Skip to content

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main   

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

Artikel dieser Ausgabe

Alles Express oder was?
Oder: Die hohe Kunst der Fahrradroutenplanung

Die Kunst der Kommunikation besteht manchmal schlichtweg darin, einen Namen zu erfinden für eine Sache. Es gibt sicher nicht allzu viele in dieser Stadt, die auf Anhieb den Unterschied zwischen einem Radweg und einer Fahrradroute benennen können, aber unter Expressrouten kann sich offensichtlich jeder etwas vorstellen. Den Eindruck musste jedenfalls gewinnen, wer die Berichterstattung anlässlich der Vorstellung der sogenannten Speer-Studie („Frankfurt für alle“) Anfang Februar verfolgte.

Kaum ein anderer Teil des 250-Seiten-Papiers fand so viel Widerhall, wie der Vorschlag der Autoren, in Frankfurt ein Netz von „Expressrouten“ für den Radverkehr auszuweisen. Inzwischen mehren sich die Fragen. Was ist damit gemeint? Was ist das Ziel? Was ist neu an dem Vorschlag? Was ist der Unterschied zu dem 1992 beschlossenen und seitdem als Leitplanung verfolgten Konzept eines stadtweiten und regionalen Fahrradroutennetzes (Radverkehrskonzeption Frankfurt am Main)? Der ADFC hat sich auf die Suche nach Antworten gemacht.
Schon im letzten Heft von ADFC Frankfurt aktuell war eine kurze Einschätzung zur Speer-Studie zu lesen, die grundsätzlich sehr positiv ausfällt.
Mit dem Vorschlag eines Netzes von „Expressrouten“ hat die Speer-Studie schon jetzt zumindest eines erreicht: Sie hat das Thema Attraktivität und Geschwindigkeit im Radverkehr auf die Tagesordnung gesetzt. Das war bisher eher schwierig. Wann immer Radfahrer flottes Vorankommen für sich einforderten, waren die diffamierenden drei R – Raser, Rüpel, Rambos – schnell zur Hand. Die Autoren der Studie stellen nun erstmals klar den Zusammenhang her zwischen der Reichweite des Verkehrsmittels Fahrrad und der möglichen Geschwindigkeit, ohne dass ein Aufschrei der Empörung durch die Gazetten hallt.

Was ist eigentlich eine „Expressroute“?
Eines ist klar: Express ist irgendwie schnell. Was aber ist schnell? Autofahrer kommen sich in der Stadt immer sehr schnell vor, viel schneller als ein Radfahrer. Dass es nicht allein darauf ankommt, wie schnell man fährt, merkt der motorisierte Sprinter spätestens an der nächsten Ampel, wenn ihn der Radfahrer wieder eingeholt hat. Oder am Ziel, wenn der Radfahrer schon angekommen ist, während der Autofahrer noch nach einem Parkplatz fahndet. Hohe Geschwindigkeit ist also keineswegs gleichbedeutend mit Schnelligkeit. Die Erfahrung machen auch die Nutzer des Öffentlichen Verkehrs. Da können die Betreiber ihre Passagiere zwischen den Haltestellen noch so schnell durch die Gegend schaukeln, heraus kommt dabei eine Reisegeschwindigkeit von gerade mal 18-20 Stundenkilometer. Der durchschnittliche Radler bringt es auf 15 km/h und der Autoverkehr ist im Schnitt auch nicht schneller als 25 km/h. Das sind natürlich Näherungswerte, die mit den Bedingungen variieren, aber es bleibt festzuhalten, dass für das Vorwärtskommen in der Stadt die gefahrenen (Spitzen)Geschwindigkeiten eine sehr viel geringere Bedeutung haben, als gemeinhin angenommen.
Die allermeisten Menschen bewegen sich mit dem Fahrrad im Geschwindigkeitsbereich von 15-20 km/h. Wer flotter unterwegs sein will, muss schon ein bisschen was für seine Fitness tun. Über 30 km/h schaffen die Wenigsten, schon gar nicht über längere Zeit. Dabei spielt nicht nur der eigene Trainingszustand eine Rolle.

Hindernisfreiheit für Radfahrer!
Ganz wichtig ist neben der Qualität des Fahrrads auch der Standard der befahrenen Wege. Das betrifft neben der Güte der Oberflächen vor allem die Hindernisfreiheit. Schlechte Wegstrecken mit Rüttelpflaster, geflicktem Asphalt, Schlaglöchern, Baumwurzelaufbrüchen, mangelhaft abgesenkten Auf- und Abfahrten, von Masten und Pollern mitten im Weg gar nicht zu reden, zehren ebenso an den Kräften wie ständige erzwungene Tempowechsel durch enge Kurven und Querschnitte, schlechte Sichtverhältnisse, Ampeln, Drängelgitter, Baustellen und dergleichen mehr. Dazu kommen dann noch unachtsame Fußgänger, Vorfahrtmissachter, Falschparker, Türöffner – die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Die Erfahrung zeigt, dass mit der Qualität der Infrastruktur die Entfernungen steigen, die mit dem Fahrrad zurückgelegt werden, weil der Energieaufwand pro Kilometer deutlich sinkt. Hier öffnet sich ein weites Feld für „beschleunigende Maßnahmen“, die sich nicht auf einzelne Routen beschränken, sondern Standard werden sollten auf allen Fahrradrouten.

Dass das nicht überall gleich gut geht, ist klar. Die größten Probleme machen die klassischen Bordsteinradwege. Sie sind häufig überhaupt nicht auf schnellen Radverkehr ausgelegt, einer der Gründe, warum der ADFC sich seit Jahren für die Aufhebung der Benutzungspflicht einsetzt. Dass es auch anders geht, dafür gibt es inzwischen in Frankfurt eine ganze Reihe guter Beispiele.
Besser schneiden im Allgemeinen die Fahrbahnlösungen ab. Egal ob Radfahrstreifen oder Schutzstreifen, wenn sie vernünftig angelegt und ausreichend breit sind, erlauben sie durchaus zügiges Fortkommen – bis zur nächsten roten Ampel!

Grüne Welle für Radfahrer?
Die Speer-Studie wünscht sich auf den vorgeschlagenen „Expressrouten“ eine Grüne Welle mit „Tempo 20“. Das ist der einzige Hinweis, welche Vorstellungen die Autoren von dem Geschwindigkeitsniveau auf den Expressrouten haben. Dazu ist zweierlei zu sagen:

  1. Tempo 20 ist sicher nicht die Vorstellung, die der ADFC mit „Expressrouten“ verbindet. 20 km/h sollte auf jedem Radweg gefahren werden können, sonst wurde bei der Planung etwas falsch gemacht. Grundsätzlich sollte auf Fahrradrouten Tempo 30 möglich sein –und zwar auf allen.
  2. Grüne Wellen machen nur Sinn, wenn es auf der Strecke viele Ampeln in kurzen Abständen gibt. Das ist aber in den Nebenstraßen eher selten der Fall, durch die auch nach Überzeugung der Speer-Planer die Fahrradrouten sinnvollerweise geführt werden sollen. Wo es sie gibt, sollte eher über ihren Abbau nachgedacht werden. Wenn mangels akzeptabler Alternativen die Fahrradrouten über Hauptverkehrsstraßen laufen, ist – bei allem Optimismus – auch in 20 Jahren wohl kaum damit zu rechnen, dass Tempo 20 eingeführt wird, und sei es über eine Grüne Welle.

Vorrang für den Radverkehr
Wichtiger wäre es für die Beschleunigung des Radverkehrs – und das nicht nur auf den Fahrradrouten –wenn dem nicht motorisierten Verkehr an den mit Lichtsignalen geregelten Kreuzungen eine höhere Priorität eingeräumt würde. Es sind vor allem die Querungen der Hauptverkehrsstraßen im Zuge der Fahrradrouten, die sich als Zeitschlucker erweisen. Mehr Grün für Fußgänger und Radfahrer an den Ampeln bedeutet aber Abschied von der Grünen Welle für die Starken und Schnellen, letztlich also mehr Rot für den Autoverkehr, aber auch mehr Konflikte mit den Vorrangschaltungen für den Öffentlichen Nahverkehr.
Immerhin haben die Kommunen bei der Gestaltung der Ampelschaltungen ein Wörtchen mitzureden. Sie können, wenn sie wollen, den Fahrradrouten hier Vorrang gewähren, wie es die Autoren der Speer-Studie für die „Expressrouten“ fordern. So absurd das klingt, aber in den Nebenstraßen wird das schon schwieriger. So weit die Fahrradrouten durch Tempo-30-Zonen verlaufen, verbietet die StVO sogar ausdrücklich eine solche Regelung. Hier gilt für die Vorfahrt ausschließlich rechts vor links. Nur für Buslinien gibt es Ausnahmen. Um wichtigen Fahrradrouten durchgehend Vorrang einräumen zu  können, müssen also erst die Rechtsgrundlagen geschaffen werden.

Express-Fahrradstraßen
Eine gute Möglichkeit zur Beschleunigung von Fahrradrouten wäre die durchgehende Anlage von Fahrradstraßen im Verlauf von wichtigen Hauptrouten, wie es der ADFC schon seit langem fordert. Das deckt sich weitgehend mit den Vorstellungen der Speer-Studie zu den Expressrouten. Solche Strecken könnten und sollten auch in der baulichen Gestaltung ihre Zweckbestimmung als „Hauptstraßen des Radverkehrs“ unmittelbar erkennen lassen. Gerade im Hinblick auf den schnelleren Radverkehr müssten sie deutlich höheren Anforderungen an Sicherheit und Komfort genügen.

Bislang unterliegt die Einrichtung von Fahrradstraßen allerdings noch immer sehr restriktiven Verwaltungsvorschriften. Auch hier müssten Bund, Länder und Kommunen aktiv werden, um die erforderlichen Änderungen der StVO auf den Weg zu bringen. Passiert ist in den letzten Jahren eher das Gegenteil. Eine ganze Reihe bestehender Fahrradstraßen wurde im Zuge der Öffnung von Einbahnstraßen beseitigt.

Sehen und gesehen werden
Sicherheit bedeutet im Radverkehr gute Erkennbarkeit der Flächen, die dem Radverkehr gewidmet sind, aber vor allem auch gute Sichtverhältnisse. Sicherheit durch Sichtbarkeit ist eine der wichtigsten Grundregeln für sicheren Radverkehr. Um wie viel mehr gilt dies für schnellen Radverkehr.
Für den sogenannten „ruhenden Verkehr“ müssen auf solchen Fahrradrouten deutlich niedrigere Toleranzschwellen für das Zuparken der Sichtdreiecke zum Tragen kommen, als dies gegenwärtig der Fall ist. Erste Ansätze gibt es in Gestalt der Gehwegnasen, die derzeit im Rahmen des Projekts Nahmobilität im Nordend eingerichtet werden. Ein weiterer Punkt sind die Schrägparkplätze, deren Ausweisung auf Hauptfahrradrouten sicher kritischer zu sehen ist als in anderen Nebenstraßen.

Bündelung kontra Umwegefreiheit
Das Konzept der Speer-Planer sieht nur wenige Expressrouten vor, die weitgehend deckungsgleich sind mit vier der bereits beschlossenen und teilweise bereits fertig gestellten Fahrradrouten
aus der Netzkonzeption von 1992 (siehe Titelbild). Kritisch ist der damit verbundene Ansatz zu sehen, den Radverkehr auf wenigen Strecken bündeln zu wollen, um seine Präsenz im Verkehrsgeschehen zu erhöhen.
Radverkehr ist extrem umwegeempfindlich. Die Vorstellung, aus vier Expressrouten so eine Art Frankfurter Kreuz für den Radverkehr zu kreieren, scheint mir denn doch mehr der Welt der Autobahnbauer entlehnt. Da hilft auch der doppelte Ring im Zentrum nicht weiter, zumal mir die Schaffung von Expressrouten für den Radverkehr im Verlauf des Alleenrings auch mit einem Zeithorizont bis 2030 als extrem ehrgeiziges Unterfangen erscheint.

Immer an der Bahn lang
Ein gänzlich anderer Ansatz wird mit den vorgeschlagenen Expressrouten entlang von Bahnstrecken verfolgt. Schon ein Blick auf den Plan zeigt, dass es allenfalls einzelne Bahnstrecken sind, die dafür in Frage kommen. Teile davon sind auch schon in der Netzkonzeption von 1992 integriert. So verläuft etwa die Fahrradroute nach Höchst über weite Strecken direkt neben der Bahnlinie. Es spricht nichts dagegen, im Rahmen der ohnehin laufenden Aktualisierung des Fahrradroutennetzes zu prüfen, ob sich hier weitere Strecken anbieten.
Die angestrebte Zielgruppe der „Fernpendler“ ist aber eher klein. Die Zahl derer, die zu Trainingszwecken die vorgeschlagene „Sportstrecke“ entlang der Bahn nach Darmstadt nutzen würden, dürfte sich in engen Grenzen halten. Da sollten erst einmal die Potentiale größerer Zielgruppen ausgeschöpft werden.

Wegweisendes
Ausgehend von den Beispielen in Bozen und München schlägt die Speer-Studie vor, die Expressrouten mit verschieden farbigen Schildern und Fahrbahnmarkierungen zu kennzeichnen. Das kann man machen, wenn die Zahl der Routen gering ist, aber schon das Beispiel München zeigt, dass den Planern die klar unterscheidbaren Farben ausgehen, wenn es um mehr als zehn Strecken geht.

Die farbige Kennzeichnung ersetzt für Ortsfremde die nötige Wegweisung mit Ziel- und Entfernungsangaben genauso wenig, wie die bislang in Frankfurt angebrachten Routennummern. Sie kann allenfalls ergänzend erfolgen.

Ein Wegweisungssystem, das auf Nummern oder Farben basiert, ist eher etwas für sternförmig auf die Innenstadt ausgerichtete Netze. Die Radverkehrskonzeption für Frankfurt verzichtet aber aus gutem Grund darauf, die Hauptwache zum Maß aller Dinge für die Netzgestaltung zu machen. Neben den radial auf das Zentrum zulaufenden Routen ist eine Vielzahl von Querverknüpfungen vorgesehen, die letztlich ein Netz ausmachen. Hier braucht es eine differenzierte Zielwegweisung.

Fazit
Wie „express“ man sich in einem Netz für den Radverkehr bewegen kann, ist zunächst einmal eine Frage des Ausbaustandards. Je mehr ein guter Standard in die Breite geht, umso besser für die schnelle, umwegfreie Verbindung von Quelle und Ziel. Das schließt nicht aus, einzelne Strecken, die sich in der Praxis als besonders wichtig und stark befahren erweisen, qualitativ weiter zu verbessern. Ob man dafür dann einen neuen Namen braucht, lasse ich mal dahin gestellt.
Fritz Biel (Text und Fotos)

Reisegeschwindigkeit
Die Reisegeschwindigkeit errechnet sich aus der zwischen Start und Ziel von Tür zu Tür zurückgelegten Strecke in Kilometern, geteilt durch die dafür benötigte Zeit in Stunden. Sie schließt also alle Stand-, Lauf-, Such- und Wartezeiten ein. Damit liegt sie naturgemäß weit unter der „gefühlten“ Geschwindigkeit der Fortbewegung.

15 April, 2012 I ADFC Frankfurt am Main e. V. |