Augen auf beim Radeln!
Eine dieser "Burgen stolz und kühn" ist die Rudelsburg bei Bad Kösen; Wolken ziehen darüber hin und Güterzüge fahren vorbei. Ein Schild trägt die Inschrift "Nidda", und auch bis zum Himmelreich sind es nur 1400 Meter, allerdings bergauf - natürlich. Weitere Fotos gibt es hier nicht, aus Gründen der Diskretion. Denn die folgende Geschichte ist wirklich wahr!
Das mittlere Saaletal fehlt mir noch in meiner Sammlung. Also fahre ich eines Tages von Kahla in Thüringen über Jena nach Naumburg in Sachsen-Anhalt auf dem Saaletal-Radweg. In Kunitz bei Jena ist eine Brücke gesperrt, über die ich glaube fahren zu müssen. Ich folge stattdessen einem Feldweg saaleabwärts, ohne meine Karte zu konsultieren. Irgendwo wird's schon hingehen, denke ich. Der Weg wird schlechter, ich bin mutterseelenallein, kein Mensch, kein Haus weit und breit, nur Feldweg und Getreide. Ständig muss ich den zahlreichen Pfützen ausweichen. Aber nichts und niemand kann mir mein Recht streitig machen, mich ordentlich zu verfahren!
Urplötzlich - ich weiche gerade einer Pfütze nach rechts aus - dicht hinter mir quietschende Bremsen und ein dumpfes Geräusch. Ich erschrecke furchtbar, drehe mich um und sehe zwei junge Männer mit Mountain-Bikes. Der erste berührt mit seinem Vorderrad mein Hinterrad, der zweite liegt mitsamt seinem Rad im Graben zwischen Weg und Getreide.
Ich entschuldige mich: Ich habe nichts gehört! Kein Problem, sie hätten Schuld, wollten rechts überholen und könnten sich nicht beschweren. Es sei eben ihre erste gemeinsame Radtour. Na denn man zu, gute Fahrt!
Sie fahren weiter, ich hinterher. Nach etwa zwei Kilometern kommen mir beide wieder entgegen, ein Nebenfluss blockiert den Weg. Wir beraten gemeinsam. Der kurz vorher Gestürzte ist modern ausgerüstet und hat ein Navigationsgerät. Er sagt, da oben im Wald sei die Straße, sie wollten durchs Gelände dorthin fahren und zur Not schieben. Ich sehe (ausnahmsweise) auf meine Karte und bestätige: Dort sei tatsächlich eine Straße, aber mir sei das Gelände zu unübersichtlich. Die beiden jedoch wollen starten. Plötzlich ein Schrei und ein dumpfer Fall. Vor mir steht nur noch ein Radler (der ohne Navi), der andere ist spurlos verschwunden! Und siehe da: Er liegt samt Rad in einem Graben, etwa 1,5 Meter tief und breit, mit steilen Wänden und im hohen Gras verborgen. Er habe nur auf sein Navi geschaut, und da sei der Graben nicht drauf! Er rappelt sich mühsam auf, ist verdreckt, aber glücklicherweise unverletzt. Beide fahren weiter, ich rufe hinterher: Nochmal gute Fahrt, und Augen auf!
(Spontan fällt mir ein: Vor kurzem bog einer meiner Radlerfreunde von der Elbe irrtümlich an den Elbe-Seitenkanal ab, weil er ständig auf seine Karte am Lenker starrte und nicht bemerkte, dass der vermeintliche Fluss gar nicht mehr floss...)
Wie orientiert sich also ein abgebrühter Reiseradler, wenn er nicht im Graben landen will? Mit einer Radkarte (ein Blick vor dem Start genügt meist), mit Rad-Wegweisern, der Sonne, dem Wind, dem Gelände, Straßen, Bahnlinien, mit Fließgewässern, ausnahmsweise auch mal mit Fragen an Passanten. Nie jedoch mit Navigationsgerät und nur hin und wieder unterwegs mit einer Landkarte. Er fährt eben mit seinen fünf Sinnen!
(Übrigens: Ich werde künftig auf Radtouren, die ich leite, die Benutzung von Navis während der Fahrt untersagen.)
Günther Gräning