Was sich Radfahrer wünschen
und die Politik jetzt tun muss
Unter diesem Titel erschien am 19.4.2010 in der Frankfurter Neuen Presse ein Interview mit Fritz Biel, das wir mit freundlicher Genehmigung der Zeitung im Wortlaut abdrucken. Die Fragen stellte Günter Murr.
Fritz Biel ist mit den jüngsten Fortschritten bei der Radverkehrsförderung zufrieden. Doch noch läuft aus Sicht des ADFC nicht alles rund.
Fahrradfahren ist «in». 14 Prozent aller Wege werden in Frankfurt mittlerweile mit dem Rad zurückgelegt. Vor zehn Jahren war der Anteil nur halb so hoch. In einer Serie wird die FNP in den nächsten beiden Wochen die neue Lust aufs Rad in allen Facetten beleuchten. Zum Auftakt sprachen wir mit dem verkehrspolitischen Sprecher des Frankfurter ADFC, Fritz Biel.
Der Radverkehrsanteil in Frankfurt hat sich in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt. Woran liegt das?
Biel: In den letzten 20 Jahren haben eine ganze Menge Leute in dieser Stadt eine ganze Menge richtig gemacht in Bezug auf den Radverkehr.
Zum Beispiel?
Biel: Es gibt die Radverkehrskonzeption von 1992, es gibt die politische Unterstützung, mittlerweile von allen Fraktionen. Das ist ein ganz wesentlicher Faktor. Aber auch in der Verwaltung hat sich eine Menge getan zugunsten des Radverkehrs.
Wie hat sich diese politische Unterstützung ausgewirkt?
Biel: An allererster Stelle ist der Beschluss von 2002 zu nennen, bis 2012 einen Radverkehrsanteil von 15 Prozent anzustreben. Das wurde damals als Phantasterei abgetan. Heute kann man sagen, dass wir dieses Ziel auf jeden Fall erreichen werden, wahrscheinlich sogar vor 2012. Darüber hinaus hat das Parlament viele wegweisende Beschlüsse gefasst, die aber teilweise noch auf ihre Umsetzung warten.
Ist die Infrastruktur überhaupt auf einen großen Zuwachs beim Radverkehr ausgelegt?
Biel: Der Zuwachs ist schneller als der Ausbau der Infrastruktur. Es passiert ja eine ganze Menge in Frankfurt, und das geht ja nicht immer vom Radverkehr aus. Aber der Radverkehr wird immer besser berücksichtigt. An der Flößerbrücke zum Beispiel ist ein erheblicher Teil des Aufwands beim Umbau der Kreuzung am nördlichen Mainufer in die Verbesserung der Fahrrad-Infrastruktur gegangen.
Auf der Brücke ist sogar eine Fahrspur weggefallen …
Biel: Ja, da tut sich auch das eine oder andere. Am Deutschherrnufer wird auf Kosten einer Fahrbahn die Lücke im Radweg auf dem Hochkai geschlossen. Für die Wilhelm-Epstein-Straße gibt es schon seit Jahren den Beschluss, sie von vier auf zwei Fahrspuren zu reduzieren, um Fahrradstreifen anlegen zu können. Das sind nur einige Beispiele.
Oft kommt der Vorwurf, der Radverkehr werde einseitig bevorzugt.
Biel: Das kann man wirklich nicht sagen. Wir haben 15 Prozent Radverkehrsanteil, aber in den Radverkehr fließen nicht 15 Prozent der Verkehrsinvestitionen. Wir haben da einen erheblichen Nachholbedarf. Deshalb kann man da nicht von einer Privilegierung sprechen. Aber Autofahrer empfinden es natürlich als Bevorzugung, wenn Radfahrer am Stau vorbeifahren können.
Bei den Einbahnstraßen gibt es diese Diskussion ja auch.
Biel: Da muss man erst einmal zur Kenntnis nehmen, dass das Problem verursacht wurde durch Autofahrer, die sich Schleichwege durch die Wohngebiete gesucht haben. Darauf hat die Stadt mit der Einrichtung gegenläufiger Einbahnstraßen reagiert. Insofern wird da nur Reparatur betrieben, wenn die Einbahnstraßen für den Radverkehr geöffnet werden.
Hat sich die Regelung bewährt?
Biel: Ja, die Erfahrungen sind eindeutig positiv. Es gibt keine auffälligen Unfallzahlen in diesem Zusammenhang. Ich halte die Öffnung der Einbahnstraßen für einen der wichtigsten Gründe für die Zunahme des Radverkehrs. Ich kann meine Ziele jetzt viel direkter als mit dem Auto erreichen.
Sind Sie zufrieden mit den Baumaßnahmen für den Radverkehr?
Biel: Vor einigen Jahren, 2000 oder 2001, wurde darauf geachtet, sehr gute Standards zu verwirklichen. Aber danach gab es Rückschläge. Bei Investoren-Planungen wie bei der Allianz am Theodor-Stern-Kai oder bei der Welle am Reuterweg wurden die Belange des Radverkehrs nicht berücksichtigt. Vor allem die saubere Trennung von Geh- und Radwegen wurde den Vorstellungen der Bauherrn geopfert. Da sind wir immer noch sehr unzufrieden. Schon 2002 hat das Stadtparlament den klaren Beschluss gefasst, dass der Magistrat zusammen mit dem ADFC Standards erarbeiten soll
für die Planung und den Bau von Radverkehrsanlagen. Sieben Jahre später ist noch immer nichts passiert. An einigen Stellen ist die Umsetzung doch sehr unzureichend.
Zum Beispiel?
Biel: In der Kaiserstraße sind die neu angelegten Radwege kaum erkennbar. Zwischen Geh- und Radweg gibt es da kaum einen Unterschied.
Derzeit wird über die Entwicklung der Innenstadt diskutiert. Werden da die Radfahrer ausreichend berücksichtigt?
Biel: In der Innenstadt gibt es keine klare Linie. Wenn der Radverkehr irgendwo stört, wird er der Fußgängerzone zugeschlagen. Gleichzeitig haben wir die Debatte, dass die Radfahrer dort stören. Es gäbe aber in der Innenstadt gar kein Durchkommen mehr, wenn nicht die Fußgängerzonen mitbenutzt werden dürften.
Ist es nicht ein Problem, wenn sich Fußgänger und Radfahrer den gleichen Raum teilen?
Biel: Es ist kein Problem, wenn es richtig gemacht wird und sich auf die Situationen beschränkt, wo es sinnvoll ist. Leider ist es der Normalfall, dass sich Fußgänger und Radfahrer die schmalen Randflächen teilen müssen. Ich denke, davon müssen wir wegkommen. Zum Teil geschieht das schon, wenn markierte Streifen für Radfahrer auf der Fahrbahn angelegt werden, was sicherer ist und ein flotteres Vorankommen ermöglicht.
Warum sind die Streifen sicherer?
Biel: Das Fahren auf der Fahrbahn ist in vielen Situationen sicherer als der abgesetzte Radweg neben dem Gehweg, wo es viel Konfliktpotenzial gibt: Fußgänger achten nicht auf Radfahrer, Autos kommen aus Einfahrten heraus, an Kreuzungen ist die Sicht schlecht.
Trotzdem haben viele Radler Angst, direkt neben den Autos zu fahren.
Biel: Das ist richtig. Es ist der Wunsch da, etwas abseits vom Autoverkehr unterwegs zu sein. Deshalb treten wir dafür ein, dass auch Fahrradrouten abseits der Hauptstraßen angelegt werden.
Ist Radfahren in Frankfurt gefährlicher als in anderen Städten?
Biel: Darüber sind mir keine Erkenntnisse bekannt. Unfälle haben meist ganz konkrete Ursachen. Oft sind es schlechte Sichtbeziehungen. Der tödliche Unfall in der Hanauer Landstraße im vergangenen Jahr ist ein typisches Beispiel für eine Fehlplanung. Da ist eine neue Straßeneinmündung gebaut worden, ohne dafür zu sorgen, dass die Radfahrer, die hinter der Litfasssäule herauskommen, rechtzeitig gesehen werden. Zum Glück haben wir in der Stadt mittlerweile aber auch hervorragende Planer, die viel Erfahrung mit dem Radverkehr haben. Wir sind sehr dankbar, dass eine alte ADFC-Forderung erfüllt und bei der Stadt das Radfahrbüro eingerichtet wurde – auch wenn noch nicht alles so glatt läuft, wie wir uns das wünschen.
Was muss als Nächstes gemacht werden?
Biel: Wichtig ist, dass wir bei der Schaffung der Fahrradrouten schneller vorankommen. Es ist ganz wichtig, dass wir ein stadtweites Netz aufbauen von Strecken, auf denen ich relativ geschützt vor den Belästigungen des Autoverkehrs meiner Wege ziehen kann. Eine Reihe von Routen ist umgesetzt, so richtig durchgängig ist das aber immer noch nicht überall. Es gibt eine lange Liste von Projekten, die auf die Umsetzung warten. Wir würden uns wünschen, dass da mehr Kontinuität hineinkommt. Von der Vorplanung bis zur Umsetzung vergehen immer noch zehn Jahre.
Worüber ärgern sich Frankfurts Radler am meisten?
Biel: Baustellen, Falschparker und die Sondernutzungen im öffentlichen Raum zählen sicher dazu. In den letzten Jahren werden immer mehr Bürgersteige für Außengastronomie zweckentfremdet, und die Fußgänger laufen dann auf dem Radweg. Bei den Baustellen ist das Problem, dass die Kontrollen völlig unzureichend sind. Wichtige Fahrradrouten werden über Jahre blockiert, ohne dass eine vernünftige Alternative ausgeschildert wird. Da wird der Radverkehr häufig noch immer schlicht ignoriert.
Was fehlt Frankfurt noch auf dem Weg zur fahrradfreundlichen Stadt?
Biel: Das ist eine Frage des Maßstabs. Bremen ist mit Frankfurt ganz gut vergleichbar. Die haben mittlerweile 25 Prozent Radverkehrsanteil. Das ist eine Größenordnung, die auch für Frankfurt erreichbar ist – wenn man den eingeschlagenen Weg konsequent weitergeht und auf Qualität achtet.
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