Die kleine Tour de France
Le TGV, Frankreichs Stolz auf Schienen, schafft unsere Strecke locker in zwei Stunden. Wir haben uns neun Tage Zeit gelassen, um die waldigen Hügel Lothringens zu erklimmen, die endlosen Weizenfelder und Weinberge der Champagne zu durchqueren, die Schleusen am Marnekanal zu zählen, um schließlich in Paris den Seufzer „Oh Champs Elysées!“ auszustoßen. Den unfreundlichen Bahnen beider Länder haben wir zu es zu verdanken, dass die Tour mit gehobenem Komfort dahin rollte. DB und SNCF sahen sich nicht imstande, 16 Räder auf einmal mitzunehmen zum Start in Völklingen und von Paris zurück. Das konnte nur Jean. In Frankfurt zurrte er unsere Drahtesel in seinem Transporter fest und blieb die ganze Tour in Handy-Hörweite. Während wir, beladen nur mit Tagesgepäck, unser Drei-Sterne-Tempo hielten, fand er den einzigen Supermarkt der Gegend und lieferte Käse, Wurst und Baguettes für das Picnic am Mittag. Auch sind seine Qualitäten als ortskundiger Führer und Übersetzer der Speisekarten zu rühmen. Leider jedoch verweigerte er jede Verantwortung für das Wetter in Frankreich. Der Sommer 2009 fand bekanntlich im April und September statt. Wir aber waren im Juli unterwegs. Also Regenschauer zur Begrüßung, als wir in Saarbrücken nach Völklingen umstiegen. Entsprechend (f)rostig war die Stimmung, als wir uns vor dem verwitterten Stahlwerk sammelten. Das Nieselwetter begleitete uns durch Lothringen. Dann in der Champagne wurde es auch sonnig, von einigen Gewitter-Duschen abgesehen. Aber alle neun Tage war – unangemeldet – ein 17. Teilnehmer dabei, der kräftig bis stürmisch gegen uns gearbeitet hat: der Westwind. Topografisch kann man sich unsere Tour so vorstellen: Eine Fliege klettert in einem Set von vier Schüsseln unermüdlich rauf und runter bis sie endlich die Eleuseeischen Felder findet. Für uns waren das die ersten Tage immer um die 500 Höhenmeter. So strampelten wir aus dem Saartaal hoch und rollten runter nach Metz an der Mosel. Dort Stadtbummel mit der 1. von vier Kathedralen. Warum der Stil gotisch heißt, wo ihn doch die Franzosen erfunden haben, konnten wir nicht herausfinden. Hier, wie später auch in Reims und Paris, wurden Teile der Fassaden vom Grau der Jahrhunderte befreit und erstrahlen in hellem Elfenbein. Mit dem „Grand Hotel de Metz“ verließen wir die letzte nennenswerte Stadt vor Paris. Es ging rauf auf die Höhen – einmal Verschnaufen und Weitblick genießen – und runter zur Maas. Jetzt sind wir im „weiten Frankreich“, verschlafene Provinzstädtchen und ab und an ein Dorf. In jedem erinnern Kriegerdenkmäler daran, dass wir durch die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs fahren. Dann, am Beginn der Champagne, Weizenfelder bis zum Horizont. Man könnte an die Wetterau denken, aber verglichen damit ist Frankreich hier menschenleer. Wir fangen an zu bewundern, dass Bertram und Anne hier jeden Abend eine Herberge für unseren Tross gefunden haben. Auch hat sich Bertram vorneweg nicht einmal verfahren und Anne am Schluss auch die Allerletzten den Berg hoch motiviert. Zu einem erfolgreichen Tour de France- Team gehören nicht nur die Spitzenfahrer, sondern auch die Wasserträger, die hier mal nicht namenlos bleiben sollen. Rolf, der rasende Foto-Reporter, ist die Strecke doppelt gefahren, kilometerweit voraus, um die Bergankunft aus bester Perspektive abzulichten und dann wieder ganz hinten, um die Leiden der Lahmen zu dokumentieren. Zudem fand Rolf Bertrams vom Sturm verwehte ADFC-Fahne wieder, zwei Kilometer zurück in einem Maisfeld. Dagmar blendete uns mit ihrer Kollektion von Ohrringen und Doris war für alle Wetter très chic gewandet. Ulrike fand untrüglich die beste Patisserie am Platze und der Unterzeichnete roch mit seiner Café-Nase jede Bar, die mittags geöffnet hatte. Einmal noch hoch und runter zur Marne und dann eben bis Paris. Von wegen. Denn nun nähern wir uns, nach zwei Tagen Weizen-Hügeln, den Weinbergen der Champagne, die natürlich überquert und nicht umfahren sein wollen. So haben wir ergiebig die sonnigsten Lagen von unten und oben gesehen. Da oben, mitten zwischen den Reben, die seit 250 Jahren der Witwe Cliquot gehören, empfing ins Jean und zauberte aus seinem Wagen eisgekühlten Champagner hervor. Santé.
So aufgemuntert schafften wir auch noch die letzen Hügel zum Dorf Cui, das oberhalb der Champagner-Metropole Epernay liegt. Hier im Weingut „Le Domaine du Chateau“ waren die Dächer frisch gedeckt, so dass die Gewitter uns nichts anhaben konnten. Den folgenden „Ruhetag“ nutzten die Sportlichen für eine Radtour nach Reims (100 km, 800 Höhenmeter). Die anderen nahmen den Zug und alle trafen sich natürlich – vor der Kathedrale, der 2. und schönsten gotischen (Meaux lasse ich aus, und Notre Dame kennt jeder). Die Zugfahrer habe dann gerade noch die letzte Kellerführung bei Moet & Chandon in Epernay geschafft. Dort lagern in vier Etagen in endlos langen Felsengängen 130 Millionen Flaschen Champagner. Wir haben sie nicht ganz ausgetrunken. Für 14 Euro Eintritt gab’s für jeden nur ein kleines Glas.
So angefeuert laufen wir schon einen Tag vor der Tour de France zum Finale in Paris ein. Ungedopt und nun bei herrlichem Sommerwetter. Die zweite Sensation: Wir haben unser Hotel beim Gare de L’Est lebendig und heil erreicht. Nicht nur, weil es einen schönen Radweg am Kanal de L’Ourq entlang bis in die Stadt gibt. Sondern weil Paris sich sehr bemüht, fahrradfreundlich zu werden. Weiter getestet haben wir das nicht, weil Jean unsere Räder sicherheitshalber gleich eingeschlossen hat. Wir flanieren per pedes durch Paris und über die Champs Elysées. Die waren bereits geflaggt und die Flics in Galauniform standen Spalier. Allerhand Aufwand für unsere kleine Tour de France. Aber schön. Wehrhart Otto
Von Völklingen (links) nach Paris (rechts). Über Hügel, Picknick, Gotik, Käse. Unter Aufsicht. Und oft wartend (hier der hungrige Autor). Fotos: Rolf Peters |