Bett+Bike und Bike+Business, zwei erfolgreiche Projekte des ADFC Hessen
Fotos: ADFC Hessen (Bett+Bike), Rolf Oeser
Immer in Bewegung
Am 20. August 1986 gründete sich der ADFC Landesverband Hessen. Ein Rückblick auf zweieinhalb Jahrzehnte Engagement rund ums Rad.
"Wunderbar - so muss es sein", dachte ich, bereits etwas ins Schwitzen gekommen, an einer besonders schönen Wegstelle: Das Zwitschern der Vögel und das Plätschern des Bachs hören, dabei immer fitter werden - und das mit meinem Klapprad auf dem Weg zur Arbeit. Allerdings war es sehr gewagt, Anfang der 80er Jahre mit dem Rad nicht nur um Kassel herum, sondern auch mitten durch die Stadt zu fahren. 30 Meter breite, für Autos optimierte Fahrschneisen, auf denen fürs Rad kein Platz mehr war. Kassel wurde zu einer Hochrisikozone für Radfahrer.
In Bremen hatte sich 1979 der ADFC Bundesverband gegründet, und dessen Ortsgruppen sprossen überall wie Pilze aus dem Boden. Die Aktiven machten sich daran, Löcher in die dicken Bretter der Verkehrspolitik zu bohren, Routen für lokale Radtouren zu erarbeiten und Wissen rund ums Rad zu sammeln, um es weiter zu verbreiten. Als regionale ADFC-Plattformen bildeten sich eigenständige Bezirksvereine, so zum Beispiel der ADFC Rhein-Main. Diese Struktur funktionierte gut, hatte aber den Nachteil, dass auf Landesebene gegenüber der Politik eine einheitliche, legitimierte ADFC-Vertretung fehlte. So kam es 1986 zur Gründung des Landesverbands Hessen.
Galt den einen eine fahrradfreundliche Verkehrspolitik als Hauptziel, schrieben sich die anderen den Radtourismus auf die Fahnen. Während manche schon Erfahrungen in politischen Gremien gesammelt hatten, waren andere hiervon völlig unbeleckt. Somit war Integration und Vernetzung das Gebot der Stunde. Das hieß: Immer in Bewegung sein, um möglichst viel zu bewegen! Alle vier bis sechs Wochen hielten wir zweitägige Vorstandssitzungen in einem anderen hessischen Kreisverband ab. Kost und Logis waren meist privat organisiert. Während der üblichen Fahrradtour mit dem jeweiligen Kreisverband schauten wir uns die örtlichen verkehrspolitischen Probleme an und diskutierten ausgiebig - auch das Einmaleins der Interessenvertretung: Wer sind die Verantwortlichen in Behörden und Kommunen? Mit welchen Strategien kriegt man Türen und Köpfe dieser Leute auf? Gibt es die Möglichkeit zu Gesprächen? Wann und wie geht man an die Presse?
Neben der politischen Interessenvertretung gewannen ab Mitte der 90er Jahre eigenständige, nutzerorientierte Projekte an Bedeutung: "Rad & Bett" hieß eine kleine Adress-Sammlung fahrradfreundlicher Unterkünfte des Bundesverbands. Der Landesvorstand erkannte in "Bett+Bike", wie das Projekt heute heißt, die Chance, die radtouristische Infrastruktur zu verbessern und sich selbst hier stärker zu positionieren. Eine Erfolgsgeschichte begann: In Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland betreut der ADFC Hessen heute über 1.000 Bett+Bike-Betriebe, ein Fünftel aller fahrradfreundlichen Unterkünfte in Deutschland.
Ab 1993 streckte der Landesvorstand seine Fühler in Richtung Hessisches Wirtschaftsministerium und Tourismusverband aus, um die Arbeitsgemeinschaft Hessische Radfernwege mitzugestalten. Ziel war die Entwicklung eines an ADFC-Kriterien orientierten Routennetzes. Dass der ADFC Hessen sein Know-how in der AG überzeugend einbrachte, sollte sich im Jahr 2004 auszahlen: Das Land Hessen übertrug dem ADFC die Realisierung einer einheitlichen Wegweisung, Qualitätsverbesserung und -sicherung für das heute über 3.300 Kilometer umfassende Netz der Hessischen Radfernwege. Fertig war die neue Wegweisung mit insgesamt 14.000 Schildern im Frühjahr 2009.
2002 startete in Kooperation mit dem Regionalverband Frankfurt/Rhein-Main das Projekt bike + business. Den Kern bildet das ADFC-Projektbüro, das Firmen und Kommunen gezielt zu Infrastruktur, Kommunikation und Routenplanung berät, damit die Menschen vom Auto aufs Rad umsteigen. Zu den heute rund 20 Partnerunternehmen zählen die Bundesbank, der Deutsche Wetterdienst oder auch die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Seit 2011 gehört auch der Zweckverband Raum Kassel zu den Partnern.
Inzwischen betritt der ADFC Hessen im Rahmen einer Kooperation mit dem Institut für Humangeografie der Frankfurter Goethe-Uni sogar akademisches Neuland. Das von uns geleitete Projekt "Fahrradmobilität in Hessen" untersucht, mit welchen Strategien sich in den kommenden Jahrzehnten der heutige Fahrradverkehrsanteil verdoppeln oder gar verdreifachen lässt.
Anfang der 90er Jahre gab es in Hessen weniger als 5.000 ADFC-Mitglieder, heute sind es über 11.000. Die Aktiven sind häufig die etwas älteren Mitglieder. Dies hat damit zu tun, dass ein 35-Jähriger durch Anforderungen in Beruf und Familie weniger Freizeit besitzt als ein 60-Jähriger. Heute 35-jährige passive Mitglieder stoßen in 10 oder 20 Jahren wieder als Aktive zu uns, wenn die Kinder aus dem Haus sind und sie beruflich fest im Sattel sitzen. Das ist auch gut so, denn unsere Reihenfolge lautet: Familie, Beruf, Ehrenamt. Ohne diese Rücksichtnahme würden wir Konflikte im sozialen Umfeld unserer Aktiven provozieren.
Rücksichtnahme steht freilich nicht nur einem Landesvorstand gut an. Beim Hessentag in Oberursel kamen, dank kompetenter Unterstützung durch den ADFC, Radfahrer, Fußgänger und andere Verkehrsteilnehmer mit etwas Gelassenheit hervorragend miteinander aus. Wunderbar, kann man dann nur sagen, so muss es sein!
Volkmar Gerstein, Landesvorsitzender ADFC Hessen