Mit dem Kopf mittendrin
Die Helmkamera
Foto: Benny Zenga">
Lucas Brunelle signiert als "racer | cinematographer" und nutzt seinen Kopf zum Transport aufwendiger Filmtechnik
Foto: Benny Zenga
Ein Freund hatte eine Kamera auf seiner Schulter befestigt und filmte in Boston die Critical Mass Demo. Ich sah diese Aufnahmen, und im gleichen Augenblick war ich mit dem Kopf mitten in all den Rennen, an denen ich teilgenommen hatte. Wie würde es sein, mitten in einem Alleycat (innerstädtische Radrennen von Fahrradkurieren) filmen zu können, Taktik und Rennverläufe Menschen zeigen zu können, die noch nie Rennen gefahren sind?
Die ersten Versuche mit meinem Helmkamera-System erforderten noch eine Menge Klebeband und Tupperware-Deckel, um alles gerade auf dem Kopf zu behalten. Einige Filmchen später wurde mir klar, dass ich über diese mühsam zusammengepflasterten Technik hinauskommen musste.
Das Gewicht von zwei Camcordern auf meinem Helm drückte auf den Nacken. Ich musste Gewicht sparen und testete deshalb kleinere Minikameras. Aber die Scheiß-Kameras nahmen meistens gar nichts auf – weil ständig irgendwelche Probleme mit Kabeln oder Batterien auftraten. Schluss war mit diesen Dingern, nachdem ich ein Riesen-Alleycat in New York fuhr und alle Beteiligten danach bitter enttäuschen musste. Ich entdeckte erst am Ende des Rennens, dass sich ein Kabel der Kamera bereits früh gelöst hatte und vom Rennen keine einzige Aufnahme vorhanden war.
Jetzt arbeite ich mit zwei Helmkameras, eine filmt nach vorne, die andere nach hinten. Die ganze Konstruktion wiegt knapp 5 Kilo.
Das Filmen
Zuerst filmte ich meinen Freund Kevin auf Touren in Boston, danach kamen ein paar Aufnahmen bei kleineren Rennen. 2003 fuhr ich mit Freunden nach New York, um an einem "Drag Race" genannten Alleycat teilzunehmen. Als ich mich auf das Rennen vorbereitete, fragte ich meinen Freund Craig, ob ich das Rennen filmen solle oder lieber versuchen, es zu gewinnen. Craig antwortete mit "Verdammt noch mal, natürlich filmst du es!". Ich befestigte meine Helmkamera, und los gings. Das Rennen war schier unglaublich, die Fahrer waren großartig. Wir kamen nicht nur ziemlich rasant über den Times Square, das ganze Rennen verlief enorm schnell und hochinteressant.
Mit aufwendiger Filmtechnik, die er auf dem Kopf trägt, dreht er weltweit irrsinnig anmutende (und alles andere als verkehrsgerechte) Filme
Foto: Videobild von Lucas Brunelle
Bald lernte ich, wie die Kamera meine Fahrweise veränderte. Ich passte meinem Fahrstil an. Solange ich Rennen fuhr um zu gewinnen, musste ich nur darüber nachdenken, meiner Ideallinie treu zu bleiben – egal, ob ich einem anderen Fahrer folgte oder mich durch den Straßenverkehr wühlte. Als Filmer musste ich mich plötzlich um das ganze Rennen kümmern, um alles, was darum herum passiert: Autoverkehr, Fußgänger direkt vor mir, Rennfahrer überall, die Stadt an sich. Nachdem ich zusätzlich eine nach hinten gerichtete Kamera am Helm befestigt hatte, musste ich auch noch weit voraus fahren, um die anderen Fahrer ins Bild zu bekommen.
Nach der Pleite mit den Minikameras hatte ich mich mit dem zusätzlichen Gewicht auf meinem Schädel abgefunden. Ich begann damit, die Nackenmuskeln zu trainieren, und ich versuchte, meinen "7. Sinn" stärker einzusetzen. Gerade an Straßenkreuzungen und Einmündungen war es nun wegen der Kameras vorbei mit Kopfdrehen, -schütteln, -nicken. Außerdem trainierte ich Fallen und Abrollen, um nach Stürzen nicht nur mich, sondern auch die Kameras zu schützen. Mit zwei großen Mickymouse-Ohren Purzelbäume schlagen zu können vermittelt einem Fähigkeiten, die einen Unfall tatsächlich vermeiden könnten.
Bald hatte ich mein System soweit perfektioniert, dass ich Einladungen aus der ganzen Welt bekam. Dadurch bin ich ziemlich weit herumgekommen und habe jedes Jahr einen ganzen Haufen Rennen und Fahrten aufgenommen.
www.lucasbrunelle.com
Übersetzung: Peter Sauer