Stilechte Picknickpause auf stillgelegten Bahngleisen
Foto: Christian Martens
Bahntrassen in Eifel und Ardennen
Zunächst einmal wiederhole ich mich. Meine Begeisterung für Bahntrassenradwege kann dem langjährigen Leser von Frankfurt aktuell nicht verborgen geblieben sein, denn ich habe sie an dieser Stelle bereits mehrere Male zum Ausdruck gebracht. Erfreulich also, dass nicht nur in Deutschland die Neigung groß ist, ehemalige Bahnstrecken zu hochwertigen Radwegen umzubauen.
In den letzten 15 Monaten ist die Zahl der Radwegempfehlungen der obersten Kategorie vonseiten Achim Bartoscheks, der seine Klassifizierung auf seiner Website www.bahntrassenradeln.de zum Besten gibt, um weitere acht auf nunmehr 30 angestiegen. Auch in Belgien hat man erkannt, dass sich auf diese Weise der Tourismus in strukturschwachen Regionen kräftig fördern lässt. Dort entsteht derzeit auf der ehemaligen Vennbahn einer der längsten Bahntrassenradwege Europas mit einer Gesamtlänge von 125 Kilometern. Dieser Weg führt neben Deutschland und Belgien auch durch Luxemburg (www.vennbahn.eu).
Die Vennbahn hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Ursprünglich verband sie die Industriezentren von Aachen-Rothe Erde mit dem Norden Luxemburgs. Dabei verlief die Strecke auf dem kürzesten Weg quer durch die Westeifel und das Hohe Venn. In erster Linie diente die Vennbahn dem Transport von Kohle in Richtung Luxemburg und von Eisenerz in die Gegenrichtung. Infolge der Grenzziehung nach dem Ersten Weltkrieg wechselte sie mehrfach von deutschem auf belgisches Staatsgebiet und zurück. Es wurde festgelegt, dass der belgische Staat Eigentümer der gesamten Eisenbahnstrecke mitsamt ihren Bahnhöfen sein sollte. Der Güterverkehr ging schon zwischen den Weltkriegen stark zurück. Nach starken Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg war die Strecke nicht mehr durchgehend befahrbar und verlor zusehends an Bedeutung.
Einige Abschnitte der Eisenbahnstrecke wurden schon vor längerer Zeit zu einem Radweg umfunktioniert. Seit 2010 wird intensiv am durchgehenden Ausbau gearbeitet. Zwar war zum Zeitpunkt des Beginns unserer Reise im Spätsommer die Fertigstellung des Ausbaus erst für das Jahr 2013 angekündigt, doch meine Ungeduld war groß. Daher startete ich mit zwei Freunden von Wasserbillig aus eine fünftägige Rundtour mit Aachen als nördlichstem Punkt. Neben der Vennbahntrasse, von der zurzeit rund 100 Kilometer befahrbar sind, bezogen wir zahlreiche weitere Bahntrassenradwege in Deutschland, Belgien und Luxemburg in unsere Route mit ein. Letztere sind an mehreren Stellen grenzüberschreitend vernetzt, sodass die Abschnitte, die wir auf Straßen und konventionellen Radwegen verbrachten, sehr kurz ausfielen.
Aufgrund der anspruchsvollen Topografie der Gegend waren die Ingenieure beim Bau der Eisenbahntrassen seinerzeit sehr gefordert. Ohne Tunnel und Viadukte kamen sie nicht aus, und so passierten wir ebensolche in größerer Zahl. Eine vergleichbare Häufung gibt es in keiner anderen Region Deutschlands. Am Lengeler Tunnel jedoch, am südlichen Zipfel der Vennbahn gelegen und die belgisch-luxemburgische Grenze unterquerend, stockte der Ausbau wegen Fledermauspopulationen. Der Lengeler Tunnel wird nach seiner Fertigstellung mit 790 Metern Länge der zweitlängste Radtunnel Mitteleuropas sein.
Doch zu früh dran – noch nicht freigegeben, aber trotzdem passierbar
Foto: Christian Martens
Die Vennbahn selbst schlängelt sich von Aachen aus in großen Schleifen in die Höhe. Über eine Distanz von knapp 40 Kilometern sind 400 Höhenmeter zu überwinden. Bei Sonnenschein spürt man diese Schleifen in besonderer Weise: Dank ihnen blieb uns ohne Aufhebens ein einseitiger Sonnenbrand erspart. Sobald sie die Anhöhe hinter sich gelassen hat, passiert die Vennbahn in nicht einmal 10 Kilometern Entfernung Botrange, den höchsten Punkt Belgiens, inmitten einer großen Hochmoorfläche gelegen und auf jeden Fall einen Abstecher wert. Nach gut 50 Kilometern endet derzeit noch die ausgebaute Strecke. Sie bietet Radfahrern besten Untergrund, zudem haben innerörtliche Nebenstraßen, die den Radweg kreuzen, den Radfahrern die Vorfahrt zu gewähren. Was will man mehr? Es folgt das noch im Bau befindliche Stück, das derzeit noch umfahren werden muss. Der südliche Teil der Vennbahn führt, im Wechsel leicht steigend und leicht fallend, zuweilen asphaltiert, zuweilen geschottert, durch dünn besiedelte Landschaft. Auf den letzten 15 Kilometern, so war uns im Internet versprochen worden, sollten die Bauarbeiten rechtzeitig abgeschlossen sein. Dem war leider nicht so, aber abgesehen von den wenigen Brücken, denen noch Geländer und endgültiger Belag fehlten, und dem schon erwähnten Lengeler Tunnel genügte der Wegabschnitt durchaus höchsten Ansprüchen.
Neben der Vennbahn ist in der Region auf deutscher Seite die Anbindung von Pronsfeld an die Vennbahn besonders erwähnenswert: Auf einer Gesamtlänge von 20 Kilometern verläuft der Radweg großenteils ohne nennenswerte Steigungen durch abgeschiedene Täler, die neben dem Weg wenig mehr umfassen als natürlich vor sich hin mäandernde Bäche und Ansiedlungen von Bibern. Ebenfalls erwähnenswert ist der zwischen Neuerburg und Pronsfeld gelegene Enztalradweg. Er schlängelt sich über eine Länge von 23 Kilometern durch die Landschaft, wobei er 200 Höhenmeter steigt und 150 Höhenmeter fällt. So wird auf bahntrassentypische Art vom Enztal ins Prümtal gewechselt.
In Belgien südlich des Hohen Venns lohnt sich der Abstecher Waimes–Trois-Ponts. Dort rollt man auf hervorragendem Asphalt gut 20 Kilometer lang 260 Höhenmeter bergab. Auf diesem Streckenabschnitt waren wir bei herrlichstem Sonnenschein, also sozusagen unter Laborbedingungen, an einem Sonntagmorgen unterwegs und damit keineswegs allein. Von Rennradgruppen bis hin zu Familien mit Kinderanhänger tummelte sich hier alles, was gerne radelt, und das zeigte eindrucksvoll, welch hohe Akzeptanz ein Radweg erreicht, der so gut gemacht ist wie eben jener beschriebene.
Als südliche Ergänzung zur Vennbahn, mit einer Passage von nur etwa 5 Kilometern Länge auf der Straße dazwischen, eignen sich die beiden Bahntrassenradwege Gouvy–Bastogne und Bastogne–Wiltz, die miteinander verknüpft sind und in der Summe gute 40 Kilometer messen. Zunächst geht es ohne nennenswerte Steigungen und Kurven nahezu meditativ über die Hochebene der Ardennen, dann kontinuierlich bergab ins romantische Tal der Wiltz, das mit der stolzen Zahl von vier Tunneln in Folge aufwartet.
Summa summarum also eine überaus lohnende Region. Es müssen ja nicht gleich die 625 Kilometer sein, die wir zurückgelegt haben. Auch kleinere Runden oder eine Streckentour von Nord nach Süd lassen sich denken. Auf jeden Fall war es nicht das letzte Mal, dass ich dort mit dem Rad unterwegs war.
Was ist noch anzumerken? Es überrascht die geringe Empfänglichkeit der Region für die Notwendigkeiten des Marketings. Nirgends fanden wir einen lockenden Hinweis der örtlichen Gastronomie, nirgends eine Ankündigung einer Übernachtungsmöglichkeit. Auch die lokalen Fahrradhändler scheinen darauf zu vertrauen, dass sie im Fall des Falles schon gefunden werden. Dieses Manko wird kompensiert durch die Freundlichkeit der Leute. Sobald wir uns mit suchenden Blicken umschauten, wurden wir angesprochen und gefragt, woran es denn fehle. Und dann bekamen wir genau die fachkundigen Informationen, die wir vermisst hatten: wo ein Café, Hotel oder Fahrradladen zu finden ist. So erreichten wir letztlich doch stets unser Ziel.
Weitere Infos zu den Bahntrassenradwegen der Region sind im Radmagazin Eifel 2013 zu finden (auf der Webseite www.eifel.info/prospektbestellung.htm bestellen oder online lesen).
Christian Martens