transport von Honiggläsern liege bereit. E sagt sein Kommen zu.
Peter Sauer