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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

Artikel dieser Ausgabe
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In der sonntaz, der Wochenendausgabe der Berliner "tageszeitung", erschien am 27.04.2013 der Beitrag von Johannes Gernert, den wir hier etwas gekürzt wiedergeben. Wir bedanken uns ganz herzlich bei der Redaktion der taz für die Abdruckgenehmigung.

Redaktion Frankfurt aktuell

RASEN Steigt unser Autor aufs Rad, packt ihn die Wut. Auf Autos, auf Passanten, sogar auf andere Radler. Er ist sicher: Als Kampfradler ist er nicht allein. Aber woher kommt diese Aggression?

Ein Besuch beim Therapeuten.

Die Ampel ist rot. Ich trete!

Unter mir fließt der Asphalt vorbei, immer schneller, rechts die Autotüren, blau, weiß, rot. Ich trete die Pedale im Takt. Autotür, Autotür, Autotür. Grün, blau, gelb. Bleibt, bloß, zu. Motoren rauschen. Leises Busgrollen. Ein Hauch Diesel. Links von mir der breite weiße Streifen, der uns trennt. Fahrräder, Autos. Ich, die. Der Himmel vorne blau, über den U-Bahn-Schienen.
Der Wind massiert meine Schläfen. Der weiße Streifen biegt sich. Rüber auf den Radweg.
Und dann: Bushaltestelle. Fußgänger. Menschen. Gefahr.
Weg, weg. Weg da!
Plastiktüten hängen am Rand des Fahrradwegs von Händen, von Armen. Wie ruhende Pendel, die jederzeit nach vorne schießen könnten. Auf mich zu.
Ich trete mich vorwärts, schneller. Bleibt weg. Ding, ding, ding. Hört ihr's nicht?!
Weg, weg, weg. Weg da!

"Erzählen Sie einfach, was Ihr Problem ist", sagt mein Therapeut.

Wir sitzen in Korbstühlen in einer Frankfurter Altbauwohnung. Mein Therapeut hat angenehm lange, fast weißgraue Haare. In der Ecke steht eine Couch.

"Ich beschäftige mich mit Aggressionen auf dem Fahrrad", sage ich.

In der Kriegsberichterstattung, die der Bundesverkehrsminister im vergangenen Herbst maßgeblich geprägt hat, ist immer wieder von Kampfradlern die Rede. Von Menschen wie mir. Er wolle der Verrohung dieser Kampfradler Einhalt gebieten, hat Dr. Peter Ramsauer gesagt.

Seitdem denke ich noch mehr über mein Leben als Kampfradler nach, darüber, wie es so weit kommen konnte.

Manches scheint sich ja ganz einfach zu erklären: Wenn man sich die Zahl der Fahrradfahrten in Deutschland ansieht, dann ist das eine Kurve, die steigt – in den vergangenen beiden Jahren sogar fast senkrecht nach oben.

Die Zahl der Radfahrer wächst sehr schnell, die Zahl der Radwege wächst deutlich langsamer nach. In Berlin sind von 2000 bis 2011 immerhin 100 Kilometer neue Radstreifen angelegt worden, hat der BUND kürzlich festgestellt. Aber im BUND-Fahrradplan sind trotzdem viele Straßen grau wie: kein Streifen für Radler. Da, wo kein Platz für solche Radstreifen ist, wird es eng, und wo es eng wird, gibt es Ärger. Da fangen die Leute an zu schreien und zu schlagen und zu spucken. Leute wie ich.

Die Ampel ist grün. Der Asphalt fließt. Die Ampel ist orange. Einundzwanzig. Zweiundzwanzig. Ich trete. Die Ampel ist orange. Dreiundzwanzig. Der Asphalt schießt. Letzter Gang. Widerstand. Schweiß am Rücken. Orange. Vierundzwanzig.
Oran…, oh, rot, egal. Die Ampel ist rot. Ich trete.
Da bewegen sich Menschen. Rechts bewegen sich Menschen, die haben jetzt Grün. Die Ampel war rot. Rechts haben sich Menschen be-wegwegwegt. Vorbei.

Mein Therapeut sieht mich an: Erzählen Sie mal.

Ich versuche einen neuen Anlauf. Es geht um diese aggressive Grundstimmung auf dem Fahrrad, sage ich. Eine Kollegin, die das Gefühl kennt, nennt es Fahrradtourette. Ich scheine damit also nicht allein zu sein. Man schimpft in Gedanken los, auf Fußgänger etwa. "Man antizipiert schon so, dass diese Idioten wieder auf den Fahrradweg springen werden", sage ich.

"Hm", sagt mein Therapeut.

Bevor ich zum Therapeuten fahre, rufe ich noch einmal beim ADFC an. Der ADFC ist der ADAC für Radfahrer.

Wie viele Kampfradler gibt es in Berlin?

Die Pressesprecherin überlegt viel weniger lang, als ich erwartet hätte.

"Höchstens 1 Prozent", sagt sie dann.

Das Wort sei eine doofe Polemik von Peter Ramsauer. Die Verhältnisse würden die Menschen zu Kampfradlern machen. Die Infrastruktur.

So wenige sind wir, frage ich, etwas enttäuscht. Weniger als 1 Prozent. Es werden doch 15 Prozent aller Wege in Berlin mit dem Rad zurückgelegt. Nur 1 Prozent Kampfradler? Ich dachte, ich sei gar nicht so allein.

Die Pressesprecherin lacht ein bisschen. Wenn man als Radfahrer ständig Rot habe, während die Autos bei Grün fahren dürfen; wenn man anhalten müsse oder ausweichen, weil ein Auto auf dem Radweg steht, "dann ärgert man sich natürlich", sagt sie. Ohnehin gebe es eine gewisse Grundaggression im Straßenverkehr. Aber viele seien es nicht.

Im Übrigen existierten auch Kampffußgänger, die den Radfahrern Stöckchen in die Speichen steckten.

So argumentieren Menschen, die sich im Recht fühlen. Mag sein, dass ich mich falsch verhalte. Aber ich verhalte mich nur falsch, weil … Ich verhalte mich also völlig zu recht falsch. Und die anderen sind noch viel schlimmer.

Man könnte jetzt natürlich überlegen, ob es demokratietheoretisch eher geboten wäre, sich in einem ADFC-Ortsverein zu engagieren, für breitere Radstreifen, für mehr von ihnen. Statt zu brüllen. Oder im Bezirksparlament für fahrradfreundlichere Politik zu protestieren.

Aber brüllen ist deutlich weniger mühsam und macht auch mehr Spaß.

"Wir machen manchmal den Fehler, zu denken, dass wir einer sind", sagt mein Therapeut. "Wir sind aber viele, wir nehmen unterschiedliche Rollen an, immer wieder."

Wind an meinen Ohren. Muskelziehen in meinen Beinen.
Und dann: ein Langsamfahrer.
Viel schlimmer als die Autos sind die Fahrradfahrer.
Weg da!
Links Laternen, viel zu nah. Überholen unmöglich. Ich komme mir vor, als würde ich im tiefergelegten Opel auf einer Landstraße hinter einem Traktor hängen und nervös Gas geben, nach links ziehen, Gas geben, runterschalten, nein, kommt schon wieder einer entgegen.
So hänge ich hinter diesem Langsamfahrer mit seinem klappernden Damenradschutzblech.

Der Technikforscher Hans-Erhard Lessing beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Fahrrädern und ihrer Entwicklung. Er hat ein paar Ideen, warum die Geschwindigkeit auf den Straßen zugenommen haben könnte. Viel mehr Männer würden jetzt Rad fahren, sie seien kompetitiver als Frauen. Sie wollten auch den Autofahrern beweisen, dass sie innerorts fast 50 Kilometer pro Stunde können.

Der Flugpionier Otto Lilienthal habe das Radfahren mit dem Fliegen verglichen, sagt Lessing, und die Bahnrennfahrer auf ihren optimalen Pisten hätten sich ja auch als Flieger bezeichnet. "Abruptes Anhalten im Verkehr kommt einer Zwischenlandung gleich", sagt er. "Die beim Anfahren zuvor investierte kinetische Energie ist futsch." Blöd.

Ich frage mich aber trotzdem, ob das alles viel friedlicher wäre, wenn es auch in Berlin oder Frankfurt oder München große Fahrradautobahnen gäbe und Luftpumpen an zentralen Kreuzungen und mehr reine Fahrradstraßen und Fußabstellplätze für Radler an Ampeln wie in Kopenhagen.

Ich frage mich, was mein persönlicher Anteil ist. Von den Verhältnissen jetzt mal abgesehen.

Es ist ja auch so: Sosehr ich die CO2-Kokons der ignoranten Rechtsabbieger anspucken oder schlagen darf, umweltrechthaberisch betrachtet, so unüberzeugend wird es, wenn ich auf die Fußgänger losgehe.

Fußgänger haben einen vertretbaren CO2-Ausstoß. Fußgänger sind in der Regel nicht verantwortlich für die Autoampeln, nicht für die Fahrradwegenge und auch nicht dafür, dass Fahrradsubventionen vom Verkehrsministerium millionenweise gekürzt werden.

"Was macht das Hochgefühl aus beim Fahrradfahren?", fragt mein Therapeut in die Stille der Altbauwohnung hinein. "Sie scheinen sich zu verändern, wenn Sie auf dem Rad sitzen."

Dieses Dahingleiten, sage ich. Man rauscht so durch die Stadt. Da ist die Geschwindigkeit, der Wind, fließender Asphalt, fließende Gedanken.

"Ein bisschen wie eine Trance? Wie ein Tagtraum?", fragt mein Therapeut. "Man ist drin und ist auch Zuschauer. Wie ein Film. Die Stadt wird zur Kulisse."

"Ja, eigentlich genau so", sage ich. Nachts beispielsweise. Alexanderplatz, Fernsehturm, Oberbaumbrücke, Lichter meiner Stadt.

"Ich habe ständig Angst, vor allem, nur nicht auf dem Rad."

Mein Therapeut muss irgendwann lachen. "Bei Ihnen ist das ganz anders als in den Klischees. Sie haben keine Angst vor Autos. Sie regen sich über Fahrräder auf und über die Fußgänger. Und wenn Sie dann im Auto sitzen, bekommen Sie Angst vor Radfahrern."

Vor mir also.

Ich beschließe, mir eine Zweitmeinung einzuholen, und rufe den Hamburger Verkehrspsychologen Jörg-Michael Sohn an.

Ich bin Kampfradler und bräuchte Ihren Rat, sage ich, wie ich mit mir als Kampfradler umgehen soll.

"Kampfradler", sagt Sohn, sei ein blöder Begriff, den dieser Ramsauer aufgebracht habe. Eine irreführende Bezeichnung für die zweitschwächsten Verkehrsteilnehmer.

Aha, derselbe Opferdiskurs wie beim ADFC.

Als Radfahrer betrachten wir uns als jemand, der anderen ein Schnippchen schlage, indem er schneller sei als Fußgänger und Autos, an denen er sich vorbeischlängle. Wenn Fußgänger oder Autos uns dann aufhalten, bricht dieses Bild. So entstehe der Frust.

Besonders groß sei der Frust, wenn es gerade mal gut lief, wenn man wirklich schneller vorankam. "Immer, wenn ich aus dem Flowzustand rausgerissen werde, dann kommt die Aggression, die Wut, das Genervtsein."

Das ist ein Radweg!, brüllen Radler, wenn Fußgänger ihn aus Versehen betreten. Runter von meinem Radweg. Runter von meinem Gehweg.

Ein Mensch verteidigt sein Territorium.

Man könne sich die Wege noch so sehr getrennt vorstellen, sagt Sohn. "Die saubere Trennung funktioniert nicht, die Wege mischen sich."

Trotzdem sieht jeder den Verkehr immer nur aus der Perspektive des Fahrzeugs, das er gerade fährt. Man fahre in der Regel auch nur eines und wechsle nicht so oft. Gerade das wäre aber nötig, um den Verkehr emotional als gemeinsame Veranstaltung vieler wahrzunehmen, um ihn als soziales System zu verstehen.

Jörg-Michael Sohn zitiert Bertolt Brecht: Ein Auto zu fahren bedeutet, drei Autos zu fahren. Das eigene, das vor mir und das hinter mir.

Müsste ich also als Therapie mehr Auto fahren? Um den Verkehr emotional als gemeinsame Veranstaltung zu verstehen? Sollte ich häufiger auf Radwegen laufen?

Ich muss an eine Frage meines Therapeuten denken. Was ist das Hochgefühl?

Das Rennen.
Ich trete. Ich rausche. Ich. Ich. Ich.

Es gebe Radler, "für die es Lebensbedürfnis ist, jeden, der ihnen in Sicht kommt, zu überholen." Wenn sich nun einer aus "demselben ,Ehrgeiz'" wehrt, "so ist eine kleine Wettfahrt fertig, ein Zweikampf, der oft recht erbittert bis zur Niederlage einer Partei ausgefochten wird".

So steht das schon im "Handbuch des gesamten Radfahrwesens", das Ende des 19. Jahrhunderts erschien, als die Fahrräder gerade massenweise auf die Straßen kamen. Ärzte stritten damals über den Schaden, den man mit so einem Rad anrichten kann.

Am Ende seien beide Kämpfer meist ausgepumpt und völlig fertig, steht da.

So komme ich morgens oft an meinem Schreibtisch an. Sehr entspannt. Du bist ja ganz nass, sagt dann manchmal jemand.

Johannes Gernert 32, ist sonntaz-Redakteur
Er fährt wirklich so.